Abgabenordnung - 12. April 2021

Zinsfestsetzung und Festsetzungsverjährung bei der Rückabwicklung von Bauträgerfällen

FG Baden-Württemberg, Mitteilung vom 12.04.2021 zum Urteil 12 K 2945/19 vom 23.07.2020 (nrkr - BFH-Az.: V R 27/20)

  1. Der Zinslauf nach § 233a Abgabenordnung (AO) beginnt in Fällen, in denen der Leistungsempfänger zusammen mit dem Leistenden fehlerhaft davon ausgegangen war, Steuerschuldnerin i. S. v. § 13b UStG zu sein, erst nach dem Zeitpunkt des Erlasses eines zugunsten des Leistungsempfängers geänderten Umsatzsteuerbescheides. Der Antrag des Leistungsempfängers auf Umsatzsteuererstattung ist noch kein rückwirkendes Ereignis i. S. d. § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO.
  2. Für eine Hemmung der Verjährung nach § 171 Abs. 14 AO ist nicht erforderlich, dass Personenidentität zwischen dem zur Steuerzahlung Verpflichteten (hier der Bauleistende) und dem zur Erstattung nach § 37 Abs. 2 AO Berechtigten (hier der Bauleistungsempfänger) besteht. Im Streitfall ergibt sich der für § 171 Abs. 14 AO notwendige Zusammenhang aus dem Umsatzsteuergesetz (UStG).

Sachverhalt

Die Klägerin führte in den Streitjahren 2009 bis 2012 u. a. Bauleistungen an ein Bauträgerunternehmen aus. Die Vertragspartner behandelten die Umsätze nach der damaligen Rechtsauffassung der Finanzverwaltung nach § 13b Abs. 2 Nr. 4 UStG mit der Folge, dass das Bauträgerunternehmen die Umsatzsteuer als Leistungsempfänger an das zuständige Finanzamt abgeführt hat.

Im September 2019 teilte das beklagte Finanzamt (FA) der Klägerin mit, dass die Umsatzsteuer auf ihre Umsätze mit dem Bauträgerunternehmen aus den Jahren 2009 bis 2012 nach dem Urteil des Bundesfinanzhofs (BFH) vom 22. August 2013 V R 37/10 (Bundessteuerblatt II 203, 128) nicht von der Leistungsempfängerin, sondern von ihr geschuldet werde. Auf den Antrag des Leistungsempfängers sei diesem im Januar 2019 die Umsatzsteuer erstattet worden. Das FA erhöhte die Umsatzsteuer mit geänderten Umsatzsteuerbescheiden 2009 bis 2012 jeweils am 25. Oktober 2019 und setzte gegen die Klägerin Zinsen fest. Die hiergegen erhobene Klage hatte in Bezug auf die Zinsfestsetzung Erfolg. Hinsichtlich der erhöhten Umsatzsteuerfestsetzung wies das Finanzgericht die Klage ab.

Aus den Gründen

Rechtswidrigkeit der Zinsfestsetzung

Die Festsetzung von Zinsen zur Umsatzsteuer 2009 bis 2012 sei rechtswidrig, weil zum Zeitpunkt der Änderung der Umsatzsteuerbescheide gegenüber der Klägerin am 25. Oktober 2019 der Zinslauf gemäß § 233a Abs. 2a AO noch nicht begonnen habe.

Rückwirkendes Ereignis

Nach § 233a Abs. 2a AO beginne der Zinslauf 15 Monate nach Ablauf des Kalenderjahres, in dem das rückwirkende Ereignis gemäß § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO eingetreten sei. Das rückwirkende Ereignis sei hier die Forderung der (Rück)Zahlung von Umsatzsteuer durch den Leistungsempfänger. Denn § 27 Abs. 19 UStG führe nur dann zu einer Änderung der Steuerfestsetzung des leistenden Unternehmers, soweit der Leistungsempfänger die Erstattung der Steuer „fordert“, die er in der Annahme entrichtet hatte, Steuerschuldner zu sein. Erst die Sachverhaltsänderung, die Forderung der Umsatzsteuererstattung durch den Leistungsempfänger, ermögliche dem FA die Änderung der Steuerfestsetzung gegenüber der Klägerin.

