BMF, Schreiben III C 4 - S-6400 / 21 / 10002 :002 vom 07.09.2021
Für die Auslegung und Anwendung des § 1 Abs. 2 Satz 2 VersStG bei der Versicherung von im Drittland belegenen Betriebsstätten und im Drittland ansässigen fremden Unternehmen gilt Folgendes:
I. Rechtstext
§ 1 Abs. 2 Satz 2 VersStG lautet:
„Besteht das Versicherungsverhältnis mit einem in einem EWR-Staat niedergelassenen Versicherer und ergibt sich die Steuerpflicht nicht aus Satz 1, so besteht die Steuerpflicht bei der Versicherung
- von Risiken mit Bezug auf Gegenstände im Sinne des Satzes 1 Nummer 1, die sich außerhalb des Geltungsbereichs dieses Gesetzes befinden,
- von Risiken mit Bezug auf Fahrzeuge im Sinne des Satzes 1 Nummer 2, die in ein amtliches Register eines Staates außerhalb des Geltungsbereichs dieses Gesetzes einzutragen oder eingetragen sind,
- von Reise- oder Ferienrisiken im Sinne des Satzes 1 Nummer 3, bei der der Versicherungsnehmer die zur Entstehung des Versicherungsverhältnisses erforderlichen Rechtshandlungen in einem Staat außerhalb des Geltungsbereichs dieses Gesetzes vorgenommen hat, oder
- einer außerhalb des Geltungsbereichs dieses Gesetzes belegenen Betriebsstätte oder sonstigen Einrichtung einer nicht natürlichen Person, wenn der Versicherungsnehmer seinen Sitz, Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt im Geltungsbereich dieses Gesetzes hat, es sei denn, die Gegenstände im Sinne der Nummer 1 oder nicht natürlichen Person im Sinne der Nummer 4 sind in einem EWR-Staat belegen, das Fahrzeug im Sinne der Nummer 2 ist in einem amtlichen Register eines EWR-Staates eingetragen oder die zur Entstehung des Versicherungsverhältnisses im Sinne der Nummer 3 erforderlichen Rechtshandlungen werden in einem EWR-Staat vorgenommen.“
II. Grundlagen
- Die Regelung betrifft die Versicherung von Risiken, die in einem Drittland belegen sind. Anknüpfungspunkt für die Besteuerung ist die Ansässigkeit des Versicherungsnehmers im Geltungsbereich des Gesetzes.
- Versicherungsnehmer kann jede natürliche oder nicht natürliche Person sein.
- Ob der Versicherungsnehmer eigene oder fremde Risiken versichert, ist nicht entscheidend. Dies gilt für alle in Satz 2 enthaltenen Tatbestände (Nrn. 1 bis 4). § 1 Abs. 2 Satz 2 VersStG stellt auf die Versicherung von im Drittland belegenen Risiken ab bzw. in der Nr. 3 auf die Abgabe einer Willenserklärung im Drittland. Eine eigene Beziehung des Versicherungsnehmers zum versicherten Risiko im Sinne der Versicherung eines eigenen Risikos wird nicht vorausgesetzt.
III. Verhältnis § 1 Abs. 2 Satz 2 Nr. 4 VersStG zum allgemeinen Tatbestand § Abs. 2 Satz 3 Nrn. 2 VersStG
Der allgemeine Tatbestand des § 1 Abs. 2 Satz 3 Nr. 2 VersStG betrifft „andere als die in Satz 1 genannten Risiken und Gegenstände“ und damit auch die Versicherung von Betriebsstätten. § 1 Abs. 2 Satz 3 Nr. 2 VersStG bestimmt die Steuerbarkeit für den Fall, dass sich die Betriebsstätte im Geltungsbereich des Gesetzes befindet. Daneben existiert mit § 1 Abs. 2 Satz 2 Nr. 4 VersStG ein Spezialtatbestand, der die Steuerbarkeit für die Versicherung von im Drittland belegenen Betriebsstätten regelt. Die Vorschriften regeln jeweils die Steuerbarkeit der Versicherung von Betriebsstätten, die sich hinsichtlich der Örtlichkeit der Risikobelegenheit unterscheiden.
