DBA-Schweiz - 13. Juli 2021

Grenzgängerregelung bei sog. geringfügigen Arbeitsverhältnissen

FG Baden-Württemberg, Mitteilung vom 12.07.2021 zum Urteil 3 K 2357/19 vom 22.04.2021 (nrkr - BFH-Az.: I R 24/21)

  1. Das in Art. 15a Abs. 1 Satz 1 DBA-Schweiz für Grenzgänger formulierte Erfordernis, dass ein Grenzgänger „regelmäßig“ von seinem Arbeitsort an seinen Wohnsitz zurückkehrt, bedeutet lediglich „jeweils nach Arbeitsende“.
  2. Bei einem Teilzeitbeschäftigten, der nur tageweise in der Schweiz beschäftigt ist, ist die Anzahl von 60 unschädlichen Nichtrückkehrtagen in § 15a Abs. 2 Satz 2 DBA-Schweiz durch proportionale Kürzung im Verhältnis der Arbeitstage herabzusetzten.
  3. Der generelle Ausschluss sog. geringfügiger Arbeitsverhältnisse im Sinne von § 7 KonsVerCHEV aus der Grenzgängerregelung, d. h. von Arbeitsverhältnissen für einen in der Schweiz ansässigen Arbeitgeber mit einer vereinbarten Arbeitszeit von weniger als einem Tag pro Woche bzw. fünf Tagen pro Monat, steht im Widerspruch zu Art. 15a Abs. 2 DBA-Schweiz. Die Befugnis zur Verwerfung derartiger abkommensändernder Rechtsverordnungen liegt bei den Gerichten.

Sachverhalt

Der Kläger hatte im Streitjahr 2013 seinen alleinigen Wohnsitz in Deutschland und wurde hier zur Einkommensteuer veranlagt. Seit Oktober 2002 ist er als Vertriebsleiter der B Inc. (USA) angestellt. Daneben bezog er Arbeitslohn als Prokurist der von ihm gegründeten C AG (Schweiz) in N. In dem Arbeitsvertrag mit der C AG wurde eine Arbeitszeit von „3 Arbeitstagen (24 Stunden) pro Monat, je nach Bedarf nicht an feste Tage gebunden“ vereinbart. In seiner Einkommensteuererklärung machte der Kläger geltend, dass der von der C AG bezogene Arbeitslohn von der deutschen Besteuerung unter Progressionsvorbehalt freizustellen sei. Er sei leitender Angestellter im Sinne von Art. 15 Abs. 4 DBA-Schweiz und kein Grenzgänger im Sinne von Art. 15a DBA-Schweiz. Die in Art. 15a Abs. 2 Satz 2 DBA-Schweiz festgelegte Grenze von 60 Nichtrückkehrtagen/Jahr sei aufgrund seiner Teilzeitbeschäftigung durch proportionale Kürzung im Verhältnis der Arbeitstage zu kürzen. Er habe anlässlich von Geschäftsreisen im Streitjahr 20 Nichtrückkehrtage gehabt. Das beklagte Finanzamt (FA) unterwarf den Arbeitslohn des Klägers für die C AG in voller Höhe der Besteuerung in Deutschland. Der Kläger sei als Grenzgänger im Sinne von Art. 15a Abs. 1 Satz 1 DBA-Schweiz anzusehen. Art. 15 Abs. 4 DBA-Schweiz finde daher keine Anwendung. Einen Nachweis über die Nichtrückkehrtage habe der Kläger unter Berücksichtigung der ihm obliegenden Mitwirkungspflichten nicht erbracht.

Aus den Gründen

Das Finanzgericht wies die Klage ab. Die Einkünfte des Klägers aus der Tätigkeit für die C AG seien in die Bemessungsgrundlage der deutschen Einkommensteuer einzubeziehen, da er im Streitjahr als Grenzgänger im Sinne des Art. 15a DBA-Schweiz anzusehen sei.

Unbeschränkte Einkommensteuerpflicht des Klägers

Der Kläger sei wegen seines alleinigen Wohnsitzes im Inland unbeschränkt einkommensteuerpflichtig. Er habe daher mit sämtlichen im Streitjahr erzielten Einkünften der deutschen Einkommensteuer unterlegen. Aus abkommensrechtlicher Sicht sei er in Deutschland ansässig gewesen (Art. 4 Abs. 1 DBA-Schweiz).

