FG Baden-Württemberg, Mitteilung vom 22.12.2022 zum Urteil 1 K 2898/21 vom 04.08.2022 (nrkr - BFH-Az.: I B 48/22)
- Im Rahmen der gerichtlichen Rechtmäßigkeitsprüfung einer Zinsfestsetzung ist die Neuregelung durch das sog. Zinsanpassungsgesetz unabhängig von einer diesbezüglichen automationsgesteuerten Umsetzung durch die Finanzverwaltung anzuwenden.
- Eine Person, die in Deutschland ihren Wohnsitz hat und damit der unbeschränkten Steuerpflicht unterliegt, ist nach Art. 4 Abs. 1 DBA-China im Inland ansässig. Eine gleichzeitige Ansässigkeit in China (Doppelansässigkeit) liegt nach dem in den Streitjahren bis 2018 maßgeblichen chinesischen Steuerrecht nur vor, wenn die Person in China entweder einen (dauerhaften) Wohnsitz (sog. Domizil) hat oder sie sich ein Jahr oder länger in China aufhält.
Sachverhalt
Der in China geborene Kläger absolvierte in Deutschland ein technisches Universitätsstudium und ist ebenso wie seine Ehefrau seit 2001 deutscher Staatsangehöriger. Aus der Ehe ist ein in den Streitjahren 2013 bis 2018 minderjähriges Kind hervorgegangen. Die Eheleute hatten im Jahr 2003 ein Reihenhaus in H erworben. Im Jahr 2016 zogen sie in ein Einfamilienhaus in G, das auf einem von ihnen im Jahr 2013 erworbenen Grundstück neu errichtet worden war. Der Kläger ist Inhaber verschiedener Unternehmen in China und in Deutschland. In Deutschland hält er jeweils 90 Prozent an einer M GmbH und einer Werkzeug GmbH, seine Ehefrau 10 Prozent. In China ist der Kläger zu 100 Prozent an mehreren Unternehmen beteiligt, die er ab 2001 gegründet hatte (Werkzeug Ltd., Gew Ltd., M Ltd., T Ltd. und Werkzeug Ltd., X).
Bis einschließlich 2007 wurden der Kläger und seine Ehefrau zusammen zur Einkommensteuer veranlagt. Auf der Einkommensteuererklärung der Ehefrau für 2008 wurde von der Sachbearbeiterin des FA notiert: „Telefonat mit StB, Ehemann lebt seit 2007 wieder in China Einzelveranlagung der EF.“ Ab 01.01.2008 erhielt die Ehefrau für die Einzelveranlagung eine neue Steuernummer. Sie erklärte für die Veranlagungszeiträume 2008 bis 2018 Einkünfte aus nichtselbstständiger Tätigkeit als Geschäftsführerin der M GmbH und der Werkzeug GmbH.
Nach einer Steuerfahndungsprüfung und Auswertung der beschlagnahmten Unterlagen ging das FA von einem fortbestehenden Wohnsitz des Klägers im Inland aus und erließ für die Streitjahre 2013 bis 2018 Einkommensteuerbescheide, in denen Gewinnausschüttungen der chinesischen Gesellschaften des Klägers als Einkünfte aus Kapitalvermögen erfasst wurden. Hieraus ergaben sich Einkommensteuernachzahlungen von etwa 3 Mio. Euro. Die Zinsfestsetzungen ergingen hinsichtlich der Verfassungsmäßigkeit der Höhe des Zinssatzes von 0,5 Prozent pro Monat jeweils vorläufig. Mit seinem Einspruch trug der Kläger vor, er würde seit 2007 unter der Ladungsanschrift in seiner Villa in China wohnen. Diese Immobilie hätten er und seine Ehefrau im Jahr 2007 zu jeweils hälftigem Miteigentum erworben. Im Jahr 2008 habe er sich aus Deutschland „ins Ausland“ abgemeldet. Von seiner Ehefrau und seiner Familie lebe er seit 2006 getrennt.
Aus den Gründen
Das Finanzgericht wies die Klage wegen Einkommensteuer 2013 bis 2018 ab. Zu Gunsten des Klägers wurden nur die Zinsfestsetzungen geändert.