IV. Versicherung von Betriebsstätten (§ 1 Abs. 2 Satz 2 Nr. 4 VersStG)
1. Betriebsstätten
Betriebsstätten sind unselbständige Teile eines Unternehmens. Sie können zivilrechtlich nicht Eigentümer von Gegenständen wie z. B. von Grundstücken, Gebäuden und Fahrzeugen sein.
Die Versicherung einer Betriebsstätte im engeren Sinn kann sich daher nicht auf derartige Gegenstände beziehen. Soweit eine Versicherungspolice auch derartige Gegenstände mitumfasst, betrifft die Versicherung den zivilrechtlichen Eigentümer dieser Gegenstände, nicht dagegen die Betriebsstätte als solche (1 Siehe hierzu auch nachfolgend V.).
2. Versicherung einer Betriebsstätte
a) Das in § 1 Abs. 2 Satz 2 Nr. 4 VersStG verwendete Merkmal „Versicherung einer … Betriebsstätte“ ist nicht anders auszulegen, als die im allgemeinen Tatbestand (§ 1 Abs. 2 Satz 3 Nr. 2 VersStG) verwendete Formulierung „Betriebsstätte…, auf die sich das Versicherungsverhältnis bezieht“. Die Formulierung des allgemeinen Tatbestands ist, da er insoweit der Umsetzung des Richtlinienrechts (Art. 13 Nr. 13 d ii) dient, enger an dessen Wortlaut angelehnt. Beide Regelungen beziehen sich nicht auf den Inhalt der Versicherung einer Betriebsstätte, sondern auf deren örtliche Belegenheit.
b) Unter Betriebsstättenversicherung ist die Versicherung der Geschäftstätigkeit der Betriebsstätte zu verstehen. Sie umfasst die im Versicherungsvertrag konkretisierten Risiken. Diese können die mit der Ausübung der Geschäftstätigkeit verbundenen Risiken für die Betriebsstätte und für die ihr angehörenden Personen, aber auch für Dritte betreffen. Hierzu gehören beispielsweise die Betriebsstättenhaftpflichtversicherung, die Berufshaftpflichtversicherung für Angehörige der Betriebsstätte oder auch die Auslandsunfallversicherung für in ein Drittland für einen längeren Zeitraum entsandte Arbeitnehmer, die dort eine Anlage aufbauen und eine Betriebsstätte i.S. des § 12 Satz 2 Nr. 8 Abgabenordnung (AO) bilden.
c) Auf die Versicherung von Angehörigen der im Drittland belegenen Betriebsstätte findet § 1 Abs. 5 VersStDV keine Anwendung, da diese Vorschrift ausschließlich den Versicherungsnehmer im Sinne des § 1 Abs. 2 Satz 3 VersStG betrifft (Siehe auch unten VI. 2). Die Versicherung von Personal der Betriebsstätte unterfällt der Regelung des § 1 Abs. 2 Satz 2 Nr. 4 VersStG.
V. Verhältnis § 1 Abs. 2 Satz 2 Nr. 4 VersStG zu § 1 Abs. 2 Satz 2 Nrn. 1 bis 3 VersStG
Die Tatbestände der Nrn. 1 bis 3 spiegeln die in § 1 Abs. 2 Satz 1 VersStG enthaltenen drei Sondertatbestände für Drittland-Sachverhalte. Betrifft die Versicherung ein dort genanntes Risiko, ergibt sich die Steuerbarkeit aus der entsprechenden Regelung. Auf Grund der Spezialität gilt dies auch in Fällen, in denen eines dieser Risiken im Rahmen einer Police, mit der eine Betriebsstätte i. S. der Nr. 4 versichert wird, (mit-)versichert sein sollte.
Beispiel:
Die in Deutschland ansässige A-GmbH versichert bei einem EWR-Versicherer ihre in Japan belegen Betriebsstätte einschließlich der von der Betriebsstätte genutzten Grundstücke/Gebäude und Fahrzeuge.
Ergebnis: Das gezahlte Versicherungsentgelt ist steuerbar, und zwar
a) hinsichtlich der genutzten Grundstücke/Gebäude gemäß § 1 Abs. 2 Satz 2 Nr. 1 VersStG,
b) hinsichtlich der genutzten Fahrzeuge gemäß § 1 Abs. 2 Satz 2 Nr. 2 VersStG,
c) hinsichtlich der restlichen versicherten Risiken gemäß § 1 Abs. 2 Satz 2 Nr. 4 VersStG.
