FG Baden-Württemberg, Mitteilung vom 22.12.2022 zum Urteil 5 K 1635/20 vom 01.04.2022 (nrkr - BFH-Az.: VIII R 10/22)
Beteiligt sich ein Arbeitnehmer kapitalmäßig an seinem Arbeitgeber, kann die Beteiligung eigenständige Erwerbsgrundlage sein, sodass damit in Zusammenhang stehende Erwerbseinnahmen und Erwerbsaufwendungen in keinem einkommensteuerrechtlich erheblichen Veranlassungszusammenhang zum Arbeitsverhältnis stehen. Der Arbeitnehmer nutzt in diesem Fall sein Kapital als eine vom Arbeitsverhältnis unabhängige und eigenständige Erwerbsgrundlage zur Einkünfteerzielung. Die daraus erzielten laufenden Erträge sind dann keine Einkünfte aus nichtselbstständiger Arbeit, sondern solche aus Kapitalvermögen.
Sachverhalt
Die Kläger sind verheiratet und wurden gemeinsam zur Einkommensteuer veranlagt. In den Streitjahren 2013 bis 21015 war der Kläger leitender Angestellter (Projektleiter) der international tätigen A KG und erzielte Einkünfte aus nichtselbstständiger Arbeit. Der Kläger schloss mit der A KG einen Gesellschaftsvertrag zur Begründung einer „typischen stillen Gesellschaft“, für den nachträglich eine Rangrücktrittserklärung vereinbart wurde. Der ursprüngliche Gesellschaftsvertrag enthielt eine Einlageverpflichtung des Klägers, die er später freiwillig erhöhte. Die Leistung der jeweils vereinbarten Einlage konnte durch Bareinzahlung oder Stehenlassen von Tantieme- und Vergütungsansprüchen bzw. durch Gutschrift von künftigen Gewinnanteilen aus der stillen Gesellschaft erfolgen. Der Kläger leistete sämtliche Einlageverpflichtungen durch Stehenlassen von Gewinnanteilen. Die Einlage ging jeweils in das Vermögen der A KG über und wurde auf dem festen Kapitalkonto verbucht. Der Kläger erhielt als stiller Gesellschafter im Innenverhältnis eine Ergebnisbeteiligung nach Maßgabe des Gesellschaftsvertrags, war aber zu keinem Zeitpunkt im Außenverhältnis für Gläubiger der A KG haftbar. Hiervon unberührt blieb die Haftung im Innenverhältnis mit der geleisteten Einlage sowie der angesparten Rücklage aufgrund der Rangrücktrittsregelungen. Die jeweilige Beteiligung des Klägers am Jahresergebnis der A KG richtete sich nach dem Verhältnis der im Gesellschaftsvertrag vereinbarten Einlage des Klägers zum Gesamtkapital der A KG. Die Ergebnisbeteiligung sämtlicher stiller Gesellschafter war auf maximal 25 % begrenzt.
Die jeweils auf den Kläger entfallende Beteiligung am Jahresergebnis (die „Gewinnanteile“), die weder dem Kapitalkonto, Verlustkonto oder Rücklagenkonto zuzuführen waren, wurden dem Darlehenskonto gutgeschrieben. Während der Kläger Guthaben auf dem Darlehenskonto jederzeit entnehmen konnte, waren die Einlage und das Guthaben auf dem Rücklagenkonto vor Beendigung der stillen Gesellschaft nicht entnahmefähig. Der Gesellschaftsvertrag sah für den Fall der Beendigung des Anstellungsverhältnisses vor, dass die stille Gesellschaft unter Einhaltung einer Kündigungsfrist von drei Monaten zum nächsten 31. Dezember durch beide Parteien gekündigt werden konnte.
Im Zusammenhang mit der Beendigung des Dienstverhältnisses wurde die stille Gesellschaft einvernehmlich aufgehoben. Der Kläger hatte daraufhin einen Anspruch auf Auszahlung des Auseinandersetzungsguthabens. Der Kläger erklärte die Einkünfte aus der stillen Beteiligung im Rahmen seiner Einkommensteuererklärung der Kalenderjahre 2013 bis 2016 als Einkünfte aus Kapitalvermögen, die das beklagte Finanzamt (FA) als Einkünfte aus nichtselbstständiger Arbeit besteuerte.