Anpassung der Zinsbescheide an die geänderte Verzinsung ab dem 01.01.2019
Die Zinsbescheide seien rechtswidrig, soweit eine Verzinsung i. H. von 0,5 Prozent im Monat ab dem 01.01.2019 erfolgt sei. Aufgrund des am 22.07.2022 in Kraft getretenen sog. Zinsanpassungsgesetz seien die Zinsen in den Fällen des § 233a Abgabenordnung (AO) abweichend von § 238 Abs. 1 Satz 1 AO rückwirkend ab dem 01.01.2019 für jeden Monat mit 0,15 Prozent, d. h. 1,8 Prozent pro Jahr festzusetzen.
Der Zinsänderung stehe nicht Art. 97 § 15 Abs. 16 EGAO entgegen. Der Senat folge insoweit nicht der Auffassung des FA, dieser Regelung liege der Rechtsgedanke zugrunde, dass weiterhin die Voraussetzungen für die vorläufigen Zinsfestsetzungen gegeben seien, solange die technischen und organisatorischen Voraussetzungen für die Anwendung des neuen, geringeren Zinssatzes noch nicht vorlägen und ein Rechtsbehelf daher mangels Vorliegens eines Rechtsschutzbedürfnisses unzulässig sei. Zunächst wäre es vorliegend unstreitig möglich gewesen, sog. manuelle Bescheide zu erlassen, sodass die technischen und organisatorischen Voraussetzungen für die Anwendung von § 238 Abs. 1a AO im Einzelfall vorliegen würden. Auch verfolge Art. 97 § 15 Abs. 16 EGAO den Zweck, dass die Finanzverwaltung im steuerlichen Massenverfahren (wie bisher) Zinsfestsetzungen vorläufig erlassen könne, obwohl die Voraussetzungen von § 165 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 AO nach dem Inkrafttreten des Zinsanpassungsgesetzes nicht mehr vorlägen. Darum gehe es aber vorliegend nicht, sondern um die Rechtmäßigkeitsprüfung von Verwaltungsakten. Soweit das FA daher beantrage, das Verfahren wegen der Zinsfestsetzungen abzutrennen und auszusetzen, bis die Finanzverwaltung die Voraussetzungen für eine automationsgestützte Anwendung von § 238 Abs. 1a AO geschaffen habe, sei dies abzulehnen. Eine Verfahrenstrennung sei nicht prozessökonomisch und eine Verfahrensaussetzung mangels Vorgreiflichkeit nicht möglich.
Rechtmäßigkeit der Einkommensteuerbescheide
Die Einkommensteuerbescheide seien rechtmäßig, weil der Kläger im Inland unbeschränkt einkommensteuerpflichtig sei und Deutschland auch das Besteuerungsrecht hinsichtlich der Gewinnausschüttungen zustehe.
Unbeschränkte Steuerpflicht des Klägers wegen Wohnsitz im Inland
Der Kläger sei in Deutschland unbeschränkt steuerpflichtig. Er habe in den Streitjahren seinen Wohnsitz im Inland, zunächst in H und ab 2016 mit der Fertigstellung des Gebäudes in G, gehabt. Ihm hätten dort jederzeit Räumlichkeiten zur Verfügung gestanden, die über eine lediglich kurzfristige, vorübergehende oder eine bloß notdürftige Unterbringungsmöglichkeit weit hinausgegangen seien. Auch sei er hälftiger Miteigentümer der jeweiligen Wohnungen gewesen, sodass ihm ein Anspruch auf Nutzung zugestanden habe bzw. weiter zustehe. Seine Nutzungsmöglichkeiten seien weder durch Vereinbarungen noch durch Absprachen derart beschränkt gewesen, dass er die Wohnung nicht jederzeit für einen Wohnaufenthalt hätte nutzen können. Wer -wie der Kläger zuletzt in G- in einer Bleibe jedenfalls über eine Schlafgelegenheit, ein Ankleidezimmer und einen Stellplatz für einen stets zur Nutzung vorgehaltenen Pkw verfüge, habe einen Wohnsitz im Inland. Dass der Kläger bei Aufenthalten in Deutschland nur zur Ersparnis von Hotelkosten in seinen ihm mitgehörenden Räumlichkeiten übernachtet haben will, sei vor diesem Hintergrund nicht glaubhaft. Von seiner jederzeitigen Nutzungsmöglichkeit habe der Kläger auch Gebrauch gemacht. In jedem Jahr des Streitzeitraums habe er – bis auf das Jahr 2017- mehr als 90 Tage in Deutschland und davon ganz überwiegend – zunächst in H, ab 2016 in G – in seinen Räumlichkeiten verbracht. Selbst wenn er von hier aus einige Geschäftsreisen innerhalb Deutschlands unternommen haben sollte, bleibe ein substantieller Anteil an Aufenthalten in der Immobilie in G. Auch habe der Kläger die laufenden Kosten für das Haus in G (Rundfunkgebühren, Strom, Wasser, Gas und Abwasser) getragen.