Keine Einschränkung des deutschen Besteuerungsrechts für die in der Schweiz erzielten Lohneinkünfte

Die Ausübung des deutschen Besteuerungsrechts auf die Einkünfte des Klägers aus nichtselbständiger Arbeit für die C AG sei nicht durch Art. 24 Abs. 1 Nr. 1 Satz 1 Buchst. d DBA-Schweiz eingeschränkt. Zwar sehe diese Vorschrift bei einer in Deutschland ansässigen Person unter bestimmten Voraussetzungen vor, die aus der Schweiz stammenden Gehälter, Löhne und ähnlichen Vergütungen im Sinne des Art. 15 DBA-Schweiz von der Bemessungsgrundlage der deutschen Steuer auszunehmen seien. Diese Voraussetzungen sind im Streitfall jedoch nicht erfüllt.

Der Kläger sei zwar Prokurist der C-AG gewesen, …

Nach Art. 15 Abs. 4 DBA-Schweiz könnten vorbehaltlich des Art. 15a DBA-Schweiz die Einkünfte einer in Deutschland ansässigen Person aus einer Tätigkeit als Vorstandsmitglied, Direktor, Geschäftsführer oder Prokurist einer in der Schweiz ansässigen Kapitalgesellschaft in der Schweiz besteuert werden, sofern die Tätigkeit nicht so abgegrenzt ist, dass sie lediglich Aufgaben außerhalb der Schweiz umfasst.

Der Kläger gehöre als Prokurist zu dem in Art. 15 Abs. 4 DBA-Schweiz genannten Personenkreis. Die C AG sei auch eine nach Schweizer Recht errichtete Kapitalgesellschaft mit Sitz in der Schweiz. Des Weiteren gehe der Senat davon aus, dass die C AG im Streitjahr in der Schweiz auch ansässig im Sinne von Art. 4 Abs. 8 DBA-Schweiz gewesen sei. Der Mittelpunkt der tatsächlichen Geschäftsleitung habe sich in N/Schweiz befunden, wo die die C AG einen für ihren Geschäftsbetrieb ausgestatteten Raum angemietet und der Kläger sich regelmäßig aufgehalten habe.

… das Schweizer Besteuerungsrecht sei aber wegen der Grenzgängereigenschaft des Klägers ausgeschlossen.

Die Anwendung von Art. 15 Abs. 4 DBA-Schweiz sei im Streitfall jedoch durch Art. 15a DBA-Schweiz, der Art. 15 Abs. 4 DBA-Schweiz vorgehe, ausgeschlossen, da der Kläger als Grenzgänger im Sinne Art. 15a DBA-Schweiz anzusehen ist.

Grenzgänger sei jede in einem Vertragsstaat ansässige Person, die in dem anderen Vertragsstaat ihren Arbeitsort habe und von dort regelmäßig an ihren Wohnsitz zurückkehre. Arbeitstage im Sinne dieser Regelung seien die in dem Arbeitsvertrag vereinbarten Tage. Das ergebe sich aus Nr. II.2. des Verhandlungsprotokolls zum Änderungsprotokoll vom 18. Dezember 1991 (Verhandlungsprotokoll), das eine verbindliche Vorgabe für die Auslegung des Art. 15a Abs. 2 DBA-Schweiz enthalte.

Regelmäßige Rückkehr des Klägers auch bei einer geringen Anzahl von Grenzübertritten (hier 1 bis 2 Mal im Monat)

„Regelmäßig“ bedeute lediglich „jeweils nach Arbeitsende“. Das heiße, dass eine Rückkehr aus dem Tätigkeitsstaat an den Tagen nicht verlangt wird, an denen sich der Grenzgänger aus beruflichen oder privaten Gründen nicht in den Tätigkeitsstaat begeben habe. Am Arbeitsort arbeitsfreie Tage (insbes. Urlaubs- und Krankheitstage; arbeitsfreie Samstage, Sonntage und Feiertage; Arbeitstage im Wohnsitztag oder einem Drittstaat) seien in diese Beurteilung nicht einzubeziehen.

