Einkommensteuer - 24. Januar 2020

Keine kumulative Berücksichtigung der Steuerbefreiung für Ortsvorsteher und Ortschaftsräte gem. § 3 Nr. 12 EStG

FG Baden-Württemberg, Mitteilung vom 23.01.2020 zum Urteil 3 K 1507/18 vom 17.10.2019 (rkr)

Die Steuerbefreiung nach § 3 Nr. 12 EStG für die von einer Gemeinde bezahlten Aufwandsentschädigungen kann nicht kumulativ in Anspruch genommen werden, wenn der Ortsvorsteher zugleich Mitglied des Ortschaftsrats ist.

Sachverhalt

Die Klägerin ist von Beruf Kauffrau. Sie war seit längerer Zeit und auch in den Streitjahren 2015 und 2016 Mitglied im Ortschaftsrat von X, einem Stadtteil von Y. Im Ortschaftsrat von X hatte sie zugleich das Amt der Ortsvorsteherin inne. Die Stadt Y entrichtete an die Klägerin aufgrund einer kommunalen Satzung jeweils eine „steuerfreie Aufwandsentschädigung für ehrenamtliche Tätigkeit“. Die steuerfrei gewährte Aufwandsentschädigung für Ortsvorsteher betrug 2.496 Euro pro Jahr (monatlich 208 Euro), diejenige für die Mitglieder der Ortschaftsräte 2.040 Euro pro Jahr (monatlich 170 Euro). Die Klägerin hatte in den Streitjahren Bruttoarbeitslöhne von insgesamt 45.156 Euro (2015) und 44.804 Euro (2016), von denen ein Teil auf ihre Tätigkeit als Ortsvorsteherin entfiel.

In Übereinstimmung mit den Lohnsteueranmeldungen der Stadt Y und den Einkommensteuererklärungen behandelte das Finanzamt den Jahresbetrag von 2.496 Euro für die Tätigkeit als Ortsvorsteherin als steuerfreie Einkünfte. Die Aufwandsentschädigungen von 2.040 Euro für die Tätigkeit als Ortschaftsrätin erfasste das FA jeweils in voller Höhe als steuerpflichtige Einkünfte. Die Klägerin begehrte mit ihrer Klage, ihr neben dem Freibetrag für die Tätigkeit als Ortsvorsteherin auch den als Ortschaftsrätin zu gewähren.

Aus den Gründen

Keine kumulative Anwendung der Steuerbefreiung für Ortsvorsteher und Ortschaftsräte

Die Klage bleib erfolglos. Eine über den Betrag von 2.496 Euro hinausgehende Steuerfreiheit könne weder aus dem Erlass des Ministeriums für Finanzen und Wirtschaft Baden-Württemberg vom 21. Januar 2014 Az. 3 – S 233.7/3 zum Thema „Entschädigungen an ehrenamtliche Mitglieder kommunaler Vertretungen und an ehrenamtliche Ortsvorsteher (ab 2013)“ – MFW-Erlass – noch aus § 3 Nr. 12 EStG abgeleitet werden.

MFW-Erlass als § 3 Nr. 12 Satz 2 EStG konkretisierende Verwaltungsvorschrift

Über die Reichweite der Steuerbefreiung für Bezüge aus öffentlichen Kassen sei im Fall der Klägerin nach Maßgabe des § 3 Nr. 12 Satz 2 EStG zu entscheiden. Im Hinblick darauf bestehe in Gestalt des MFW-Erlasses eine das Gesetz konkretisierende Verwaltungsvorschrift. Nach dem ab dem Jahr 2013 anwendbaren MFW-Erlass seien pauschale Entschädigungen und Sitzungsgelder steuerfrei, soweit sie jährlich 2.400 Euro nicht übersteigen. Bei den ehrenamtlichen Ortsvorstehern betrage der Steuerfreibetrag jährlich 2.496 Euro. Zur Frage, ob die Steuerbefreiungen kumulativ zu gewähren seien, seien das Ministerium für Finanzen Baden-Württemberg und die Oberfinanzdirektion Karlsruhe zu dem Ergebnis gelangt, dass der MFW-Erlass in der hier gegebenen Fallkonstellation nicht die von den Klägern begehrte kumulative Steuerbefreiung eröffne.

