FG Münster, Mitteilung vom 16.01.2025 zum Urteil 12 K 2819/22 Kg vom 13.12.2024
An der Regelung des § 62 Abs. 2 Nr. 2 Buchst. b EStG in der Fassung des Artikels 3 des Gesetzes zur weiteren steuerlichen Förderung der Elektromobilität und zur Änderung weiterer steuerlicher Vorschriften vom 12. Dezember 2019 (BGBl. I 2019 S. 2451) bestehen keine durchgreifenden verfassungsrechtlichen Zweifel. Dies hat der 12. Senat des Finanzgerichts Münster mit Urteil vom 13. Dezember 2024 (Az. 12 K 2819/22 Kg) entschieden.
Die Klägerin und ihr Ehemann sind tunesische Staatsangehörige. Von Februar 2021 bis Januar 2022 hatte die Klägerin eine Aufenthaltserlaubnis nach § 20 Abs. 3 Nr. 1 des Aufenthaltsgesetzes in der ab dem 1. März 2020 geltenden Fassung (AufenthG 2020), die ihr eine Erwerbstätigkeit im Bundesgebiet erlaubte. Seitdem werden Fiktionsbescheinigungen auf Grundlage von § 81 Abs. 4 AufenthG erteilt, wonach der Aufenthaltstitel bis August 2022 fortbestehe. Während des Streitzeitraums (November 2021 bis Juni 2022) war die Klägerin weder erwerbstätig noch befand sie sich in Elternzeit nach § 15 BEEG noch bezog sie laufende Geldleistungen nach dem SGB III.
Die Familienkasse lehnte den Kindergeldantrag der Klägerin mit der Begründung ab, dass die Voraussetzungen des § 62 Abs. 2 EStG nicht erfüllt seien. Im Rahmen ihrer hiergegen gerichteten Klage machte die Klägerin geltend, die Regelungslage sei verfassungswidrig.
Der 12. Senat des Finanzgerichts Münster hat die Klage abgewiesen. Maßgeblich für den Kindergeldanspruch sei nach § 52 Abs. 49a Satz 2 EStG die Regelung des § 62 EStG in der Fassung des Artikel 3 des Gesetzes zur weiteren steuerlichen Förderung der Elektromobilität und zur Änderung weiterer steuerlicher Vorschriften vom 12. Dezember 2019. Daher erhalte die Klägerin als nicht freizügigkeitsberechtigte Ausländerin, der eine Aufenthaltserlaubnis nach § 20 Abs. 3 AufenthG 2020 erteilt worden sei, nur dann Kindergeld, wenn sie erwerbstätig sei oder Elternzeit nach § 15 BEEG bzw. laufende Geldleistungen nach dem SGB III in Anspruch nehme (§ 62 Abs. 2 Nr. 2 Buchst. b EStG). Diese Voraussetzungen habe die Klägerin nicht erfüllt.
Vor dem Hintergrund der Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts vom 28. Juni 2022 (Az. 2 BvL 9/14, 2 BvL 10/14, 2 BvL 13/14, 2 BvL 14/14) zu § 62 Abs. 2 Nr. 3 EStG (in der Fassung vom 13.12.2006) sowie vom 15. Juni 2023 zu den Vorlagebeschlüssen des Niedersächsischen Finanzgerichts vom 19. August 2013 (Az. 2 BvL 11/14 und 2 BvL 12/14) bestünden keine durchgreifenden verfassungsrechtlichen Zweifel an der maßgeblichen Fassung des § 62 Abs. 2 Nr. 2 Buchst. b EStG.
Bei von vornherein nur für einen begrenzten Zeitraum erteilten Aufenthaltserlaubnissen – wie es bei der Erlaubnis nach § 20 Abs. 3 AufenthG der Fall gewesen sei – sprächen tragfähige Gründe dafür, dass deren Inhaber sich aller Voraussicht nach nicht dauerhaft in Deutschland aufhalten werde und der Gesetzgeber aus diesem Grund den Anspruch auf Kindergeld ohne Überschreitung seines Gestaltungsspielraums grundsätzlich verwehren könne. Sofern demgegenüber ausnahmsweise nach§ 62 Abs. 2 Nr. 2 Buchst. b EStG eine Anspruchsberechtigung bestünde, soweit der Anspruchsteller bereits in den Arbeitsmarkt integriert sei, werde dies vom Gesetzgeber nicht mit einer voraussichtlich längeren Aufenthaltsdauer, sondern zwecks Erleichterung der Fachkräftegewinnung und Setzung eines Anreizes zur Aufnahme einer Erwerbstätigkeit begründet. Die tragenden Erwägungen der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 28. Juni 2022, wonach die Integration in den Arbeitsmarkt bei § 62 Abs. 2 Nr. 2 Buchst. c EStG 2006 kein hinreichendes Differenzierungskriterium im Hinblick auf die Bleibeperspektive sei, könne folglich nicht auf die für den Streitfall maßgebliche Fassung des § 62 Abs. 2 Nr. 2 Buchst. b EStG übertragen werden. Aufgrund der Typisierungsbefugnis des Gesetzgebers ergäben sich auch keine durchgreifenden Bedenken daraus, dass der Klägerin der Aufenthaltstitel nach § 20 Abs. 3 Nr. 1 AufenthG 2020 gerade zur Suche eines Arbeitsplatzes, zu dessen Ausübung ihre Qualifikation befähige, erteilt worden sei.
Etwas Anderes ergebe sich auch nicht aus den Vorlagebeschlüssen des Niedersächsischen Finanzgerichts vom 19. August 2013 (Az. 7 K 112/13), die das Bundesverfassungsgericht am 15. Juni 2023 als unzulässig verworfen habe. Die Vorlagebeschlüsse seien zu der vorherigen Regelung des § 62 Abs. 2 EStG 2006 ergangen und hätten daher die gesetzgeberische Entscheidung für die Neuregelung bereits nicht berücksichtigen können. Zudem habe das Bundesverfassungsgerichts in dem Beschluss vom 15. Juni 2023 (Az. 2 BvL 11/14) im Hinblick auf § 62 Abs. 2 Nr. 2 Buchst. a EStG 2006 darauf hingewiesen, dass die von dieser Regelung umfassten Aufenthaltserlaubnisse – worunter nach alter Rechtslage auch die Erlaubnis der Klägerin gefallen wäre – erkennbar nur für einen begrenzen Zeitraum erteilt worden seien und dies in die Beurteilung einer etwaigen Bleibeperspektive einzubeziehen wäre.
Der 12. Senat hat die Revision zum Bundesfinanzhof zugelassen.
Quelle: Finanzgericht Münster Newsletter Januar 2025