FG Schleswig-Holstein, Mitteilung vom 04.07.2019 zum Urteil 2 K 205/17 vom 28.11.2018 (nrkr – BFH-Az.: VIII R 2/19)
Kein Verbrauch der Ermäßigung nach § 34 Abs. 3 Satz 1 EStG bei fehlendem Veräußerungsgewinn und folglich fehlendem Wahlrecht trotz fehlerhafter Gewährung der Ermäßigung durch das Finanzamt ohne Antrag der Kläger.
Mit seinem Urteil vom 28. November 2018 (Az. 2 K 205/17, veröffentlicht in EFG 2019, S. 169) hat der 2. Senat des Finanzgerichts Vorgenanntes erkannt.
Der Kläger schied zum 2. Januar 2016 aus der Gemeinschaftspraxis A aus und erzielte einen nach § 34 Abs. 2 Nr. 1 EStG begünstigten Veräußerungsgewinn von 1.176.690 Euro. Zum 1. Januar 2006 war bereits C aus der Gemeinschaftspraxis ausgeschieden. In 2006 erhielt die Gemeinschaftspraxis eine Sonderzahlung der Kassenärztlichen Vereinigung in Höhe von 79.865,91 Euro, die unter § 34 Abs. 2 Nr. 4 EStG fiel. Diese wurde in der Feststellungserklärung der Gemeinschaftspraxis entsprechend erklärt. Der Feststellungsbescheid erging am 5. März 2008 erklärungsgemäß und stellte für den Kläger den Betrag von 39.932,96 Euro als „tarifbegünstigte Einkünfte i. S. d. § 24 Nr. 1 und 3 EStG bzw. § 34 Abs. 2 Nr. 2 bis 4 EStG“ fest. In der ESt-Erklärung 2006 erklärte der Kläger u. a. bei den Einkünften aus selbständiger Arbeit in der Zeile 52 unter „Sonstiges“ einen begünstigten Gewinn nach § 34 Abs. 2 Nr. 2 bis 5 EStG von 39.932 Euro. Eintragungen in den Zeilen 44 bis 51, in denen Angaben zu Veräußerungsgewinnen zu erklären sind, wurden nicht vorgenommen, insbesondere wurde weder der Freibetrag nach § 16 Abs. 4 EStG (Zeile 44) noch die Gewährung des ermäßigten Steuersatzes (Zeile 46) beantragt. Fehlerhaft ging das Finanzamt bei der Auswertung der Mitteilung über die anteiligen Einkünfte von einem anteiligen „Veräußerungsgewinn“ aus, wies ihn im ESt-Bescheid 2006 bei den Einkünften aus selbständiger Arbeit gesondert aus und gewährte (ohne entsprechenden Antrag des Klägers) den ermäßigten Steuersatz gemäß § 34 Abs. 3 EStG. Diese Fehler waren erkennbar. Der steuerliche Vorteil betrug rund 8.000 Euro. Der Bescheid wurde bestandskräftig.
Am 27. September 2017 erließ das Finanzamt den ESt-Bescheid 2016, ohne die Ermäßigung aufgrund des § 34 Abs. 3 Satz 4 EStG zu berücksichtigen, weil diese bereits 2006 verbraucht gewesen sei. Der dagegen gerichtete Einspruch blieb erfolglos. Der Klage wurde stattgegeben. Der ermäßigte Steuersatz nach § 34 Abs. 3 EStG ist durch die vom Finanzamt fehlerhafte Gewährung in 2006 nicht verbraucht. Der BFH hat zwar entschieden, dass eine antragsgebundene Steuervergünstigung, die dem Steuerpflichtigen nur einmal gewährt werden kann, für die Zukunft auch dann „verbraucht“ ist, wenn die Vergünstigung vom Finanzamt zu Unrecht gewährt worden ist, insbesondere ein erforderlicher Antrag vom Steuerpflichtigen nicht gestellt worden ist (BFH-Beschluss vom 1. Dezember 2015 X B 111/15, BFH/NV 2016, 199 zu § 34 Abs. 3 EStG) und der Steuerpflichtige das 55. Lebensjahr noch nicht vollendet hatte (BFH-Urteil vom 21. Juli 2009 X R 2/09, BStBl II 2009 S. 963 zu § 16 Abs. 4 EStG). Entscheidend ist nach dem BFH allein, dass sich die Vergünstigung auf die frühere Steuerfestsetzung ausgewirkt hat und sie dort nicht mehr rückgängig gemacht werden kann (BFH-Beschluss vom 1. Dezember 2015 X B 111/15, BFH/NV 2016, 199). Wenn der Steuerpflichtige sich die Möglichkeit vorbehalten will, die Vergünstigung in einem späteren Jahr in Anspruch zu nehmen, muss er die Steuerfestsetzung anfechten, in der ihm die Vergünstigung zu Unrecht gewährt worden ist. Der Senat ist davon ausgegangen, dass auch angesichts dieser Entscheidungen im Streitfall nicht von einem Objektverbrauch auszugehen ist, weil in 2006 kein Veräußerungsgewinn erzielt, folglich kein „verbrauchsfähiges Objekt“ vorgelegen hat und der Kläger kein Steuerpflichtiger im Sinne des § 34 Abs. 3 Satz 1 EStG gewesen war. Er hatte damit kein Wahlrecht nach § 34 Abs. 3 EStG (wie es auch in § 34 Abs. 3 Satz 5 EStG für den Fall mehrerer Veräußerungsgewinne in einem Jahr explizit ausgeführt wird) und hatte dieses auch nicht „unberechtigt“ beantragt.
Der 2. Senat hat die Revision zugelassen, das Verfahren ist beim BFH unter dem Aktenzeichen VIII R 2/19 anhängig.