Zeitpunkt des rückwirkenden Ereignisses

Entscheidungserheblich sei im Streitfall der Zeitpunkt des rückwirkenden Ereignisses. Maßgebend sei, zu welchem Zeitpunkt der Leistungsempfänger die Erstattung der Steuer „fordert“. Im Gegensatz zur Auffassung des Finanzamts (FA), das die Forderung mit dem Antrag auf Rückzahlung der Umsatzsteuer durch den Leistungsempfänger gleichstelle (Schreiben des Bundesfinanzministeriums vom 26. Juli 2017, BStBl I 2017 S. 1001), sei nach Auffassung des Senats die Forderung i. S. d. § 27 Abs. 19 UStG erst mit der Stattgabe des Antrags gegeben.

Entstehung des Rückforderungsanspruchs nicht bereits bei Antragstellung

Denn die Begriffe „fordern“ und „Antrag stellen“ seien nicht deckungsgleich. Alleine die Stellung eines Antrags bedeute noch nicht, dass dieser Erfolg haben und es zu einer Forderung, einer Auszahlung bereits geleisteter Umsatzsteuer kommen werde. Alleine der Antrag auf Erstattung der Umsatzsteuer durch den Leistungsempfänger sei noch nicht das rückwirkende Ereignis, zumal ein Antrag auch noch zurückgenommen werden könne. Voraussetzung für die Änderung nach § 27 Abs. 19 Satz 1 UStG sei vielmehr der Anspruch auf Zahlung.

Bezogen auf den Streitfall bedeute dies, dass der Leistungsempfänger erst dann eine Forderung gegenüber dem für ihn zuständigen Finanzamt im Zeitpunkt des Erlasses des zu seinen Gunsten erlassenen geänderten Umsatzsteuerbescheids habe. Das „fordern“ im Sinne des § 27 Abs. 19 UStG liege nach der Auffassung des Senats erst zu diesem Zeitpunkt vor und damit erst zu diesem Zeitpunkt ein rückwirkendes Ereignis. Erst nach diesem Zeitpunkt könne der Zinslauf nach § 233a Abs. 2a AO beginnen. Da das Guthaben an den Leistungsempfänger im Januar 2019 erstattet worden sei, habe zum Zeitpunkt der Änderung der Umsatzsteuerbescheide gegenüber der Klägerin am 25. Oktober 2019 der Zinslauf gemäß § 233a Abs. 2a AO noch nicht begonnen.

Rechtmäßigkeit der geänderten Umsatzsteuerfestsetzung

Anders als die Zinsfestsetzungen seien die geänderten Umsatzsteuerbescheide 2009 bis 2012 rechtmäßig. Die Klägerin schulde die Umsatzsteuer nach § 13a Abs. 1 Nr. 1 UStG als leistender Unternehmer. § 13b Abs. 5 Satz 2 i. V. m. Abs. 2 Nr. 4 UStG komme nicht zur Anwendung. Der Leistungsempfänger sei nicht Steuerschuldnerin nach § 13b UStG, da er im Streitzeitraum eigene Grundstücke bebaut habe bzw. bebauen ließ und sodann umsatzsteuerfrei veräußert oder vermietet habe.

Änderungsbefugnis des FA

Das FA sei nach § 27 Abs. 19 UStG zur Änderung der Umsatzsteuerfestsetzungen befugt gewesen. Voraussetzung hierfür sei, dass dem leistenden Unternehmer ein abtretbarer Anspruch auf Zahlung der gesetzlich entstandenen Umsatzsteuer gegen den Leistungsempfänger zustehe. Ein solcher Anspruch habe der Klägerin im Zeitpunkt des Erlasses der geänderten Umsatzsteuerfestsetzungen unter Beachtung von § 313 Abs. 1 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) zugestanden. Die Klägerin habe gegenüber dem Leistungsempfänger einen Anspruch auf Vertragsanpassung nach § 313 Abs. 1 BGB. Die Vertragspartner seien bei Vertragsabschluss davon ausgegangen, dass der Leistungsempfänger Steuerschuldner der Umsatzsteuer sei. Mithin sei die Klägerin berechtigt, die Anpassung des Vertrags zu verlangen mit der Folge, dass sich ihr Vergütungsanspruch um die von ihr für die Leistungen geschuldete Umsatzsteuer erhöhe.

