FG Baden-Württemberg, Mitteilung vom 12.07.2021 zum Gerichtsbescheid 1 K 937/19 vom 08.03.2021 (nrkr - BFH-Az.: X R 6/21)
- Eine doppelte Besteuerung von Altersrenten liegt vor, wenn die einem Steuerpflichtigen voraussichtlich steuerunbelastet zufließenden Rententeilbeträge geringer sind als die von ihm aus versteuertem Einkommen entrichteten Altersvorsorgeaufwendungen.
- Mangels einer im Streitfall vorliegenden Doppelbesteuerung kann offenbleiben, ob die Doppelbesteuerung bereits im Verfahren der Steuerfestsetzung geprüft oder nur in einem gesonderten Billigkeitsverfahren auf der Grundlage von § 163 Abs. 1 Satz 1 der Abgabenordnung (AO) berücksichtigt werden kann.
Sachverhalt
Die Kläger sind zusammenveranlagte Eheleute. Sie erhalten seit dem Jahr 2014 jeweils eine Regelaltersrente der Deutschen Rentenversicherung Bund (DRV). Im Streitjahr 2017 erklärte der Kläger neben Versorgungsbezügen aus einem früheren Beamtenverhältnis in Höhe von 24.560 Euro Einnahmen aus Leibrenten von 5.785 Euro und die Klägerin von 18.975 Euro. Das beklagte Finanzamt (FA) unterwarf die Altersrenten der Einkommensteuer. Im Einspruchsverfahren rügten die Kläger eine verfassungswidrige Doppelbesteuerung. Das zu versteuernde Einkommen sei um die – vermeintlich – steuerpflichtigen Teile der Renten zu kürzen, so dass sich richtigerweise ein zu versteuerndes Einkommen i. H. von 15.232 Euro ergebe (32.335 Euro ./. 17.103 Euro). Nach der Splittingtabelle betrage die Einkommensteuer daher 0 Euro und nicht 3.054 Euro. Das FA wies den Einspruch als unbegründet zurück, weil die Kläger keine Nachweise über die von ihnen behauptete Doppelbesteuerung vorgelegt hätten. Im Klageverfahren legten die Kläger Aufstellungen über die von ihnen aufgewandten Altersvorsorgeaufwendungen und über die steuerfreigestellten Rententeilbeträge vor.
Aus den Gründen
Das Finanzgericht wies die Klage ab. Die steuerpflichtigen Teile der Leibrenten der Kläger seien gemäß § 22 Nr. 1 Satz 3 Buchst. a Doppelbuchst. aa Sätze 2 ff. des Einkommensteuergesetzes (EStG) in zutreffender Höhe zugrunde gelegt worden. Dabei könne offen bleiben, ob die Einwände der Kläger bereits im Verfahren der Steuerfestsetzung geprüft oder nur in einem gesondert – vorliegend noch nicht durchgeführten – Billigkeitsverfahren auf der Grundlage von § 163 Abs. 1 Satz 1 der Abgabenordnung (AO) gehört werden könnten, denn eine verfassungswidrige Doppelbesteuerung der Rentenbezüge der Kläger sei nicht gegeben.
Voraussetzung einer doppelten Besteuerung von Altersrenten
Eine doppelte Besteuerung liege vor, wenn die einem Steuerpflichtigen voraussichtlich steuerunbelastet zufließenden Rententeilbeträge geringer seien als die von ihm aus versteuertem Einkommen entrichteten Altersvorsorgeaufwendungen. Diese Voraussetzung sei weder beim Kläger noch bei der Klägerin erfüllt. Die voraussichtlich steuerunbelastet zufließenden Rententeilbeträge des Klägers summierten sich auf 31.752,19 Euro und die der Klägerin auf 121.346 Euro. Sie seien damit höher als die aus ihrem versteuertem Einkommen geleisteten Teile ihrer Altersvorsorgeaufwendungen, nämlich die des Klägers von 4.000,76 Euro und der Klägerin von 54.682,63 Euro.
Ermittlung der künftig (voraussichtlich) steuerunbelastet zufließenden Rententeilbeträge nach dem Nominalwertprinzip
Die den Klägern künftig (voraussichtlich) steuerunbelastet zufließenden Rententeilbeträge ermittelten sich dergestalt, dass der jeweilige steuerfreie Jahresbetrag der Rente i. S. v. § 22 Nr. 1 Satz 3 Buchst. a Doppelbuchst. aa Satz 4 EStG mit der im Zeitpunkt des Renteneintritts gegebenen durchschnittlichen weiteren statistischen Lebenserwartung zu multiplizieren sei, wobei die Berechnung auf der Grundlage des Nominalwertprinzips vorzunehmen sei.
