BMF, Schreiben (koordinierter Ländererlass) III C 2 – S-7100 / 19 / 10008 :003 vom 18.03.2020
I. Grundsätzliches
Der EuGH hat mit Urteil vom 4. Oktober 2017, Rs. C-164/16, Mercedes-Benz Financial Services UK Ltd, entschieden, dass die in Art. 14 Abs. 2 Buchstabe b MwStSystRL verwendete Formulierung „Mietvertrag, der die Klausel enthält, dass das Eigentum unter normalen Umständen spätestens mit Zahlung der letzten fälligen Rate erworben wird“ dahin auszulegen ist, dass für die Annahme einer Lieferung zwei Voraussetzungen erfüllt sein müssen.
Zum einen muss der Vertrag, aufgrund dessen die Übergabe des Gegenstands erfolgt, ausdrücklich eine Klausel zum Übergang des Eigentums an diesem Gegenstand vom Leasinggeber auf den Leasingnehmer enthalten. Diese Voraussetzung sieht der EuGH als erfüllt an, wenn der Vertrag eine Kaufoption für den Leasinggegenstand vorsieht.
Zum anderen muss aus den – zum Zeitpunkt der Vertragsunterzeichnung und objektiv zu beurteilenden – Vertragsbedingungen deutlich hervorgehen, dass das Eigentum am Gegenstand automatisch auf den Leasingnehmer übergehen soll, wenn der Vertrag bis zum Vertragsablauf planmäßig ausgeführt wird.
Der Vertrag darf dem Leasingnehmer keine echte wirtschaftliche Alternative in dem Sinne bieten, dass er zu dem Zeitpunkt, an dem er eine Wahl zu treffen hat, je nach Interessenlage den Gegenstand erwerben, zurückgeben oder weiter mieten kann. Bei einer im Vertrag enthaltenen – formal zwar völlig unverbindlichen – Kaufoption ist diese Voraussetzung erfüllt, wenn angesichts der finanziellen Vertragsbedingungen die Optionsausübung zum gegebenen Zeitpunkt in Wirklichkeit als einzig wirtschaftlich rationale Möglichkeit für den Leasingnehmer erscheint.
Die umsatzsteuerliche Beurteilung von Leasing- und Mietverträgen in Abschnitt 3.5 Abs. 5 und 6 UStAE steht teilweise nicht im Einklang mit der EuGH-Entscheidung.
Abschnitt 3.5 Abs. 5 UStAE stellt für die Annahme einer Lieferung darauf ab, ob der Leasingnehmer wie ein Eigentümer über den Gegenstand verfügen kann, und verweist hierzu auf die einkommensteuerrechtliche Zurechnung des Gegenstandes. Danach sind für eine Zurechnung des Leasinggegenstands – unabhängig von einer Kaufoption – u. a. das Verhältnis der unkündbaren Grundmietzeit zur betriebsgewöhnlichen Nutzungsdauer, eine wirtschaftlich sinnvolle Verwendbarkeit nach Ablauf der Mietzeit beim Leasinggeber und das Verhältnis des Kaufpreises zum Buchwert zum Zeitpunkt des Ablaufs der Mietzeit maßgeblich.
Nach Abschnitt 3.5 Abs. 6 Satz 1 UStAE liegt bei Mietverträgen i. S. des § 535 BGB mit dem Recht zum Kauf, nach denen der Übergang des zivilrechtlichen Eigentums von weiteren Willenserklärungen abhängig ist, eine Lieferung erst zum Zeitpunkt der übereinstimmenden Willenserklärung vor. Dies widerspricht der Auffassung des EuGHs, nach der sich die Frage, ob es sich um eine Lieferung oder sonstige Leistung handelt, im Sinne der Rechtssicherheit bereits zum Zeitpunkt des Vertragsabschlusses eindeutig klären lassen muss.
Die Abs. 5 und 6 des Abschnitts 3.5 UStAE sind in ihrer derzeitigen Fassung insoweit nicht mehr anwendbar.