An diese Auslegung sei das Finanzgericht gebunden. Für die Auslegung einer Verwaltungsvorschrift wie die des MFW-Erlasses sei nicht maßgeblich, wie das Gericht sie verstehe, sondern wie die Verwaltung sie verstanden habe und verstanden wissen wolle. Das Gericht dürfe solche Verwaltungsanweisungen nicht selbst auslegen, sondern nur darauf überprüfen, ob die Auslegung durch die Behörde möglich sei. Die Gerichte könnten die Finanzbehörden auch nicht zwingen, Vereinfachungsregelungen, die durch allgemeine Verwaltungsanweisungen angeordnet werden, auf einen Fall anzuwenden, der nach deren Auffassung nicht von der Verwaltungsanweisung gedeckt sei.

Keine Rechtfertigung eines doppelten Freibetrags

Auch § 3 Nr. 12 Satz 2 EStG selbst biete keine Rechtfertigung, dem Begehren ganz oder teilweise stattzugeben. Einkommensteuerfrei sind danach andere als die in Satz 1 der Vorschrift genannten Bezüge, die als Aufwandsentschädigung aus öffentlichen Kassen an öffentliche Dienste leistende Personen gezahlt werden, soweit nicht festgestellt wird, dass sie für Verdienstausfall oder Zeitverlust gewährt werden oder den Aufwand, der dem Empfänger erwächst, offenbar übersteigen. Die Prüfung, ob die Entschädigungen den Aufwand des Empfängers nicht offenbar übersteigen, erstrecke sich nicht darauf, welche Aufwendungen dem einzelnen Steuerpflichtigen erwachsen seien, sondern darauf, ob Personen in gleicher dienstlicher Stellung im Durchschnitt der Jahre Aufwendungen etwa in Höhe der Aufwandsentschädigung erwachsen. Es stehe den obersten Finanzbehörden der Länder frei, zur Arbeitsvereinfachung und Gleichbehandlung der Betroffenen in geeigneter Form und im Zusammenwirken mit den obersten Aufsichtsbehörden der in Betracht kommenden öffentlichen Kassen allgemein Sätze festzulegen, die bei den einzelnen Gruppen als echte Aufwandsentschädigungen anzuerkennen sind. Insoweit komme es dann auf die Höhe der individuellen Ausgaben einzelner Steuerpflichtiger nicht mehr an.

Soweit die Klägerin einen zusätzlichen jährlichen Freibetrag für eine Ortsvorsteherin mit „Doppelfunktion“ geltend machte, die zugleich Mitglied im Ortschaftsrat sei, würde eine zusätzlich zur Ortsvorsteher-Entschädigung pauschal gewährte Aufwandsentschädigung für die Mitgliedschaft im Ortschaftsrat zu einem offenbaren Übersteigen des dem Empfänger erwachsenden Aufwands führen. Im Rahmen der maßgeblichen generellen Betrachtung sei in keiner Weise erkennbar, dass bei einem Ortsvorsteher nur deshalb, weil er zugleich Mitglied im Ortschaftsrat ist, typischerweise zusätzliche Aufwendungen anfielen, die als abzugsfähige Betriebsausgaben oder Werbungskosten Anerkennung finden könnten. Ganz im Gegenteil sei festzustellen, dass die typischen Ortsvorsteher-Aufwendungen im Regelfall sämtliche typischen Ortschaftsratsmitglied-Aufwendungen in vollem Umfang einschließen würden. Beispielsweise sei der Ortsvorsteher als Vorsitzender des Ortschaftsrats aufgrund der beiden in Personalunion ausgeübten Funktionen an den Sitzungen des Ortschaftsrats beteiligt, ohne dass aufgrund der Doppelfunktion zusätzliche Kosten anfielen. Die typischen Aufwendungen eines Ortschaftsratsmitglieds seien allesamt typische Aufwendungen einer Ortsvorsteherin mit Doppelfunktion

Kein Nachweis von Aufwendungen über dem Freibetrag

Die Klägerin habe nicht nachgewiesen, dass von ihr in einem der beiden Streitjahre tatsächliche Betriebsausgaben als Ortschaftsrätin aufgewendet worden seien, die nicht bereits in vollem Umfang im Rahmen des um 456 Euro höheren Freibetrags für das Amt als Ortsvorsteherin Berücksichtigung gefunden hätten. Ebenso wenig habe die Klägerin nachgewiesen, dass die tatsächlichen Werbungskosten aufgrund der nichtselbständigen Tätigkeit der Klägerin als Ortsvorsteherin in einem Jahr mehr als 2.496 Euro betragen hätten.