Keine familienrechtliche Trennung
Der Kläger habe auch nicht – wie von ihm behauptet – seit 2006 im familienrechtlichen Sinne von seiner Ehefrau getrennt gelebt. In einer Gesamtschau bestehe zwischen dem Kläger und seiner Ehefrau eine häusliche Gemeinschaft. Sie hätten alle wichtigen Festtage und persönlichen Anlässe gemeinsam mit den Kindern gefeiert und ihre Unternehmen in Deutschland gemeinsam betrieben. Sie hätten alle wichtigen Fragen das Haus betreffend (Bebauung und Einrichtung) einvernehmlich geregelt und wechselseitig Verfügungsbefugnis über ihre Privatkonten gehabt. Auch spreche nichts dafür, dass sich zumindest einer der Ehegatten subjektiv von der Ehe gelöst hätte. Jedenfalls habe – bei einer unterstellten Trennung ab dem Jahr 2006 – keine Veranlassung für den Kläger bestanden, im Jahr 2013 das Grundstück in G gemeinsam mit seiner Ehefrau zu erwerben und aufwändig zu bebauen. Nicht zuletzt seien die Eheleute trotz der angeblichen Trennung im Jahr 2006 bis heute weder geschieden noch sei ein Ehescheidungsverfahren anhängig.
Steuerbare Gewinnausschüttungen (Einkünfte aus Kapitalvermögen)
Der Kläger habe steuerbare Bezüge aus den Gewinnausschüttungen seiner (ausländischen) Kapitalgesellschaften bezogen (Werkzeug Ltd., Gew Ltd. und T Ltd. jeweils X), die den Einkünften aus Kapitalvermögen zuzuordnen seien und die mangels Antrag nach § 32d Abs. 2 Nr. 3 EStG der Abgeltungsteuer unterlägen. Die Beteiligungsbezüge von ausländischen Kapitalgesellschaften unterfielen § 20 Abs. 1 Nr. 1 Satz 1 EStG, wenn die ausländische Gesellschaft und das zum Bezug führende ausländische Beteiligungsrecht ihrer Struktur nach einer unter § 1 Abs. 1 Nr. 1 KStG fallenden inländischen Kapitalgesellschaft im Wesentlichen entspreche. Dies sei nach dem sog. Typenvergleich festzustellen. Die chinesische Ltd. sei mit einer GmbH vergleichbar. Es handele sich dabei um eine Kapitalgesellschaft mit einer beschränkten Haftung im Außenverhältnis, die im Wesentlichen im chinesischen Gesellschaftsrecht (PRC Company Law) geregelt sei. Die Gesellschaftsrechte des Inhabers ähnelten dem eines GmbH-Gesellschafters.
Deutsches Besteuerungsrecht für Gewinnausschüttungen nach DBA-China
Das Besteuerungsrecht hinsichtlich der Gewinnausschüttungen stehe nach dem einschlägigen DBA Deutschland zu. Eine Anrechnung von chinesischer Quellensteuer nach § 32d Abs. 5 Sätze 1 und 2 EStG sei nicht vorzunehmen, da die Kapitalerträge in China nicht besteuert worden seien. Sowohl der persönliche als auch der sachliche Anwendungsbereich des DBA-China seien eröffnet. Dabei gelte das (alte) DBA-China vom 10.06.1985 bis zum 05.04.2016 und das (neue) DBA-China vom 28.03.2014 gelte ab 06.04.2016 (BGBl. II 2016 S. 1005). Die Regelungen seien – soweit sie den Streitfall beträfen – weitgehend inhaltsgleich. Nach Art. 1 DBA-China gelte das Abkommen für Personen, die in einem Vertragsstaat oder in beiden Vertragsstaaten ansässig seien und sachlich nach Art. 2 Abs. 1 DBA-China für Steuern vom Einkommen und vom Vermögen, die in einem der Vertragsstaaten erhoben würden.