VI. Versicherung von fremden Gesellschaften (z. B. Tochtergesellschaften), die in einem Drittland ansässig sind
1. Versicherung für fremde Rechnung
Wird eine fremde Gesellschaft versichert, handelt es sich um eine Versicherung für fremde Rechnung.
2. Unanwendbarkeit des § 1 Abs. 5 VersStDV
§ 1 Abs. 5 VersStDV findet auf die Versicherung einer fremden Gesellschaft mit Sitz in einem Drittland keine Anwendung. Diese Regelung betrifft die Risikobelegenheit im Geltungsbereich des Gesetzes, die dann besteht, wenn die Person, deren Risiko versichert ist (materieller Versicherungsnehmer), dort ansässig ist. Demgegenüber regelt § 1 Abs. 2 Satz 2 VersStG die Steuerbarkeit von Versicherungen, die im Drittland belegene Risiken betreffen.
3. Abgrenzung der Versicherung einer fremden Gesellschaft von der „Versicherung einer Betriebsstätte“ i. S. des § 1 Abs. 2 Satz 2 Nr. 4 VersStG
a) Fremde Gesellschaften sind eigene Rechtspersönlichkeiten und unterfallen daher nicht dem Betriebsstättenbegriff des § 1 Abs. 2 Satz 2 Nr. 4 VersStG im Sinne eines unselbständigen Teils eines Unternehmens. Die Versicherung der Hauptgeschäftsstelle/Zentrale eines Unternehmens ist daher keine Betriebsstättenversicherung i. S. des § 1 Abs. 2 Satz 2 Nr. 4 VersStG. Gleiches gilt, wenn die Versicherung neben der Hauptgeschäftsstelle/Zentrale weitere in einem Drittland belegene (unselbständige) Teile des Unternehmens mit umfasst.
b) Bezieht sich die Versicherung nicht auf die Hauptgeschäftsstelle des fremden Unternehmens, sondern nur auf einzelne Betriebsstätten, ist § 1 Abs. 2 Satz 2 Nr. 4 VersStG anwendbar.
Beispiel 1:
Die in den USA ansässige Tochtergesellschaft T besteht aus deren Hauptgeschäftsstelle/Zentrale sowie aus den in den USA belegenen Betriebsstätten A, B und C des Tochterunternehmens. Die in Deutschland ansässige Muttergesellschaft versichert das gesamte Unternehmen einschl. der Betriebsstätten A, B und C.
Ergebnis: § 1 Abs. 2 Satz 2 Nr. 4 VersStG findet keine Anwendung.
Beispiel 2:
Wie Beispiel 1. Die in Deutschland ansässige Muttergesellschaft versichert die Hauptgeschäftsstelle/Zentrale der T und die Betriebsstätte A des Tochterunternehmens.
Ergebnis: § 1 Abs. 2 Satz 2 Nr. 4 VersStG findet keine Anwendung.
Beispiel 3:
Wie Beispiel 1. Die in Deutschland ansässige Muttergesellschaft versichert ausschließlich die Betriebsstätten B und C des Tochterunternehmens.
Ergebnis: In diesem Fall handelt es sich um die Versicherung von Betriebsstätten im Sinne des § 1 Abs. 2 Satz 2 Nr. 4 VersStG. Das hierfür gezahlte Versicherungsentgelt ist steuerbar.
4. Die (Mit-)Versicherung von im Geltungsbereich des Gesetzes belegenen Betriebsstätten einer im Drittland ansässigen Gesellschaft
Die Steuerbarkeit des für die Versicherung der Betriebsstätten (anteilig) gezahlten Versicherungsentgelts ergibt sich insoweit aus dem allgemeinen Tatbestand des § 1 Abs. 2 Satz 3 VersStG. Das diese Betriebsstätten betreffende versicherte Risiko ist im Geltungsbereich des Gesetzes belegen.
