Umsatzsteuer - 23. Oktober 2025

Lieferung von alkoholischen Flüssigkeiten durch Landwirte unterliegt der Regelbesteuerung

FG Baden-Württemberg, Mitteilung vom 23.10.2025 zum Urteil 14 K 2016/21 vom 24.04.2024 (nrkr - BFH-Az.: V R 37/24)

  1. Alkohol ist weder ein landwirtschaftliches Erzeugnis noch die Herstellung von Rohalkohol aus Obstmaische eine landwirtschaftliche Dienstleistung.
  2. Die Herstellung von Alkohol mittels einer Destillieranlage (Schnapsbrennkessel) ist umsatzsteuerrechtlich kein landwirtschaftlicher Nebenbetrieb, weil er nicht mit Mitteln ausgeübt wird, die normalerweise in land- und forstwirtschaftlichen Betrieben verwendet werden.

Sachverhalt

Der Kläger betreibt eine Landwirtschaft mit angeschlossener Brennerei. Er baut Obst an, das er teilweise verkauft und teilweise zu Alkohol verarbeitet. Er produziert mittels einer Destillieranlage diverse Obstbrände. Die sensorisch besten Brände füllt er selbst ab und verkauft sie als Schnäpse an Laufkundschaft und Hofläden. Den Rest liefert er als Rohalkohol an Großhändler. Für die Streitjahre 2015 bis 2018 unterwarf der Kläger die Entgelte aus dem Verkauf von selbst hergestellten Bränden der Pauschalsteuer von 8,3 % und die Entgelte aus den Lieferungen von Rohalkohol an Großhändler der Regelbesteuerung mit 19 %.

Abweichend von seinen bisherigen Erklärungen beantragte der Kläger im März 2020, die gesamten Umsätze mit alkoholischen Flüssigkeiten der Pauschalbesteuerung zu unterwerfen. Soweit er Rohalkohol an Großhändler verkaufe, würde diese und nicht er den Rohalkohol einer Reinigung durch eine zweite Destillation unterziehen. Das beklagte FA lehnte die Änderungsanträge ab, da die Reinigung zu einem Produkt der zweiten oder einer höheren Verarbeitungsstufe führe und die Umsätze deswegen der Regelbesteuerung unterlägen. Die hiergegen erhobene Klage wies das das Finanzgericht ab.

Aus den Gründen

Das FA habe die streitigen Umsätze zurecht der Regelbesteuerung unterworfen.

Effektiver Steuersatz von 8,3 % auf alkoholische Flüssigkeiten land- und forstwirtschaftlicher Betriebe und Nebenbetriebe

Gemäß § 24 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 UStG in der für den Streitzeitraum 2015 bis 2018 geltenden Fassung wird für die Lieferung von alkoholischen Flüssigkeiten die Steuer für die im Rahmen eines land- und forstwirtschaftlichen Betriebes ausgeführten Umsätze vorbehaltlich der Sätze 2 bis 4 auf 19 % festgesetzt. Nach Satz 3 Alt. 2 der Vorschrift werden die Vorsteuerbeträge auf 10,7 % der Bemessungsgrundlage für diese Umsätze festgesetzt. Nach Satz 4 entfällt ein weiterer Vorsteuerabzug. Aus dem pauschalen Vorsteuerabzug ergibt sich ein effektiver Steuersatz von 8,3 % auf alkoholische Flüssigkeiten.

Nach § 24 Abs. 2 Nr. 1 UStG gelten als land- und fortwirtschaftlicher Betrieb unter anderem die Landwirtschaft und der Wein-, Garten-, Obst- und Gemüsebau. Nach Satz 2 der Vorschrift gehören zum land- und forstwirtschaftlichen Betrieb auch die Nebenbetriebe, die dem land- und forstwirtschaftlichen Betrieb zu dienen bestimmt sind.