Aus den Gründen
Das Finanzgericht gab der Klage nach erfolglosem Einspruchsverfahren statt. Die Gewinnanteile aus der Beteiligung als typisch stiller Gesellschafter der A KG seien als Einkünfte aus Kapitalvermögen gemäß § 20 Abs. 1 Nr. 4 EStG anstatt als Einkünfte aus nichtselbstständiger Arbeit gemäß § 19 EStG zu qualifizieren.
Abgrenzung von Kapital- und Lohneinkünften bei Arbeitnehmerbeteiligungen
Beteilige sich ein Arbeitnehmer kapitalmäßig an seinem Arbeitgeber, könne die Beteiligung eigenständige Erwerbsgrundlage sein, sodass damit in Zusammenhang stehende Erwerbseinnahmen und Erwerbsaufwendungen in keinem einkommensteuerrechtlich erheblichen Veranlassungszusammenhang zum Arbeitsverhältnis stünden. Der Arbeitnehmer nutze in diesem Fall sein Kapital als eine vom Arbeitsverhältnis unabhängige und eigenständige Erwerbsgrundlage zur Einkünfteerzielung, die daraus erzielten laufenden Erträge seien keine Einkünfte aus nichtselbstständiger Arbeit, sondern solche aus Kapitalvermögen. Für den Charakter einer Beteiligung als eigenständige und vom Arbeitsverhältnis unabhängige Erwerbsgrundlage spreche es insbesondere, wenn der Arbeitsvertrag keinen Anspruch auf den Erwerb der Beteiligung und einen anteiligen Veräußerungserlös als Gegenleistung für die nichtselbstständige Tätigkeit vorsehe, die Beteiligung vom Arbeitnehmer zum Marktpreis (und nicht etwa verbilligt) erworben und veräußert werde und der Arbeitnehmer das volle Verlustrisiko trage sowie keine besonderen Umstände aus dem Arbeitsverhältnis erkennbar seien, die Einfluss auf die Veräußerbarkeit und Wertentwicklung der Beteiligung nehmen würden.
Nach den vorgenannten Maßstäben sei der Senat im Rahmen einer Gesamtschau davon überzeugt, dass die dem Kläger aus der stillen Beteiligung zugeflossenen Erträge als Einkünfte aus Kapitalvermögen (§ 20 Abs. 1 Nr. 4 EStG) zu qualifizieren und nicht durch die Einkünfte aus nichtselbstständiger Arbeit (§ 19 EStG) veranlasst gewesen seien.
Haftungs- und Verlustrisiko des Klägers aus der stillen Beteiligung
Für ein unabhängig vom Arbeitsverhältnis bestehendes Sonderrechtsverhältnis spreche besonders, dass die Ausgestaltung der stillen Beteiligung formell nach den üblichen gesetzlichen Kriterien erfolgt sei, den Kläger in Höhe der Einlage und auch der Rücklage ein Verlustrisiko getroffen habe und mit der vereinbarten Nachrangigkeit die stille Beteiligung überwiegend gesellschaftsrechtlich bzw. bilanzrechtlich motiviert gewesen sei. Der Kläger hätte zudem einen möglichen Verlust aus seinem privaten und bereits versteuerten Vermögen tragen müssen.
Stärkung des Eigenkapitals der A KG
Der Senat sei zudem davon überzeugt, dass die stille Gesellschaft aus Sicht der A KG in erster Linie darin begründet gewesen sei, das bilanziell ausgewiesene Eigenkapital der A KG zu stärken und nicht etwa die Arbeitsleistung des Klägers zu vergüten. Als Familiengesellschaft sei es ihr nachvollziehbar darauf angekommen, dieses Kapital nicht von fremden Dritten zu erlangen, sondern auf ihre Kapitalgeber dauerhaft vertrauen zu können. Zudem habe der Kläger glaubhaft vorgetragen, dass die Unternehmensfinanzierung durch Geschäftsbanken aufgrund der Risikostruktur der A KG nur eingeschränkt möglich gewesen sei. Die A KG habe deswegen in den 90er Jahren ihre Kapitaldecke durch Begründung stiller Gesellschaften mit ihren führenden Mitarbeitern gestärkt. Dies könne auch als starkes Signal an die Kunden und fremde Kreditgeber der A KG gewertet werden, was ebenfalls für ein Sonderrechtsverhältnis spreche.