Die für die ganzjährige Grenzgängereigenschaft erforderliche Voraussetzung des regelmäßigen Pendelns über die Grenze an Arbeitstagen im Sinne von Nr. II.2 des Verhandlungsprotokolls könne auch unter Berücksichtigung von Arbeitstagen im Ansässigkeitsstaat oder Drittstaaten vorliegen. Ein tägliches Überqueren der Grenze zur Schweiz sei für die Begründung der Grenzgängereigenschaft nicht erforderlich, ein gelegentliches Überqueren jedoch nicht ausreichend. Die hierfür erforderliche Anzahl an Grenzüberschreitungen bestimmt sich nach den tatsächlichen Gegebenheiten des jeweiligen Einzelfalles.

Nach dieser Maßgabe sehe der Senat die Voraussetzung einer regelmäßigen Rückkehr des Klägers im Sinne von Art. 15a Abs. 1 Satz 1 DBA-Schweiz auch dann als erfüllt an, wenn der Kläger das Büro in N nur 1 bis 2 Mal im Monat aufgesucht haben sollte.

Proportionale Kürzung der schädlichen Nichtrückkehrtage im Verhältnis der arbeitsvertraglich vereinbarten Arbeitszeit

Zu der zu leistenden Arbeitszeit sei in Art. 9 des im Streitjahr maßgeblichen Arbeitsvertrag vereinbart, dass diese „3 Arbeitstage (24 Stunden) pro Monat, je nach Bedarf beträgt und nicht an feste Tage gebunden ist“. Unklar sei, wie diese Arbeitszeitvereinbarung tatsächlich umgesetzt wurde, d. h. ob der Kläger die geschuldete Arbeitsleistung von 24 Stunden an 3 Arbeitstagen oder – je nach Bedarf – stundenweise erbrachte. Aber auch wenn der Kläger nur an 1 bis 2 Arbeitstagen im Monat die Grenze zur Ausübung seiner Arbeit für die C AG überquert haben sollte, seien diese Rückkehren im Verhältnis zu maßgeblichen 3 Arbeitstagen im Monat nicht als gelegentlich, sondern als regelmäßig im Sinne von Art. 15a Abs. 2 Satz 1 DBA-Schweiz anzusehen. Denn eine Rückkehr finde mindestens an einem Drittel der vereinbarten Arbeitstage statt und damit – im Verhältnis zur vereinbarten Arbeitszeit – häufiger als bei Vorliegen von 61 Nichtrückkehrtagen, die bei einer Fünf-Tage-Woche (250 Arbeitstagen/Jahr) nach Art. 15a Abs. 2 Satz 2 DBA-Schweiz zum Wegfall der Grenzgängereigenschaft führen.

Keine Bindung an die Bestimmung der Grenzgängereigenschaft in den Konsultationsvereinbarungen für geringfügige Arbeitsverhältnisse

Die Regelung in § 7 der Verordnung zur Umsetzung von Konsultationsvereinbarungen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Schweizerischen Eidgenossenschaft (KonsVerCHEV) vom 20. Dezember 2010 führe zu keinem anderen Ergebnis.

Nach § 7 KonsVerCHEV liege eine regelmäßige Rückkehr auch noch vor, wenn sich der Arbeitnehmer auf Grund eines Arbeitsvertrags oder mehrerer Arbeitsverträge mindestens an einem Tag pro Woche oder mindestens an fünf Tagen pro Monat von seinem Wohnsitz an seinen Arbeitsort und zurück begebe. Seien die genannten Voraussetzungen bei geringfügigen Arbeitsverhältnissen nicht erfüllt, werde eine regelmäßige Rückkehr nicht angenommen.

Ermächtigungsgrundlage für die KonsVerCHEV sei § 2 Abs. 2 Satz 1 AO. Mit dieser durch das Jahressteuergesetz 2010 eingefügten Regelung habe der Gesetzgeber zwischenstaatlichen Konsultationsvereinbarungen im Sinne des Art. 25 Abs. 3 des OECD-Musterabkommens den Rang einer Rechtsverordnung verleihen wollen.

