DSGVO - 29. Oktober 2021

Kein datenschutzrechtlicher Anspruch auf Akteneinsicht in die Handakten der Betriebsprüfung

FG Baden-Württemberg, Mitteilung vom 28.10.2021 zum Urteil 10 K 3159/20 vom 26.07.2021 (nrkr - BFH-Az.: X B 109/21)

Das Recht auf Auskunft über personenbezogene Daten nach Art. 15 Abs. 1 Datenschutzgrundverordnung (DSGVO) begründet keinen gebundenen Anspruch auf Akteneinsicht.

Sachverhalt

Der Kläger ist selbstständiger Apotheker, bei dem das beklagte Finanzamt (FA) eine Betriebsprüfung durchführte. Im Rahmen der laufenden Betriebsprüfung beantragte der Kläger Akteneinsicht in die Unterlagen der Prüferin, welche die angebliche fehlende Ordnungsmäßigkeit seiner Buchführung betreffen würden. Zu diesem Zweck sollten ihm Kopien der Unterlagen übersandt werden. Das FA lehnte den Antrag ab und verwarf den Einspruch als unzulässig. Zur Begründung führte es im Wesentlichen aus, es bestehe kein Rechtsschutzbedürfnis. Die in Kopie angeforderten Unterlagen seien der Prüferin durch den Kläger bzw. dessen Steuerberaterin zur Verfügung gestellt worden. Der Antrag sei aber auch unbegründet, da während der laufenden Betriebsprüfung kein Anspruch auf Überlassung von Kopien aus der Handakte, sondern lediglich ein Auskunftsanspruch über die Grund- und E-Datenübersicht sowie eine Bescheidauskunft für die letzten Jahre bestehe. Dies sei vom Kläger aber weder beantragt worden noch gehe sein Interesse dahin, weshalb von einer Weitergabe dieser Daten abgesehen werde.

Mit seiner Klage wendet sich der Kläger gegen die Ablehnung der Akteneinsicht in die Handakte der Betriebsprüfung. Aus Art. 15 Abs. 1 DSGVO folge ein gebundener Anspruch auf Übersendung der Akten, der nicht zeitlich eingeschränkt sei und damit auch im laufenden Betriebsprüfungsverfahren bestehe.

Aus den Gründen

Das Finanzgericht wies die Klage ab.

Finanzrechtsweg und statthafte Klageart für den Auskunftsanspruch

Der Finanzrechtsweg für den Auskunftsanspruch nach Art. 15 DSGVO ergebe sich aus § 32i der Abgabenordnung (AO). Statthafte Klageart für die gerichtliche Geltendmachung eines gegen eine Behörde gerichteten Auskunftsanspruchs aus Art. 15 Abs. 1 DSGVO sei die Verpflichtungsklage (§ 40 Abs. 1 FGO). Denn bei der Entscheidung über einen datenschutzrechtlichen Auskunftsanspruch durch eine Behörde handele es sich um einen Verwaltungsakt. Der Erteilung der Auskunft gehe eine behördliche Entscheidung voraus, die auf der Grundlage eines gesetzlichen Prüfprogramms (vgl. Art. 15 Abs. 4 DSGVO) zu treffen sei und bei der die Behörde besondere verfahrensrechtliche Vorkehrungen wie Begründungs- oder Anhörungspflichten zu beachten habe.

Beschwer trotz der im Laufe des Klageverfahrens vorgelegten Akte

Durch die im Laufe des Klageverfahrens vorgelegte Akte des FA für Zwecke der Akteneinsicht gemäß § 78 Finanzgerichtsordnung (FGO) sei keine Erledigung der Hauptsache eingetreten und das Rechtsschutzinteresse nicht entfallen. Denn bei der vorgelegten Akte handele es sich gerade nicht um die Handakte der Betriebsprüferin, in die der Kläger Einsicht begehre.

Anwendbarkeit der DSGVO nur auf harmonisierte Steuern?

Es könne im vorliegenden Streitfall dahinstehen, ob die Vorschriften der DSGVO im Bereich des Steuerrechts nur auf harmonisierte Steuern wie etwa die Umsatzsteuer anwendbar seien, nicht dagegen auf dem Gebiet der Einkommensteuer natürlicher Personen. Denn ausweislich der Prüfungsanordnung sei auch die Umsatzsteuer Gegenstand der Prüfung gewesen. Die DSGVO sei jedenfalls bei einer Betriebsprüfung, die sich neben anderen Steuerarten auch auf die Umsatzsteuer erstrecke, insgesamt anwendbar.