VII. Versicherung von fremden Gesellschaften (z. B. Tochtergesellschaften), die in Deutschland oder in einem EWR-Staat ansässig sind
Eine Steuerbarkeit kann sich in diesen Fällen nur aus dem allgemeinen Tatbestand des § 1 Abs. 2 Satz 3 VersStG ergeben und besteht nur, soweit sich die versicherten Teile des versicherten Unternehmens in Deutschland befinden. Auf mitversicherte Betriebsstätten des versicherten Unternehmens, die sich im Drittland befinden, findet § 1 Abs. 2 Satz 2 Nr. 4 VersStG keine Anwendung.
Beispiel 1:
Die in Deutschland ansässige Muttergesellschaft versichert eine in Deutschland ansässige Tochtergesellschaft einschl. deren in Deutschland und im Drittland befindlichen Betriebsstätten.
Ergebnis: Das für die in Deutschland befindlichen Teile des Unternehmens (Hauptgeschäftsstelle/Zentrale und Betriebsstätten) gezahlte Versicherungsentgelt ist gemäß § 1 Abs. 2 Satz 3 Nr. 2 VersStG steuerbar. Das für die im Drittland befindlichen Betriebsstätten anteilig gezahlte Versicherungsentgelt ist nicht nach § 1 Abs. 2 Satz 2 Nr. 4 VersStG steuerbar.
Beispiel 2:
Die in Deutschland ansässige Muttergesellschaft versichert eine Tochtergesellschaft mit Sitz in einem anderen EWR-Staat einschließlich deren im Drittland befindlichen Betriebsstätten.
Ergebnis: Das Versicherungsentgelt ist nicht steuerbar. Hinsichtlich der mitversicherten Betriebsstätten im Drittland findet § 1 Abs. 2 Satz 2 Nr. 4 VersStG keine Anwendung.
Beispiel 3:
Die in Deutschland ansässige Muttergesellschaft versichert eine Tochtergesellschaft mit Sitz in einem anderen EWR-Staat einschließlich deren Betriebsstätten im anderen EWR-Staat, im Drittland und in Deutschland.
Ergebnis: Nur das auf die in Deutschland belegenen Betriebsstätten entfallende anteilige Versicherungsentgelt ist gemäß § 1 Abs. 2 Satz 3 Nr. 2 VersStG steuerbar.
VIII. Steuerbarkeit der Versicherung von Sonderrisiken i.S. des § 1 Abs. 2 Satz 2 Nrn. 1 bis 3 VersStG
Betrifft die Versicherung einer fremden Gesellschaft mit Sitz in einem Drittland oder einer im Drittland belegenen Betriebsstätte auch oder ausschließlich die in den Nrn. 1 bis 3 des § 1 Abs. 2 Satz VersStG genannten Sonderrisiken, ist das hierauf entfallende Versicherungsentgelt stets steuerbar. In den Fällen der Nr. 1 und 2 kommt es nicht darauf an, in wessen Eigentum die versicherten unbeweglichen Sachen oder Fahrzeuge stehen.
Die Versicherung einer fremden Gesellschaft ist nicht auf die Absicherung von Geschäftstätigkeitsrisiken beschränkt, sondern kann auch Risiken in Bezug auf Gegenstände, wie Grundstücke, Gebäude und Fahrzeuge betreffen, die entweder in deren Eigentum oder im Eigentum eines Dritten stehen. Bei der Versicherung von Grundstücken/Gebäuden oder von Fahrzeugen ergibt sich die Steuerbarkeit aus dem jeweils einschlägigen Tatbestand des § 1 Abs. 2 Satz 2 Nr. 1 oder Nr. 2 VersStG.
Beispiel:
Die in Berlin ansässige Muttergesellschaft versichert mit einer Generalpolice drei im Drittland ansässige Tochtergesellschaften. Die abgesicherten Risiken betreffen
a) Produktionsausfälle infolge von verspäteten Zulieferungen von Rohstoffen,
b) von der Tochtergesellschaft verursachte Umweltschäden,
c) sonstige Haftpflichtschäden,
d) D&O-Versicherung für Geschäftsführung und Vorstände,
e) von der Tochtergesellschaft genutzte Grundstücke und Gebäude,
f) von der Tochtergesellschaft genutzte Fahrzeuge.
Ergebnis: Das für die Versicherung gezahlte Versicherungsentgelt ist insoweit nach § 1 Abs. 2 Satz 2 Nrn. 1 und 2 VersStG steuerbar, als es auf die Versicherung der oben unter e) und f) genannten Risiken entfällt.
Quelle: BMF