Verstoß der Konsultationsvereinbarung gegen höherrangiges Recht und Verwerfungskompetenz des Finanzgerichts

Zwischenstaatliche Konsultationsvereinbarungen, die aufgrund der Ermächtigungsgrundlage des § 2 Abs. 2 AO als Rechtsverordnung erlassen wurden, könnten eine Abkommensregelung spezifizieren und umsetzen. Es sei wegen des Vorranges des Gesetzes (Art. 20 Abs. 3 des Grundgesetzes – GG -) aber ausgeschlossen, dass eine auf Grundlage des § 2 Abs. 2 AO erlassene Rechtsverordnung den Abkommenstext der höherrangigen Rechtsnorm (hier des Doppelbesteuerungsabkommens in der Umsetzung des „einfachen“ Zustimmungsgesetzes) und damit die Besteuerungszuordnung der Einkünfte verändere. Durch die im Rang einer Rechtsverordnung stehende KonsVerCHEV könne keine Regelung getroffen werden, die dem im Rang eines Gesetzes stehenden DBA-Schweiz widerspreche oder dessen Lücken ergänze. Vielmehr sei die „Grenzmarke“ des Wortlauts des Art. 15a DBA-Schweiz zu beachten. Die Befugnis zur Verwerfung derartiger abkommensändernder Rechtsverordnungen liegt bei den Gerichten.

Soweit § 7 KonsVerCHEV dahin zu verstehen sei, dass das Tatbestandsmerkmal der „regelmäßigen Rückkehr“ eine Mindesteinsatzzeit im anderen Vertragsstaat von 1 Tag pro Woche oder 5 Tagen pro Monat voraussetze, lasse sich dieses Erfordernis aus dem Wortlaut von Art. 15a Abs. 2 DBA-Schweiz unter Berücksichtigung der im Verhandlungsprotokoll von den Vertragsparteien getroffenen verbindlichen Festlegungen für die Anwendung und Auslegung von Art. 15a Abs. 2 DBA-Schweiz nicht ableiten. Der generelle Ausschluss sog. geringfügiger Arbeitsverhältnisse im Sinne von § 7 KonsVerCHEV aus der Grenzgängerregelung, d. h. von Arbeitsverhältnissen für einen in der Schweiz ansässigen Arbeitgeber mit einer vereinbarten Arbeitszeit von weniger als einem Tag pro Woche bzw. fünf Tagen pro Monat, stehe im Widerspruch zu Art. 15a Abs. 2 DBA-Schweiz. Denn auch in diesen Fällen findet – bezogen auf den tatsächlichen Arbeitseinsatz an den im Arbeitsvertrag vereinbarten Tagen – eine regelmäßige Rückkehr an den Wohnort statt.

Kein Entfall der Grenzgängereigenschaft wegen Nichtrückkehrtagen

Nach Art. 15a Abs. 2 Satz 2 DBA-Schweiz entfalle die Grenzgängereigenschaft nur dann, wenn die Person bei einer Beschäftigung während des gesamten Kalenderjahres an mehr als 60 Arbeitstagen auf Grund ihrer Arbeitsausübung nicht an ihren Wohnsitz zurückkehrt. Bei einem Teilzeitbeschäftigten sei die Anzahl von 60 unschädlichen Tagen durch proportionale Kürzung im Verhältnis der Arbeitstage herabzusetzen.

Feststellungslast des Klägers für den Nachweis der Nichtrückkehrtage

Der Kläger habe zur Überzeugung des Senats nicht nachgewiesen, dass er im Streitjahr an einer ausreichenden Anzahl von Tagen aufgrund einer seinem Beschäftigungsverhältnis zur C AG zuzuordnenden Geschäftsreise nicht an seinen Wohnsitz zurückgekehrt sei. Der Kläger trage sowohl für die objektive Zahl der Übernachtungen als auch für deren jeweilige berufliche Veranlassung die objektive Beweislast (Feststellungslast), da er die inländische Steuerpflicht seiner Einkünfte unter Hinweis auf Art. 15a Abs. 2 Satz 2 DBA-Schweiz bestreite. Die Zahl der Nichtrückkehrtage sei bezogen auf jeden einzelnen der geltend gemachten Nichtrückkehrtage festzustellen. Eine Schätzung der Anzahl der Nichtrückkehrtage sei nicht zulässig.

Ausgehend hiervon habe der Kläger lediglich für eine Geschäftsreise (1 Nichtrückkehrtag) durch Vorlage einer Bestätigung des besuchten Geschäftspartners, bei dem es sich um einen (künftigen) Kunden der C AG gehandelt habe, zur Überzeugung des Senats nachweisen, dass die Nichtrückkehr durch sein Beschäftigungsverhältnis zur C AG veranlasst gewesen sei.

Quelle: FG Baden-Württemberg, Newsletter 2/2021