Gemeinschaftsrechtliche Grundlagen der Privilegierung der Land- und Forstwirte

Diese Regelung zur Privilegierung der Land- und Forstwirte habe in ähnlicher Form schon vor der Vereinheitlichung des Umsatzsteuerrechts durch die Europäische Union bestanden. Sie finde eine Entsprechung in den Artikeln 295 ff. der Richtlinie 2006/112/EG des Rates vom 28. November 2006 über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem (MwStSystRL). Diese Vorschriften würden es den Mitgliedstaaten gestatten, auf landwirtschaftliche Erzeugnisse eine Pauschalregelung anzuwenden. Landwirtschaftliche Erzeugnisse seien die Gegenstände, die im Rahmen der in Anhang VII aufgeführten Tätigkeiten von den land-, forst- oder fischwirtschaftlichen Betrieben der einzelnen Mitgliedstaaten erzeugt würden (Art. 295 Abs. 1 Nr. 4 MwStSystRL). Tätigkeiten der landwirtschaftlichen Erzeugung seien u. a. der Ackerbau im Allgemeinen, einschließlich Wein- und Obstbau.

Verarbeitung landwirtschaftlicher Erzeugnisse

Den in Anhang VII aufgeführten Tätigkeiten der landwirtschaftlichen Erzeugung gleichgestellt sind gemäß Art. 295 Abs. 2 MwStSystRL die Verarbeitungstätigkeiten, die ein Landwirt bei im Wesentlichen aus seiner landwirtschaftlichen Produktion stammenden Erzeugnissen mit Mitteln ausübt, die normalerweise in land-, forst- oder fischwirtschaftlichen Betrieben verwendet werden.

Destilliervorgang kein landwirtschaftliches Erzeugnis

Auf der Grundlage dieser gesetzlichen Regelung und der dazu ergangenen Rechtsprechung habe das FA im Ergebnis zu Recht die Pauschalbesteuerung der streitgegenständlichen Umsätze abgelehnt. Entscheidend hierfür sei allerdings nicht, dass durch den zweiten Destilliervorgang ein Produkt höherer Verarbeitungsstufe entstanden sei, das nicht mehr als landwirtschaftliches Produkt angesehen werden könne und diese zweite Destillation dem Kläger zuzurechnen sei. Letzteres sei nach Auffassung des Senats nicht der Fall, weil der wichtigste Großabnehmer des Klägers glaubhaft ausgeführt habe, der Kläger selbst habe keine Verträge über den zweiten Destilliervorgang abgeschlossen, sondern ihm seien hierfür nur die Kosten auferlegt worden. Hierauf komme es jedoch nicht an, weil bereits nach dem ersten Destilliervorgang, den der Kläger durchgeführt habe, kein landwirtschaftliches Erzeugnis mehr vorgelegen bzw. keine Verarbeitung im Rahmen einer landwirtschaftlichen Tätigkeit stattgefunden habe. Nach Auffassung des Senats hätten sämtliche Umsätze der Brennerei der Regelbesteuerung unterworfen werden müssen.

Herstellung des Rohalkohols aus dem angebauten Obst finde nicht mehr im Rahmen des landwirtschaftlichen Betriebs statt

Zwar sei der Kläger unstreitig ein „landwirtschaftlicher Erzeuger“ im Sinne der MwStSystRL und betreibe einen landwirtschaftlichen Betrieb in Gestalt eines Obstbaus im Sinne des UStG und der MwStSystRL. Doch finde die Herstellung des Rohalkohols aus dem angebauten Obst nicht mehr im Rahmen des landwirtschaftlichen Betriebs statt.

Der Alkohol sei kein landwirtschaftliches Erzeugnis im Sinne von Art. 295 Abs. 1 Nr. 4 MwStSystRL. Die Herstellung von Alkohol sei in der MwStSystRL mit Ausnahme des in Anhang VII unter Nr. 1 Buchst. a genannten Weinbaus nicht erwähnt. Die Alkoholerzeugung aus Obst sei kein Obstanbau im Sinne von Anhang VII Nr. 1 Buchst. b MwStSystRL und von § 24 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 UStG. Eine entsprechende Auslegung würde die Wortsinngrenze überschreiten.

Brennerei sei kein landwirtschaftlicher Nebenbetrieb

Die Brennerei und damit die Herstellung des Alkohols sei umsatzsteuerrechtlich auch kein landwirtschaftlicher Nebenbetrieb im Sinne des § 24 Abs. 2 Satz 2 UStG bzw. die Alkoholherstellung mittels Destillierung keine nach Art. 295 Abs. 2 MwStSystRL der landwirtschaftlichen Erzeugung gleichgestellte Verarbeitungstätigkeit, weil sie nicht mit Mitteln ausgeübt werde, die normalerweise in land-, forst- oder fischwirtschaftlichen Betrieben verwendet würden.