Der Kläger sei nur in Deutschland ansässig
Der abkommensrechtliche Begriff der Ansässigkeit ergebe sich aus Art. 4 Abs. 1 DBA-China. Er schränke die Abkommensberechtigung auf solche Personen ein, die nach dem Recht zumindest eines der Vertragsstaaten aufgrund von ortsbezogenen Merkmalen in einem Vertragsstaat der Steuerpflicht unterlägen. Art. 4 Abs. 1 DBA-China definiere die Voraussetzungen der Ansässigkeit nicht abkommensautonom, sondern durch ausdrückliche Anknüpfung an das innerstaatliche Recht des jeweiligen Vertragsstaats. Die Aufzählung der Kriterien, aus denen sich die Steuerpflicht ergeben könne, verdeutliche, dass sich die unbeschränkte Steuerpflicht aus ortsbezogenen Merkmalen des nationalen Steuerrechts ableite. Auf die tatsächliche Besteuerung im Ansässigkeitsstaat komme es dagegen nicht an.
Eine Anwendung von Art. 4 Abs. 2 DBA-China (tie-breaker-rule) scheide aus, wenn der Steuerpflichtige schon nach Art. 4 Abs. 1 DBA-China nur in einem Vertragsstaat ansässig ist. Nur bei einer sog. Doppelansässigkeit, d. h. bei Ansässigkeit in beiden Vertragsstaaten, bestimme Art. 4 Abs. 2 DBA-China, in welchem Staat eine Person abkommensrechtlich als ansässig gelte. Der andere Vertragsstaat könne dann lediglich Quellenstaat sein.
Keine Doppelansässigkeit in Deutschland und China
Da der Kläger seinen Wohnsitz in Deutschland habe und der unbeschränkten Steuerpflicht unterliege, sei er nach Art. 4 Abs. 1 DBA-China im Inland ansässig. Er sei nicht gleichzeitig in China ansässig. Nach chinesischem Steuerrecht sei für die dortige unbeschränkte, persönliche Steuerpflicht grundsätzlich maßgeblich, ob eine Person dauerhaft in China wohnhaft sei oder sich dort mindestens fünf Jahre ohne wesentliche Unterbrechung aufhalte. Bis zum Ablauf von fünf Jahren würde eine Mischform von beschränkter und unbeschränkter Steuerpflicht angewendet, wonach gewisse Einkünfte aus chinesischen Quellen vollumfänglich, Kapitaleinkünfte jedoch nur beschränkt steuerpflichtig seien. Vorliegend sei aufgrund des Streitzeitraums auf den Rechtsstand des chinesischen Steuerrechts bis zum 31.12.2018 abzustellen, sodass die umfassende Reform des Einkommensteuerrechts in China mit Wirkung zum 01.01.2019 unbeachtlich sei.
Keine unbeschränkte Steuerpflicht nach chinesischem Steuerrecht
Im Streitfall habe sich der Senat die Kenntnisse über das chinesische Steuerrecht als Tatsache (§ 293 Zivilprozessordnung i. V. m. § 155 Satz 1 FGO) durch die allgemein verfügbaren Gesetzestexte, Verwaltungsanweisungen, Kommentierungen und den Vortrag der Beteiligten verschafft. Danach gebe es im chinesischen Steuerrecht in den Streitjahren zwei Anknüpfungspunkte für die unbeschränkte Steuerpflicht. Die unbeschränkte Steuerpflicht einer natürlichen Person in China setze in den Streitjahren voraus, dass sie in China entweder, in Anlehnung an das Prinzip des „domicile“ aus dem Common Law nach Art. 1 Abs. 1, 1. Alt. des Individual Income Tax Law of the PRC (IITL) i. V. m. Art. 2 der chinesischen Einkommensteuer-Durchführungsverordnung (chin. EStDV), einen (dauerhaften) Wohnsitz (sog. Domizil) habe, oder dass sie sich ein Jahr oder länger in China aufhalte (Art. 1 Abs. 1, 2. Alt. IITL i. V. m. Art. 3 chin. EStDV).
