Winterprognose 2021 - 16. Dezember 2021

Aussichten für 2022 deutlich verschlechtert

IfW Kiel, Pressemitteilung vom 15.12.2021

Lieferengpässe und die vierte Corona-Welle belasten Deutschlands Aufschwung. Er bekommt einen spürbaren Dämpfer, der Aufholprozess verschiebt sich um mehrere Monate nach hinten. Das IfW Kiel rechnet nun nach einem Zuwachs des Bruttoinlandsproduktes (BIP) um 2,6 Prozent in diesem Jahr mit nur noch 4 Prozent (bislang 5,1) für 2022. Dafür wird es dann 2023 mit 3,3 Prozent (bislang 2,3) voraussichtlich steiler nach oben gehen. Die Inflationsrate dürfte in diesem und im kommenden Jahr bei über 3 Prozent liegen, das Haushaltsdefizit aufgrund einer Änderung der Regeln zur Schuldenbremse hoch bleiben.

Das Vorkrisenniveau des BIP wird nunmehr erst im 2. Quartal 2022 erreicht. Die gesamtwirtschaftlichen Produktionskapazitäten werden voraussichtlich erst im 3. Quartal 2022 wieder normal ausgelastet sein. Bis dahin kostet die stärkere Verzögerung im Aufholprozess infolge der heftigeren vierten Corona-Welle Wirtschaftsleistung in Höhe von rund 40 Mrd. Euro, wobei vor allem konsumnahe Dienstleistungsbereiche betroffen sind.

Inflationäres Umfeld im Zuge der Pandemie

Die Teuerung wird vorerst hoch bleiben, und die Inflationsrate dürfte sowohl in diesem als auch im nächsten Jahr bei 3,1 Prozent liegen. Ursächlich sind zum einen Lieferengpässe, die weiterhin die Herstellungskosten erhöhen und das Konsumgüterangebot verknappen. Gleichzeitig haben die privaten Haushalte zusätzliche Ersparnisse in Höhe von rund 200 Mrd. Euro angehäuft und besitzen deshalb eine recht hohe Zahlungsbereitschaft. 2023 dürfte der Verbraucherpreisanstieg dann bei 2 Prozent liegen.

Besonders kräftig steigen die Baupreise. Sie dürften dieses Jahr um fast 8 Prozent zulegen, das wären rund 2 Prozentpunkte mehr als im Jahr 1992 nach der Wiedervereinigung. Auch in den beiden kommenden Jahren dürfte der Preisanstieg mit Raten von gut 5 bzw. gut 3 Prozent kräftig ausfallen.

Haushaltsdefizit auch 2023: Ampel setzt auf Schulden

Die öffentlichen Haushalte bleiben bis zum Ende des Prognosezeitraumes deutlich im Defizit, obwohl die Einnahmen kräftig sprudeln und die Steuereinnahmen bereits ihr Vorkrisenniveau überschritten haben. Das Defizit sinkt nach 3,8 Prozent in Relation zum BIP in diesem Jahr auf 1,8 Prozent im Jahr 2022, weil die Belastungen durch die Pandemie nachlassen.

Auch 2023 werden die Haushalte voraussichtlich mit einem deutlichen Defizit von 1,4 Prozent abschließen. Der Schuldenstand liegt dann bei knapp 65 Prozent des BIP. Das Defizit wäre der Höhe nach ein Verstoß gegen die bisherige Schuldenregel. Daher will die Ampel-Regierung das Regelwerk ändern. Dann können über den Energie- und Klimafonds Kredite in Anspruch genommen werden, die ursprünglich zur Bewältigung der Corona-Pandemie genehmigt, aber nicht abgerufen wurden.

