IfW Kiel, Pressemitteilung vom 15.02.2023
Die Abhängigkeit der deutschen Wirtschaft von Importen aus China ist laut einer aktuellen Analyse des IfW Kiel deutlich geringer, als durch klassische Handelsstatistiken suggeriert wird. Insgesamt hängt nur ein äußerst kleiner Teil der deutschen Produktion direkt oder indirekt von chinesischen Vorleistungen ab. Der mit Abstand größte Teil entstammt deutschen Eigenleistungen. Allerdings dominiert China bei einzelnen Rohstoffen und Produkten, insbesondere im Bereich Elektronik, den Weltmarkt sowie die deutsche Versorgung und könnte als Lieferant kurzfristig nicht ersetzt werden.
„Um die Versorgungssicherheit in Bezug auf kritische Rohstoffe sowie Vor- und Endprodukte zu gewährleisten, braucht Deutschland dringend eine Strategie für mehr Diversifizierung. Dies wäre nicht nur die richtige Antwort auf zunehmende geopolitische Rivalitäten, sondern dient vor allem auch der Absicherung gegen Lieferengpässe“, sagt Alexander Sandkamp, Mitautor des Kiel Policy Briefs „Leere Regale made in China: Wenn China beim Handel mauert“.
Für die deutsche Wirtschaft demnach unabdingbare Produktgruppen, bei denen die Abhängigkeit von China besonders hoch ist, sind mit einem Importanteil von rund 80 Prozent Laptops, Mobiltelefone (Importanteil 68 %), bestimmte Textilprodukte (Spinnstoffwaren, 69 %) Computereinheiten wie Sound- und Grafikkarten (62 %), Fotoelemente und LEDs (61 %) oder Platinen und Leiterplatten (Schaltungen gedruckt, 58 %).
Einige der für die Produktion von Spezialtechnologie wichtigen und von der EU als kritisch eingestuften seltenen Erden und Rohstoffe wie Scandium oder Antimon bezieht Deutschland zu 85 Prozent und mehr aus China. Sie kommen beispielweise in der Batterieproduktion oder Oberflächenbeschichtung zum Einsatz.
Äußerst hoch ist die deutsche Abhängigkeit von China auch bei bestimmten Medizinprodukten, etwa Atemschutzmasken oder Schmerzmitteln, mit Importanteilen von zum Teil über 90 Prozent.
China und Taiwan dominieren bei 221 Produkten
„Politisch ist eine Abkopplung Deutschlands von China nicht mehr undenkbar. Ein militärischer Konflikt zwischen der Volksrepublik und Taiwan etwa dürfte Sanktionen auf europäischer Ebene auslösen“, so Sandkamp. „In einem solchen Fall könnte auch Taiwan aufgrund chinesischer Blockaden als Lieferant ausfallen. Das würde eine deutsche Versorgungsnotlage bei bestimmten kritischen Produkten verschärfen.“
Speziell bei Computereinheiten und -teilen sowie elektronischen Schalteinheiten bedient neben China auch Taiwan einen nennenswerten Teil der globalen und auch deutschen Nachfrage. Sollte die EU chinesische Importe boykottieren, stünden dafür praktisch keine alternativen Zulieferer zur Verfügung. Darüber hinaus ist Taiwan für die Versorgung mit Fahrradkomponenten essenziell.
Insgesamt identifizieren die Autoren 221 Produkte, bei denen China und Taiwan gemeinsam den deutschen Import dominieren. Bei der Mehrzahl der Produkte liegt der Importanteil beider Länder bei über 80 Prozent.
Konsum und Produktion in Deutschland basieren vor allem auf Eigenleistungen
Abgesehen von den genannten kritischen Vorleistungen ist die Bedeutung Chinas für die deutsche Wirtschaft laut Analyse aber überraschend gering. Nur etwa 0,6 % der direkten Vorleistungen, die für die deutsche Produktion benötigt werden, stammen den Berechnungen nach aus China. Wichtiger sind sowohl die USA (0,8 %) als auch Frankreich (0,7 %). Bezieht man indirekte Vorleistungen mit ein, die Deutschland aus Drittländern bezieht und die dort mit Hilfe chinesischer Vorprodukte hergestellt werden, steigt der Anteil Chinas an der deutschen Produktion auf 1,5 Prozent.
Auch im Bereich der in Deutschland konsumierten Endprodukte ist China nur von untergeordneter Bedeutung. Direkt stammen 1,4 Prozent der in Deutschland konsumierten Leistungen aus China, unter Berücksichtigung indirekter Verflechtungen steigt der Anteil auf 2,7 Prozent. Die Bedeutung Chinas für den Endverbrauch ist somit fast doppelt so hoch wie für die deutsche Produktion.
Die Zahlen stehen im Kontrast zu gängigen Handelsstatistiken, wonach China mit knapp 12 Prozent das wichtigste Ursprungsland aller deutschen Importe ist. Aus den USA stammen gut 6 Prozent, aus Frankreich gut 5 Prozent. Von der Europäischen Union (EU) als Ganzes stammen über 50 Prozent der deutschen Importe.
„Diese klassischen Handelsflüsse alleine sind nur bedingt geeignet, um die wirtschaftliche Bedeutung Chinas für Deutschland einzuordnen. Denn auch Deutschland selbst produziert Zwischen- und Endprodukte für die heimische Produktion und den heimischen Konsum“, so Sandkamp.
Handelskonflikt EU – China mindert deutsches BIP langfristig um 1 Prozent
Über 80 Prozent der heimischen Produktion und über 70 Prozent des heimischen Konsums entstammen laut Analyse deutscher Eigenleistung. Eine Abkopplung der EU von China, bei der der Handel um 97 Prozent reduziert wird, würde die deutsche Wirtschaftsleistung nach Modellrechnungen auf lange Sicht – also, wenn neue Lieferstrukturen gefunden und etabliert sind – um 1 Prozent geringer ausfallen lassen. Gemessen am Bruttoinlandsprodukt 2021 entspricht das entgangener Wertschöpfung in Höhe von 36 Mrd. Euro pro Jahr.
„Unsere Berechnungen zeigen, dass die Abhängigkeit der deutschen Wirtschaft von China gesamtwirtschaftlich gesehen nur gering ist. Allerdings würde ein abrupter Abbruch der Handelsbeziehungen zunächst eine Versorgungslücke mit wichtigen Rohstoffen, Medikamenten und Produkten bedeuten, mit der Folge erheblicher Wohlstandseinbußen für Deutschland“, so Sandkamp.
„Die Politik darf sich nicht erst um alternative Bezugsquellen bemühen, wenn es zu spät ist, sondern muss heute über Freihandelsabkommen, Investitionsschutzabkommen oder Investitionsgarantien vorbeugen. Dabei sollte China, wenn möglich, immer Teil des deutschen Handelsportfolios sein, exklusive Lieferstrukturen müssen aber eliminiert werden. Konkret sollte die EU etwa bei den Verhandlungen zu einem Freihandelsabkommen mit Australien einen besonderen Fokus auf Rohstoffe legen.“
Quelle: Kiel Institut für Weltwirtschaft