Kein Domizil des Klägers in China
Der Begriff Domizil sei im Sinne einer dauerhaften Absicht, in dem jeweiligen Land zu verweilen, zu verstehen. Er sei einem qualifizierten Wohnsitz vergleichbar und kann nur an einem Ort bestehen. Nach Art. 2 chin. EStDV habe eine natürliche Person ihr Domizil in China, wenn sie aufgrund ihrer (städtischen) Registrierung, ihrer Familienverhältnisse sowie ihrer wirtschaftlichen Verhältnisse ihren gewöhnlichen Aufenthalt in China habe. Somit hätten ausländische Bürger, die sich nur aufgrund ihrer Tätigkeit in China aufhielten, grundsätzlich keinen Wohnsitz in China, weil ihr gewöhnlicher Aufenthaltsort nicht in China liege. Hätte der Kläger allein aufgrund seiner wirtschaftlichen Verhältnisse („economic interests“ nach Art. 2 chin. EStDV) ein Domizil in China, wäre er dort unbeschränkt steuerpflichtig. Das vertrete aber selbst der Kläger im Ergebnis nicht, da er dann in China „domiciled“ wäre und nicht lediglich „fiscal resident“. Letzteres soll ihm aber die chinesische Steuerverwaltung bescheinigt haben („Chinese fiscal resident“).
Kein Aufenthalt von einem Jahr oder länger
Der Aufenthalt von einem Jahr oder länger -der neben dem Domizil ebenfalls die unbeschränkte Steuerpflicht auslöse- meine einen Aufenthalt in China von 365 Tagen im Steuerjahr (Art. 1 Abs. 1, 2. Alt. IITL i. V. m. Art. 3 Abs. 1 Satz 1 chin. EStDV). Ein Steuerjahr in diesem Sinne entspreche dem Kalenderjahr (Art. 44 chin. EStDV). Lediglich vorübergehende Abwesenheitstage würden nicht berücksichtigt (Art. 3 Abs. 1 chin. EStDV). Vorübergehende Abwesenheitstage bedeuteten einen Aufenthalt außerhalb Chinas von nicht mehr als 30 Tagen und bei mehreren Abwesenheiten von nicht mehr als 90 Tagen pro Steuerjahr (Art. 3 Abs. 2 chin. EStDV). Die Aufenthaltsdauer in China werde anhand des Einreise- und Ausreisedatums (via Stempel) im Reisepass festgestellt. Demgegenüber seien natürliche Personen, die kein Domizil oder keinen gewöhnlichen Aufenthalt in China hätten, weil sie sich weniger als 365 Tage in einem Steuerjahr in China aufhielten, nur mit ihren chinesischen Einkünften beschränkt steuerpflichtig (Art. 1 Abs. 2 IITL).
Vor diesem Hintergrund gehe der Senat nicht davon aus, dass der Kläger einer persönlich unbeschränkten Steuerpflicht in China unterliege. Seine Abwesenheitstage in China hätten -selbst nach den Schilderungen des Klägers- in jedem Streitjahr mehr als 90 Tage betragen, sodass er eine persönliche Steuerpflicht im Sinne von Art. 1 Abs. 1 IITL vermeide. Dabei gehe der Senat davon aus, dass sich der Kläger auch vor den Streitjahren in vergleichbarem Umfang, d.h. jährlich mehr als 90 Tage außerhalb Chinas aufgehalten habe. Denn weder habe der Kläger insoweit Abweichungen vorgetragen noch ergebe sich eine Änderung seines Reiseverhaltens aus den sonstigen Umständen.
Die Bescheinigungen über eine Besteuerung seiner Arbeitseinkünfte stehen dem nicht entgegen, da diese der beschränkten Steuerpflicht unterliegen (Art. 1 Abs. 2 IITL i. V. m. Art. 5 Abs. 1 chin. EStDV) und damit nichts über eine unbeschränkte Steuerpflicht aussagen würden. Soweit der Kläger Bescheinigungen vorlegt, die ihn als „Chinese fiscal resident“ bezeichneten, folge daraus keine Ansässigkeit des Klägers in China im Sinne von Art. 4 Abs. 1 DBA-China. Ansässigkeitsbescheinigungen eines anderen Vertragsstaats haben keine Bindungswirkung. Ob Umstände vorlägen, die im anderen Vertragsstaat nach dessen Recht eine Ansässigkeit begründen würden, müsse jeder Staat selbstständig prüfen.