Kein gebundener Anspruch auf Akteneinsicht aus Art. 15 Abs. 1 DSGVO

Ein gebundener Anspruch auf Akteneinsicht werde nicht durch das Recht auf Auskunft über personenbezogene Daten nach Art. 15 Abs. 1 DSGVO begründet. Das Auskunftsrecht aus Art. 15 Abs. 1 DSGVO und das Recht auf Erhalt einer Kopie gemäß Absatz 3 der Vorschrift seien elementare subjektive Datenschutzrechte, da erst die Kenntnis darüber, ob und in welchem Umfang ein Verantwortlicher personenbezogene Daten verarbeite, die betroffene Person in die Lage versetze, weitere Rechte auszuüben. Der Auskunftsanspruch solle für den Betroffenen Transparenz schaffen und ihm das für die Durchsetzung dieses Grundrechts notwendige Wissensfundament an die Hand geben. Er sei seiner Natur nach ein Instrument zur Durchsetzung der weiteren Betroffenenrechte wie Berichtigung (Art. 16 DSGVO), Löschung (Art. 17 DSGVO) oder Schadensersatz (Art. 82 DSGVO).

Art. 15 Abs. 1 DSGVO gewähre dem Betroffenen grundsätzlich ein „Recht auf Auskunft“. Die Erfüllung dieses Anspruchs („Ob“ der Auskunftserteilung) stehe nicht im Ermessen der Finanzbehörde. Das „Wie“ der Auskunftserteilung werde durch Art. 15 Abs. 1 Halbsatz 2 DSGVO jedoch nicht geregelt, so dass hieraus allein kein Akteneinsichtsrecht abgeleitet werden könne. Einem gebundenen Anspruch auf Akteneinsicht bei der Finanzbehörde sei schon aus sprachlichen Gründen zu widersprechen, da sich Art. 15 DSGVO dem Wortlaut nach nur auf bestimmte personenbezogene Daten beziehe und nicht auf eine allgemeine Einsicht in die Akten.

Keine Identität von Auskunfts- und Akteneinsichtsrecht

Das Auskunftsrecht nach Art. 15 Abs. 1 DSGVO sei auch nicht mit einem Akteneinsichtsrecht identisch. Das Akteneinsichtsrecht beruhe vornehmlich auf dem Grundsatz des rechtlichen Gehörs und solle den Anspruchsteller in die Lage versetzen, die Grundlagen einer Verwaltungsentscheidung nachzuvollziehen. Ein Akteneinsichtsrecht gehe stets über ein bloßes Auskunftsrecht hinsichtlich der verarbeiteten personenbezogenen Daten hinaus; so würden sich aus einer Akteneinsicht regelmäßig auch rechtliche Stellungnahmen, Entscheidungsentwürfe und Berechnungen der Amtsträger, Dienstanweisungen oder Ermittlungsergebnisse ergeben, die schon dem Grunde nach nicht unter den Schutzbereich der DSGVO und des § 32c AO fielen. Der Anspruch aus Art. 15 DSGVO umfasse auch nicht die von der Betriebsprüfung selbst, etwa im Wege der Schätzung, geschaffenen Daten. Angewandte Schätzmethoden oder Schlussfolgerungen der Betriebsprüfung aus den erhobenen Daten stellten keine Verarbeitung i. S. des Art. 4 Nr. 2 DSGVO dar.

Ermessensgerechte Entscheidung des FA über Verfahren und Form der Auskunftserteilung

Finanzbehörden dürften Verfahren und Form der Auskunftserteilung gem. § 32d Abs. 1 AO nach pflichtgemäßem Ermessen selbst bestimmen, soweit die DSGVO keine Regelungen hierzu enthalte. Die DSGVO enthalte keine Regelung über die Gewährung von Akteneinsicht, sondern lediglich über punktuelle datenschutzrechtliche Auskunftsrechte wie z. B. über die Zwecke der Verarbeitung, die Empfänger, gegenüber denen die personenbezogenen Daten offengelegt worden sind oder noch offengelegt werden, insbesondere Empfänger in Drittländern oder internationale Organisationen sowie falls möglich die geplante Dauer, für die die personenbezogenen Daten gespeichert werden, oder, falls dies nicht möglich sei, die Kriterien für die Festlegung dieser Dauer.