Keine Festsetzungsverjährung wegen Hemmung der Festsetzungsfrist

Festsetzungsverjährung sei noch nicht eingetreten. Der Ablauf der Festsetzungsfrist sei nach § 171 Abs. 14 AO gehemmt. Der Erstattungsanspruch nach § 37 Abs. 2 AO der Leistungsempfängerin stehe in einem Zusammenhang mit der Umsatzsteuer für 2009 bis 2012 der Klägerin. Denn erst die Erstattungsforderung des Leistungsempfängers ermögliche die Änderung nach § 27 Abs. 19 UStG. Nach § 171 Abs. 14 AO ende die Festsetzungsfrist für einen Steueranspruch nicht, soweit ein damit zusammenhängender Erstattungsanspruch nach § 37 Abs. 2 AO noch nicht verjährt sei.

Nach dem Wortlaut des § 171 Abs. 14 AO sei für eine Änderung nicht erforderlich, dass eine Personenidentität zwischen dem zur Steuerzahlung Verpflichteten – im Streitfall die Klägerin – und dem zur Erstattung nach § 37 Abs. 2 AO Berechtigten – im Streitfall dem Leistungsempfänger – bestehe. Der Zusammenhang im Sinne des § 171 Abs. 14 AO ergebe sich aus dem UStG. Die von der Klägerin ausgeführten Umsätze würden in den Streitjahren denselben Besteuerungsgegenstand und denselben Besteuerungszeitraum wie bei ihrem Leistungsempfänger betreffen.

Außerdem ergebe sich zur Überzeugung des erkennenden Senats ein Zusammenhang aus § 27 Abs. 19 UStG. Im Streitfall wäre, wenn die Klägerin mit dem Beklagten eine Abtretung vereinbart hätte, die sich aus den geänderten Umsatzsteuerfestsetzungen entstandene Umsatzsteuerschuld erloschen. Das FA hätte mit den an ihn abgetretenen Nachzahlungsansprüchen des Bauunternehmens aufrechnen können. Dieser Zusammenhang entfalle nicht dadurch, dass die Klägerin bewusst auf eine Abtretung verzichtet habe. Für eine Änderungsbefugnis nach § 27 Abs. 19 UStG komme es auf einen abtretbaren Anspruch auf Zahlung der Umsatzsteuer an.

Der Erstattungsanspruch des Leistungsempfängers sei auch vor Ablauf der ungehemmten Festsetzungsfrist entstanden. Das Ereignis, das die Hemmung hervorgerufen habe, der Erstattungsanspruch des Leistungsempfängers, sei zu einem Zeitpunkt eingetreten, in dem die Festsetzungsfrist noch nicht abgelaufen gewesen sei. Der Erstattungsanspruch sei schon mit der Zahlung der Umsatzsteuer des Leistungsempfängers an das zuständige Finanzamt als vermeintliche Steuerschuldnerin nach § 13b UStG entstanden. Es sei rechtsgrundlos gezahlt worden. Zahlungen habe der Leistungsempfänger frühestens ab den Voranmeldungszeiträumen 2009 geleistet. Die Verjährung beginne mit Ablauf des Kalenderjahres, in dem der Anspruch erstmals fällig geworden ist (§ 229 Abs. 1 Satz 1 AO) und damit für Leistungen im Jahr 2009 frühestens mit Ablauf des Jahres 2009. Vor Ablauf der 5-jährigen (Zahlungs-)Verjährungsfrist (§ 228 Satz 2 AO) – mit Schreiben vom 13. Dezember 2013 – habe der Leistungsempfänger gegen die Finanzbehörde einen Anspruch geltend gemacht. Der Antrag auf Erstattung nach § 37 Abs. 2 AO hemme den Ablauf der Verjährungsfrist.

Quelle: FG Baden-Württemberg, Newsletter 1/2021