Destillieranlage sei keine typische Ausrüstung eines landwirtschaftlichen Betriebs

Für die Gewinnung des Rohalkohols aus der Obstmaische sei eine Destillieranlage (Schnapsbrennkessel) erforderlich. Der Senat sei der Auffassung, dass dies kein Mittel sei, das normalerweise in einem landwirtschaftlichen Betrieb verwendet werde. Auch wenn eine Destillieranlage eine vergleichsweise einfache technische Vorrichtung sei, die günstig erworben werden könne, so liege dennoch keine typische Ausrüstung eines landwirtschaftlichen Betriebs vor. Dabei habe das Gericht nicht übersehen, dass es jedenfalls im südbadischen Raum eine lange Tradition landwirtschaftlicher Betriebe mit angeschlossener Brennerei gebe. Bereits im Jahr 1726 habe es der Straßburger Bischof, Kardinal Armand Gaston de Rohan, es allen Einwohnern erlaubt, für den Eigengebrauch zu destillieren. In Deutschland gebe es derzeit noch ca. 30.000 Kleinbrennereien, die alle im süddeutschen Raum beheimatet seien.

Vor dem Hintergrund, dass die Art. 295 ff. MwStSystRL eng und gemeinschaftsweit identisch auszulegen seien, genüge dies nach Auffassung des Senats aber nicht, um die Herstellung von Rohalkohol als landwirtschaftliche Tätigkeit zu qualifizieren. Bei ca. 263.000 landwirtschaftlichen Betrieben bundesweit im Jahr 2020 betrage der Anteil der landwirtschaftlichen Betriebe mit angeschlossener Brennerei nur gut 11 %.

Destillationsvorgang sei auch keine landwirtschaftliche Dienstleistung

Der Destillationsvorgang sei auch keine landwirtschaftliche Dienstleistung im Sinne von Art. 295 Abs. 1 Nr. 5 MwStSystRL. Im vorliegenden Fall sei der Streitgegenstand zwar keine landwirtschaftliche Dienstleistung, sondern die Frage, ob eine Verarbeitungstätigkeit im Sinne des Art. 295 Abs. 2 MwStSystRL gegeben sei. Die landwirtschaftlichen Dienstleistungen führten nicht dazu, dass der Dienstleistende selbst ein landwirtschaftliches Erzeugnis hervorbringe. Er unterstütze aber den Erzeuger mit Hilfstätigkeiten. Die landwirtschaftlichen Dienstleistungen seien Tätigkeiten, die im engen Zusammenhang mit der Erzeugung landwirtschaftlicher Produkte stünden und landwirtschaftstypisch seien. Der Begriff können deshalb für die Beantwortung der Frage fruchtbar gemacht werden, ob eine Verarbeitungstätigkeit im Sinne des Art. 295 Abs. 2 MwStSystRL vorliege.

Nach Art. 295 Abs. 1 Nr. 5 MwStSystRL seien landwirtschaftliche Dienstleistungen solche Dienstleistungen, die von einem landwirtschaftlichen Erzeuger mit Hilfe seiner Arbeitskräfte oder der normalen Ausrüstung seines land-, forst- oder fischwirtschaftlichen Betriebs erbracht werden und die normalerweise zur landwirtschaftlichen Erzeugung beitragen, und zwar insbesondere die in Anhang VIII aufgeführten Dienstleistungen. Die Herstellung von Rohalkohol aus Maische sei den in Anhang VIII aufgeführten Dienstleistungen aber nicht vergleichbar. Durch Destillation wird aus der alkoholhaltigen Obstmaische höherprozentiger Alkohol gewonnen, ein Produkt, das mit dem Ausgangprodukt nur noch wenig gemein habe und nur mit besonderen Geräten (Schnapsbrennkessel) hergestellt werden könne. Damit unterscheide sich die Rohalkoholherstellung deutlich von den Beispielen, die Anhang VIII Nr. 2 der MwStSystRL aufführe. Dort seien beispielhaft die Trocknung, Reinigung, Zerkleinerung, Desinfektion und Einsilierung landwirtschaftlicher Erzeugnisse genannt.

Nicht rechtskräftig: Revision beim BFH (Az. V R 37/24).

Quelle: Finanzgericht Baden-Württemberg, Newsletter 1/2025