II. Änderung des Umsatzsteuer-Anwendungserlasses
Unter Bezugnahme auf das Ergebnis der Erörterungen mit den obersten Finanzbehörden der Länder wird Abschnitt 3.5 des Umsatzsteuer-Anwendungserlasses (UStAE) vom 1. Oktober 2010, BStBl I S. 864, der zuletzt durch das BMF-Schreiben vom 6. Februar 2020 – III C 3 – S-7156 / 19 / 10002 :001 (2020/0057950), BStBl I S. 235, geändert worden ist, wie folgt geändert:
1. Nach Absatz 4 wird die Zwischenüberschrift wie folgt gefasst:
„Lieferungen und sonstige Leistungen bei Miet – und Leasingverträgen „
2. Absatz 5 wird wie folgt gefasst:
„(5) 1Werden Gegenstände im Leasingverfahren überlassen, ist die Übergabe des Gegenstands durch den Leasinggeber an den Leasingnehmer nur dann eine Lieferung, wenn:
- der Vertrag ausdrücklich eine Klausel zum Übergang des Eigentums an diesem Gegenstand vom Leasinggeber auf den Leasingnehmer enthält und
- aus den – zum Zeitpunkt der Vertragsunterzeichnung und objektiv zu beurteilenden – Vertragsbedingungen deutlich hervorgeht, dass das Eigentum am Gegenstand automatisch auf den Leasingnehmer übergehen soll, wenn der Vertrag bis zum Vertragsablauf planmäßig ausgeführt wird.
2Eine ausdrückliche Klausel zum Eigentumsübergang liegt auch vor, wenn der Vertrag eine Kaufoption für den Gegenstand enthält. 3Bei einer im Vertrag enthaltenen – formal zwar völlig unverbindlichen – Kaufoption ist die zweite Voraussetzung erfüllt, wenn angesichts der finanziellen Vertragsbedingungen die Optionsausübung zum gegebenen Zeitpunkt in Wirklichkeit als einzig wirtschaftlich rationale Möglichkeit für den Leasingnehmer erscheint. 4Der Vertrag darf dem Leasingnehmer keine echte wirtschaftliche Alternative in dem Sinne bieten, dass er zu dem Zeitpunkt, an dem er eine Wahl zu treffen hat, je nach Interessenlage den Gegenstand erwerben, zurückgeben oder weiter mieten kann. 5Dies kann z. B. dann der Fall sein, wenn nach dem Vertrag zu dem Zeitpunkt, zu dem die Option ausgeübt werden darf, die Summe der vertraglichen Raten dem Verkehrswert des Gegenstands einschließlich der Finanzierungskosten entspricht und der Leasingnehmer wegen der Ausübung der Option nicht zusätzlich eine erhebliche Summe entrichten muss (vgl. EuGH-Urteil vom 4. 10 2017, C-164/16, Mercedes-Benz Financial Services UK Ltd, BStBl II 2020, S. XXX). 6Eine erhebliche Summe ist im Sinne des Satzes 5 zu entrichten, wenn der zusätzlich zu entrichtende Betrag 1 Prozent des Verkehrswertes des Gegenstandes im Zeitpunkt der Ausübung der Option übersteigt. 7Für die Überlassung eines Gegenstands außerhalb des Leasingverfahrens (z. B. Mietverträge im Sinne des § 535 BGB mit Recht zum Kauf) gelten die Sätze 1 bis 5 sinngemäß.
3. Absatz 6 wird wie folgt gefasst:
„(6) Erfolgt bei einer grenzüberschreitenden Überlassung eines Leasing- Gegenstands (sog. Cross-Border-Leasing) die Zuordnung dieses Gegenstands auf Grund eines Rechts eines anderen Mitgliedstaates ausnahmsweise abweichend von Absatz 5 bei dem im Inland ansässigen Vertragspartner, ist dieser Zuordnung zur Vermeidung von endgültigen Steuerausfällen zu folgen; ist die Zuordnung abweichend von Absatz 5 bei dem im anderen Mitgliedstaat ansässigen Vertragspartner erfolgt, kann dieser gefolgt werden, wenn der Nachweis erbracht wird, dass die Überlassung in dem anderen Mitgliedstaat der Besteuerung unterlegen hat.“
4. Absatz 7 Satz 5 wird wie folgt gefasst:
„5 Daher ist z. B. bei einer nach Absatz 5 als Lieferung zu qualifizierenden Nutzungsüberlassung mit vorangehender Eigentumsübertragung auf den Überlassenden (sog. sale-and-Mietkauf-back) ein Finanzierungsgeschäft anzunehmen.“
III. Anwendung
Die Grundsätze dieses Schreibens sind in allen offenen Fällen anzuwenden. Für vor dem 18. März 2020 abgeschlossene Leasing- und Mietverträge wird es jedoch – auch für Zwecke des Vorsteuerabzugs – nicht beanstandet, wenn die Beteiligten Abschnitt 3.5 Abs. 5 und 6 UStAE übereinstimmend in der am 17. März 2020 geltenden Fassung anwenden.
Dieses Schreiben wird im Bundessteuerblatt Teil I veröffentlicht.