Prozessrecht - 9. April 2020

BFH: Unzulässige Selbstentscheidung abgelehnter Richter über einen Ablehnungsantrag

BFH, Beschluss X B 99/19 vom 16.10.2019
Leitsatz

  1. Entscheidet der abgelehnte Richter unter Verstoß gegen § 45 Abs. 1 ZPO selbst anstelle seines Vertreters über einen zulässigen Ablehnungsantrag, schlägt dieser Verstoß gegen den Anspruch auf den gesetzlichen Richter auf die Endentscheidung durch, ohne dass es darauf ankommt, ob das Ablehnungsgesuch in der Sache begründet ist oder nicht (Anschluss an BVerfG-Beschluss vom 11.03.2013 – 1 BvR 2853/11, NJW 2013, 1665, Rz 38 ff.; ebenso bereits BFH-Beschlüsse vom 05.04.2017 – III B 122/16, BFH/NV 2017, 1047, und vom 05.06.2019 – IX B 121/18, BFHE 264, 409, BStBl II 2019 S. 554; Aufgabe der bisherigen BFH-Rechtsprechung, z. B. BFH-Urteil vom 10.08.2006 – II R 59/05, BFHE 214, 518, BStBl II 2009 S. 758, unter II.1.a bb).
  2. Auch wenn sämtliche Mitglieder eines Spruchkörpers im Hinblick auf eine von ihnen zuvor getroffene Kollegialentscheidung abgelehnt werden, ist ein solches Ablehnungsgesuch nur dann rechtsmissbräuchlich und daher unzulässig, wenn es gar nicht oder ausschließlich mit Umständen begründet wird, die unter keinem denkbaren Gesichtspunkt eine Besorgnis der Befangenheit rechtfertigen können. Dies ist nur dann der Fall, wenn der Ablehnungsantrag sich bereits ohne jedes Eingehen auf den Verfahrensgegenstand als unzulässig darstellt (Anschluss an BVerfG-Beschluss vom 20.07.2007 – 1 BvR 2228/06, NJW 2007, 3771, unter II.2.a).
  3. § 365 Abs. 3 AO ist nicht anwendbar, wenn das Einspruchsverfahren mit dem Erlass des Änderungsbescheids objektiv beendet wird. Dies ist der Fall, wenn das FA dem Begehren des Steuerpflichtigen, so wie es sich im Zeitpunkt des Erlasses des Änderungsbescheids darstellt, mit diesem Bescheid in vollem Umfang Rechnung trägt.