Steuerfreier Jahresbetrag der Rente
Der steuerfreie Jahresbetrag der Rente betrage für den Kläger 1.740,80 Euro und für die Klägerin 5.710,40 Euro. Der Kläger beziehe seit 1. Juli 2014 und die Klägerin seit 1. Dezember 2014 jeweils eine Regelaltersrente der DRV. Damit betrage der Besteuerungsanteil ihrer Renten 68%. Für die erforderliche Berechnung des steuerfreien Teils der Rente sei sodann – anders als bei der Festlegung des Besteuerungsanteils – das dem Rentenbeginn folgende Jahr – vorliegend also 2015 – zugrunde zu legen.
Ausweislich des Steuerbescheides für das Jahr 2015 habe der Jahresbetrag der Rente des Klägers 5.440 Euro und der Klägerin 17.845 Euro betragen, so dass sich für den Kläger ein steuerfreier Teil der Rente i. H. von 1.740,80 Euro (5.440 Euro x 32 %) und für die Klägerin i. H. von 5.710,40 Euro (17.845 Euro x 32 %) errechne. Dieser bleibe für die gesamte Laufzeit der jeweiligen Rente unverändert. Rentenerhöhungen seien daher vollständig steuerpflichtig.
Lebenserwartung der Kläger als voraussichtliche Rentenbezugsdauer
Die im Zeitpunkt des Renteneintritts gegebene durchschnittliche weitere statistische Lebenserwartung des Klägers betrage 18,24 Jahre und die der Klägerin 21,25 Jahre. Maßgebend für deren Ermittlung sei die im Zeitpunkt des Renteneintritts letztverfügbare Sterbetafel. Da die Kläger bei Renteneintritt aber bereits 65 Jahre und 3 Monate alt gewesen seien, sei die statistische Lebenserwartung, die nach der Sterbetafel auf die Vollendung des 65. Lebensjahres abstelle, um jeweils 3 Monate zu mindern, d.h. für den Kläger auf 18,24 Jahre und für die Klägerin auf 21,25 Jahre. Dies führe zu voraussichtlich steuerunbelastet zufließenden Rententeilbeträge für den Kläger in Höhe von insgesamt 31.752,19 Euro (1.740,80 Euro x 18,24) und für die Klägerin in Höhe von 121.346 Euro (5.710,40 Euro x 21,25).
Diese den Klägern voraussichtlich steuerunbelastet zufließenden Rententeilbeträge seien höher als die von ihnen aus ihrem versteuertem Einkommen geleisteten Teile ihrer Altersvorsorgeaufwendungen.
Ermittlung der aus versteuertem Einkommen der Kläger geleisteten Teile der Altersvorsorgeaufwendungen
Die Kläger hätten aus ihrem versteuerten Einkommen Altersvorsorgeaufwendungen von 4.000,76 Euro (der Kläger) und von 54.682,63 Euro (die Klägerin) geleistet. Bei der Berechnung sei zwischen der Rechtslage bis 2004 und nach 2005 zu differenzieren.
Veranlagungszeiträume bis 2004
Die Berechnung der aus versteuertem Einkommen geleisteten Teilbeträge für Altersvorsorgeaufwendungen für die Veranlagungszeiträume bis 2004 sei in der Weise durchzuführen, dass die Beiträge zu den verschiedenen Sparten der Sozialversicherung gleichrangig am beschränkten Sonderausgabenabzug teilnehmen. Dasselbe gelte nach Auffassung des Senats auch für Beiträge zu privaten Kranken- und Pflegeversicherungen, soweit sie der Erlangung eines mit dem Niveau der gesetzlichen Kranken- und Pflegeversicherungen vergleichbaren Schutz dienten.
Bei zusammenveranlagten Ehegatten sei der gewährte (begrenzte) Sonderausgabenabzug anders als bei der Einkünfteermittlung einheitlich zu betrachten und im Verhältnis der vorrangig zu berücksichtigenden Versicherungsbeiträge beider Ehegatten aufzuteilen und der entsprechende Anteil am Sonderausgabenabzug den jeweiligen Rentenversicherungsbeiträgen zuzuordnen.
Veranlagungszeiträume ab 2005
In den Veranlagungszeiträumen ab 2005 sei – soweit nicht aufgrund der Günstigerprüfung nach § 10 Abs. 4a EStG noch die Rechtslage bis 2004 bei der Veranlagung angewendet worden sei – aufgrund der veränderten Rechtslage der aus versteuertem Einkommen geleistete Teilbetrag der Altersvorsorgeaufwendungen in der Weise zu ermitteln, dass der prozentuale Anteil der vom Kläger geleisteten Rentenversicherungsbeiträge an der Summe der von beiden Ehegatten geleisteten Rentenversicherungsbeiträge ermittelt werde. Dieser prozentuale Anteil am Sonderausgabenabzug entfalle auf die Rentenversicherungsbeiträge. Ab 2005 werde nämlich der Sonderausgabenabzug für Vorsorgeaufwendungen aufgeteilt. Während Altersvorsorgeaufwendungen i. S. v. § 10 Abs. 1 Nr. 2 EStG nach § 10 Abs. 3 EStG abhängig von einer jährlich ansteigenden Prozentzahl bis zu einem Höchstbetrag als Sonderausgaben abgezogen werden könnten, könnten die weiteren Vorsorgeaufwendungen nach § 10 Abs. 1 Nr. 3 und Nr. 3a EStG nur im Rahmen von § 10 Abs. 4 EStG geltend gemacht werden. Die nicht durch den anteiligen Sonderausgabenabzug berücksichtigten Rentenversicherungsbeiträge seien die aus versteuertem Einkommen geleisteten Teilbeträge der Altersvorsorgeaufwendungen.