Zuführung in das Rücklagenkonto
Weiteres erhebliches Indiz für die Begründung eines Sonderrechtsverhältnisses sei zudem die Zuführung von Kapital auf das Rücklagenkonto. Laut Gesellschaftsvertrag seien Gewinne, die nicht vorrangig dem Kapitalkonto oder dem Verlustkonto gutzuschreiben waren, mit 25 % des jeweiligen Gewinnanteils auf dem Rücklagenkonto verbucht worden. Die Zuführung zum Rücklagenkonto sei eine rein fakultative Regelung, der es zur Begründung der stillen Gesellschaft nicht bedurft hätte. Hierfür wäre die Verpflichtung zur Einlage ausreichend gewesen. Das Rücklagenkonto begründe Eigenkapital der Gesellschaft und sei vom Verlustrisiko betroffen. Laut Gesellschaftsvertrag hätte der Gesellschafter nur durch Kündigung des Gesellschaftsvertrages über die gebildeten Rücklagen verfügen können. Auch insofern sei ersichtlich, dass die Motivation der Vertragsparteien nicht im Arbeitsverhältnis, sondern im Gesellschaftsrecht begründet gewesen sei. Das Verhältnis der Gesamteinlagen der stillen Gesellschafter zu den Gesamtdarlehen in Höhe von 13,51 % könne in diesem Zusammenhang ebenfalls angeführt werden.
Renditemöglichkeiten der Gesellschafter
Aufgrund der vorgenannten Motivation, die A KG bzw. ihr Eigenkapital durch stille Beteiligungen zu stärken, halte der Senat auch die Renditemöglichkeiten der Gesellschafter für nicht aus dem Arbeitsverhältnis begründet. Die gesamte Gestaltung entspreche handelsrechtlichen Vorgaben. Aus Sicht des Senats sei auch die Höhe der Rendite nicht zu beanstanden.
Kein „Anreizlohn“
Auch im Übrigen seien die Argumente des Klägers überzeugend, denn tatsächlich habe er bereits ein fremdübliches Gehalt mit variablen Anteilen erhalten und es sei nicht ersichtlich geworden, dass die Ausgestaltung der stillen Beteiligung ähnlich einem Aktienaktionsprogramm als „Anreizlohn“ ausgestaltet gewesen sei. Dem sogenannten „Anreizlohn“ sei es zu eigen, dass die Mitarbeiter verbilligt Aktien erwerben können. Vorliegend verhalte es sich allerdings anders, da der Kläger zunächst die stille Beteiligung aus versteuerten Einnahmen habe erwerben müssen und kein zusätzliches Entgelt erhalten habe. Hieran ändere sich auch dadurch nichts, dass es möglich gewesen sei, die Einlage durch Stehenlassen von Gewinnen zu erbringen.
Kündigungsrecht
Auch das Kündigungsrecht der A KG bzw. des Klägers bei Beendigung des Arbeitsverhältnisses führe hier zu keinem anderen Ergebnis. Das Kündigungsrecht sei letztlich Ausdruck und Folge der Mitarbeiterbeteiligung und rechtfertige für sich allein noch nicht die Annahme, dass dem Arbeitnehmer durch die Gewährung einer Möglichkeit zur Beteiligung Lohn zugewendet würde. Dies gelte im vorliegenden Fall umso mehr, als beiden Beteiligten nur ein Kündigungsrecht zugestanden habe, von einem Automatismus könne man also nicht sprechen.
Abweichung von Urteilen des Sächsischen Finanzgerichts
Dem Senat sei bekannt, dass das Sächsische Finanzgericht in seinen Urteilen vom 25. November 2021 (Az. 8 K 438/21 und 8 K 849/21) über ähnlich gelagerte Fälle zu entscheiden gehabt habe und in beiden Verfahren zu dem Ergebnis gekommen sei, die Ergebnisbeteiligungen seien in Mitarbeiterlohn umzuqualifizieren. In den Verfahren seien Nichtzulassungsbeschwerden beim BFH anhängig.
Allerdings unterschieden sich die festgestellten Sachverhalte nach den vorliegenden Erkenntnissen in wesentlichen Punkten. So habe in den Verfahren des Sächsischen Finanzgerichts die Gesellschaft automatisch mit Beendigung des Arbeitsverhältnisses geendet, es sei keine zusätzliche Rücklage aufgebaut worden, es habe kein Verlustrisiko bestanden, es sei keine nachträgliche Rangrücktrittsvereinbarung vereinbart worden und auch die besondere Situation der Beschaffung von Eigenkapital für den Arbeitgeber scheine dort keine Rolle gespielt zu haben.
Quelle: Finanzgericht Baden-Württemberg, Newsletter 3/2022