Jedenfalls Lebensmittelpunkt in Deutschland
Selbst wenn der Kläger aber in China aufgrund einer persönlich unbeschränkten Steuerpflicht besteuert werden würde und damit -neben Deutschland- auch in China ansässig wäre, würde er nach Art. 4 Abs. 2 Buchst. c DBA-China nur als in Deutschland ansässig gelten, denn er habe den Mittelpunkt seiner Lebensinteressen in Deutschland. Der Kläger habe zwar sowohl in Deutschland als auch in China eine ständige Wohnstätte. Da aber die persönlichen Beziehungen des Klägers in Deutschland überwiegen würden (Ehefrau, minderjähriges Kind) und die wirtschaftlichen Beziehungen in Deutschland und China in gleichem Maße ausgeprägt seien, würden in einer Gesamtschau die persönlichen und wirtschaftlichen Beziehungen des Klägers in Deutschland überwiegen, sodass hier der Mittelpunkt seiner Lebensinteressen liege.
Jedenfalls Ansässigkeit in Deutschland wegen Staatsangehörigkeit
Selbst wenn sich der Mittelpunkt der Lebensinteressen nicht feststellen ließe -was der Senat nur hilfsweise unterstelle-, hätte der Kläger seinen gewöhnlichen Aufenthalt sowohl in Deutschland als auch in China, sodass er aufgrund seiner deutschen Staatsangehörigkeit auch in diesem Fall als in Deutschland ansässig gelten würde (Art. 4 Abs. 2 Buchst. c DBA-China). Daher sei der Kläger auf jeden Fall (unter mehreren abkommensrechtlichen Gesichtspunkten) im Inland und nicht in China ansässig.
Deutsches Besteuerungsrecht für Gewinnausschüttungen
Das Besteuerungsrecht für die Gewinnausschüttungen der chinesischen Ltd. stehe Deutschland zu. Nach Art. 10 Abs. 1 DBA-China können Dividenden, die eine in einem Vertragsstaat ansässige Gesellschaft (China) an eine im anderen Vertragsstaat (Deutschland) ansässige Person zahle, im anderen Staat (Deutschland) besteuert werden (sog. Verteilungsnorm). Dem Ansässigkeitsstaat der die Dividenden zahlenden Gesellschaft stehe grundsätzlich ein der Höhe nach begrenzter Quellensteuerabzug zu (Art. 10 Abs. 2 DBA-China).
Keine Steuerfreistellung der Gewinnausschüttungen
Die Gewinnausschüttungen seien in Deutschland nicht von der Besteuerung freigestellt. Nach Art. 24 Abs. 2 DBA-China (Art. 23 Abs. 2 DBA-China) werde eine mögliche Doppelbesteuerung in der Bundesrepublik Deutschland wie folgt vermieden (sog. Methodenartikel). Von der Bemessungsgrundlage der deutschen Steuer würden grundsätzlich die Einkünfte aus China sowie die in China gelegenen Vermögenswerte ausgenommen, die nach diesem Abkommen in China besteuert werden können (sog. Freistellungsmethode; Art. 24 Abs. 2 Buchst. a DBA-China [Art. 23 Abs. 2 Buchst. a DBA-China). Für Einkünfte aus Dividenden gelte die vorstehende Bestimmung aber nur dann, wenn Dividenden an eine in der Bundesrepublik Deutschland ansässige Gesellschaft von einer in China ansässigen Gesellschaft gezahlt werden, deren Kapital zu mindestens 10 Prozent (25 Prozent) unmittelbar der deutschen Gesellschaft zuzuordnen ist (sog. Schachtelprivileg; Art. 24 Abs. 2 Buchst. a Abs. 2 DBA-China [Art. 23 Abs. 2 Buchst. a Abs. 2 DBA-China]). In den übrigen Fällen, d.h. bei Zahlung einer Dividende an eine natürliche Person, werde die nach chinesischem Recht und in Übereinstimmung mit diesem Abkommen gezahlte ausländische Steuer auf die deutsche Steuer unter Beachtung der Vorschriften des deutschen Steuerrechts angerechnet (sog. Anrechnungsmethode; Art. 24 Abs. 2 Buchst. b Doppelbuchst. bb DBA-China [Art. 23 Abs. 2 Buchst. b (i) DBA-China]).
Da China vorliegend von seinem Quellensteuerrecht aus Gründen der Ansiedlung von ausländisch investierten Gesellschaften keinen Gebrauch gemacht habe, scheide eine Anrechnung, die nach deutschen Steuerrecht auf der Grundlage von § 32d Abs. 5 EStG durchzuführen wäre, aus.
Quelle: Finanzgericht Baden-Württemberg, Newsletter 3/2022