Berechnung der Altersvorsorge- und weiteren Vorsorgeaufwendungen im Einzelfall
Nach den Angaben im Klageverfahren habe der Kläger (bis zu seiner Verbeamtung) Altersvorsorgeaufwendungen von 8.986,46 Euro und die Klägerin von 94.146,99 Euro geleistet. Daneben seien die Beiträge zu den verschiedenen Sparten der Sozialversicherung gleichrangig in die Berechnung des abziehbaren Teils der Altersvorsorgeaufwendungen einzustellen. Im Streitfall seien dies die Beiträge der Kläger zur gesetzlichen Renten- (RV), Kranken- (KV), Pflege- (PV) und Arbeitslosenversicherung (AV). Dasselbe gilt nach Auffassung des Senats auch für Beiträge des Klägers zur privaten KV/PV ab dem Zeitpunkt seiner Verbeamtung zum 1. Juli 1991, soweit sie der Erlangung eines mit dem Niveau der gesetzlichen Kranken- und Pflegeversicherung vergleichbaren Schutzes dienten.
Anteil der Rentenversicherungsbeiträge der Kläger an ihren jeweiligen vorrangigen Vorsorgeaufwendungen
Im Weiteren seien für die Jahre bis einschließlich 2004 der prozentuale Anteil der RV-Beiträge der Kläger an ihren jeweiligen vorrangigen Vorsorgeaufwendungen (RV, KV [Basis], PV, AV) zu ermitteln. Bei den Klägern sei allerdings auch für das Jahr 2005 aufgrund der Günstigerprüfung nach § 10 Abs. 4a EStG noch die Rechtslage bis 2004 angewandt worden, so dass sich die nachfolgende Berechnung auch noch auf dieses weitere Jahr erstrecke.
Aufteilung des gewährten Sonderausgabenzugs bei zusammenveranlagten Ehegatten
Von dem gewährten Sonderausgabenabzug – laut den vorgelegten Steuerbescheiden – entfalle dann grundsätzlich der (vorstehend ermittelte) prozentuale Anteil auf die RV-Beiträge. Bei zusammenveranlagten Ehegatten sei aber zuvor noch der gewährte Sonderausgabenabzug im Verhältnis der von ihnen geleisteten und geltend gemachten vorrangig zu berücksichtigenden Vorsorgeaufwendungen aufzuteilen. Erst dann sei der anteilig auf die Rentenversicherungsbeiträge des betroffenen Ehegatten entfallende Anteil am Sonderausgabenabzug zu ermitteln. Hieraus ergebe sich, dass der Kläger im Zeitraum 1998 bis 2005 einen Betrag von 4.000,76 Euro aus seinem versteuerten Einkommen für Altersvorsorgeaufwendungen geleistet habe; bei der Klägerin sei dies ein Betrag von 30.372,36 Euro gewesen.
Dasselbe gelte im Grundsatz auch für die Zusammenveranlagung der Ehegatten in den Veranlagungszeiträumen ab dem Jahr 2005. Auch hier sei zur Gewährleistung eines einheitlichen, beide Ehegatten gleich behandelnden Aufteilungsmaßstabs von einem einheitlichen Sonderausgabenabzug nach § 10 Abs. 3 EStG für beide Ehegatten auszugehen. Dieser Sonderausgabenabzug sei im prozentualen Verhältnis der von ihnen jeweils getragenen Rentenversicherungsbeiträge aufzuteilen. Vorliegend entfalle der Sonderausgabenabzug für die Altersvorsorgeaufwendungen aber vollständig auf die Klägerin, da der Kläger als Beamter von der Versicherungspflicht befreit gewesen sei.
Diese Betrachtung gelte allerdings erst ab dem Jahr 2006, da für 2005 aufgrund der Günstigerprüfung noch die alte Rechtslage bis 2004 angewandt worden sei. Hieraus ergebe sich, dass die Klägerin im Zeitraum 2006 bis 2014 einen Betrag von 24.310 Euro aus ihrem versteuerten Einkommen für Altersvorsorgeaufwendungen geleistet habe.
Quelle: FG Baden-Württemberg, Newsletter 2/2021