Der Kläger habe im Verwaltungsverfahren keine datenschutzrechtlichen Ansprüche geltend gemacht. Der das Interesse des Klägers an einer Akteneinsicht konkretisierende Vortrag im Klageverfahren mache dies noch deutlicher. Danach habe der Kläger ein Interesse daran, die personenbezogenen Daten, Auswertungen, Berechnungen und sonstigen Unterlagen für die Abwehr unberechtigter steuerlicher Ansprüche, insbesondere gegen eine willkürliche Schätzung, zu erlangen, um sich gegen die Änderungsbescheide entsprechend wehren zu können. Dieses Interesse sei jedoch nicht datenschutzrechtlicher, sondern steuerverfahrensrechtlicher Natur. Es sei daher nicht zu beanstanden, dass der Beklagte die auf Art. 15 Abs. 1 DSGVO begehrte Auskunft abgelehnt und auch davon abgesehen habe, dem Kläger die Angaben i. S. von Art. 15 Abs. 1 Halbsatz 2 DSGVO mitzuteilen.

Kein Recht auf Akteneinsicht auf Grundlage der AO

Wie der Bundesfinanzhof in ständiger Rechtsprechung entschieden habe, sei ein solches Einsichtsrecht weder aus § 91 Abs. 1 AO und dem hierzu ergangenen Anwendungserlass zur Abgabenordnung (AEAO) noch aus § 364 AO und dem dazu ergangenen AEAO abzuleiten. Allerdings gehe der BFH in ständiger Rechtsprechung – ebenso wie die Finanzverwaltung in Nr. 4 AEAO zu § 91 AO – davon aus, dass dem während eines Verwaltungsverfahrens um Akteneinsicht nachsuchenden Steuerpflichtigen oder seinem Vertreter ein Anspruch auf eine pflichtgemäße Ermessensentscheidung der Behörde zustehe.

Vorliegend seien keine Ermessensfehler erkennbar. Das FA habe in der Einspruchsentscheidung ausgeführt, die Annahme der Prüferin, die Buchführung sei nicht ordnungsgemäß, beruhe auf der Sichtung von Daten und Kopien von Unterlagen, die ihr vom Kläger selbst bzw. seiner Steuerberaterin ausgehändigt worden seien. Diese lägen dem Kläger bzw. seiner Steuerberaterin im Original vor. Unter Betrachtung dieser Ausführungen sei bis zum Abschluss des Verwaltungsverfahrens nicht deutlich geworden, worin das berechtigte Interesse des Klägers an der Einsicht in die Handakte der Betriebsprüfung bestehen sollte. Ein solches hätte von ihm dargelegt werden müssen.

Begrenzung der gerichtlichen Überprüfung auf den Zeitpunkt der letzten Verwaltungsentscheidung

Soweit der Kläger erstmals im Klageverfahren vortrage, die Handakten der Betriebsprüferin enthielten auch Auswertungen, Berechnungen und sonstigen Unterlagen, könne er hiermit nicht gehört werden. Denn entscheidender Zeitpunkt für die Beurteilung der Rechtmäßigkeit sei derjenige der letzten Verwaltungsentscheidung. Zu diesem Zeitpunkt sei vom Kläger jedoch noch nicht zum angeblichen Umfang der Handakte der Betriebsprüferin vorgetragen worden. Vielmehr sei der Vortrag der Betriebsprüferin unwidersprochen geblieben, wonach die Handakte zum damaligen Zeitpunkt zum Streitpunkt der fehlenden Ordnungsmäßigkeit der Buchführung nur von Klägerseite übergebene Unterlagen enthalten habe. In einem solchen Fall bestehe kein berechtigtes Interesse an einer Akteneinsicht.

Kein landesrechtliches Auskunftsrecht

Schließlich bestehe auch kein Anspruch auf Akteneinsicht nach dem Gesetz zur Regelung des Zugangs zu Informationen in Baden-Württemberg (LIFG). Nach § 2 Abs. 3 Nr. 4 LIFG gelte das Gesetz nicht gegenüber den Landesfinanzbehörden im Sinne des § 2 des Finanzverwaltungsgesetzes, soweit sie in Verfahren in Steuersachen tätig werden.

Quelle: FG Baden-Württemberg, Newsletter 3/2021