„Die finanzpolitische Ausrichtung passt nicht in die gesamtwirtschaftliche Landschaft der nächsten Jahre. Der Aufholprozess von der Corona-Krise stottert nicht mangels Nachfrage. Die Auftriebskräfte – hohe aufgestaute Kaufkraft bei den privaten Haushalten, rekordhoher Auftragsüberhang in der Industrie – sind weiterhin intakt. Sie reichen mehr als aus, um die Produktionskapazitäten normal auszulasten. Weiterer konjunkturstimulierender Maßnahmen bedarf es nicht, es droht eher eine postpandemische Überauslastung. Die Demografie zehrt an den Wachstumskräften, und die Dekarbonisierung strapaziert die Produktionsmöglichkeiten zusätzlich. Da hilft kein Defizit-Boostern, sondern eine an den Kapazitäten orientierte Priorisierung der Staatsausgaben”, so Kooths.

Die Erholung am Arbeitsmarkt wird durch die vierte Welle unterbrochen, ein erheblicher Teil des Arbeitsausfalls dürfte abermals über Kurzarbeit abgefangen werden. Die Zahl der Erwerbstätigen wird nach einer Stagnationsphase im Winterhalbjahr zunächst wieder anziehen. In diese Erholung hinein wirkt die für den 1. Juli erwartete Erhöhung des Mindestlohnes auf 12 Euro, was den Beschäftigungsaufbau dämpft. 2023 wird dann mit 45,5 Millionen Beschäftigten der Zenit bei der Beschäftigung alterungsbedingt erreicht und die Anzahl an erwerbstätigen Personen fortan tendenziell rückläufig sein. Die Arbeitslosenquote sinkt von 5,7 Prozent (2021) auf 5,2 Prozent (2022) und 5,0 Prozent (2023).

Deutschlands viel kritisierter Leistungsbilanzüberschuss sinkt in den kommenden beiden Jahren auf 5,8 bzw. 5,5 Prozent der Wirtschaftsleistung. Der Rückgang geht zu einem Gutteil darauf zurück, dass die Importpreise deutlich stärker zulegen als die Exportpreise.

Biontech erhöht 2021er BIP um weitere 0,5 Prozent

In der Schlussabrechnung für das Jahr 2021 dürften die gegen Jahresende fälligen Lizenzeinnahmen des Impfstoffentwicklers Biontech von seinem US-amerikanischen Produktionspartner Pfizer den BIP-Zuwachs um fast 0,5 Prozentpunkte, von 2,6 auf rund 3 Prozent, erhöhen. Dieser Effekt ist nicht in das Zahlentableau der Prognose eingeflossen, da der Gesamtbetrag voraussichtlich unterjährig verbucht wird und deshalb mit amtlichen Revisionen für die Vorquartale zu rechnen ist.

Erholung der Weltwirtschaft hat an Fahrt verloren

„Auch in weiten Teilen der übrigen Welt bremsen erneut zunehmende Corona-Infektionen die wirtschaftliche Aktivität, Lieferengpässe behinderten den Aufschwung der Industrieproduktion, und die chinesische Wirtschaft scheint aus dem Tritt geraten zu sein”, so Kooths. Für 2021 erwartet das IfW Kiel einen Zuwachs der Weltproduktion um 5,7 Prozent (bislang 5,9), für 2022 von 4,5 Prozent (bislang 5,0). Für 2023 hat sich der Ausblick mit 4,0 Prozent (bislang 3,8) leicht verbessert.

Beträchtliche Auf- und Abwärtsrisiken für die Winterprognosen bestehen insbesondere durch den weiteren Pandemieverlauf – nicht zuletzt mit Blick auf die Omikron-Variante – sowie durch die Entwicklung der Lieferengpässe. In beiden Fällen rechnet das IfW Kiel mit weiterhin merklich dämpfenden Effekten in den kommenden Monaten und mit einem Auslaufen der ökonomischen Restriktionen ab nächstem Frühjahr, wobei die Lieferengpässe kaum vor Ende 2022 vollständig überwunden werden dürften.

In beiden Fällen ist sowohl eine positivere als auch negativere Entwicklung möglich, mit entsprechenden Folgen für die prognostizierten Zuwächse. Zudem kann diese Prognose den wirtschafts- und finanzpolitischen Kurs der neuen Bundesregierung nur zum Teil abbilden, da sich dieser erst in konkreten Gesetzesbeschlüssen ausprägen muss.

Quelle: IfW Kiel