Abgabenordnung - 4. April 2022

Antrag auf Steuerbefreiung eines Sanierungsertrags in Altfällen

FG Baden-Württemberg, Mitteilung vom 04.04.2022 zum Urteil 8 K 1367/20 vom 16.11.2021 (nrkr - BFH-Az.: IV R 2/22)

Der Antrag auf Steuerbefreiung eines Sanierungsertrags in Altfällen (Schuldenerlass vor dem 09.02.2017) ist kein rückwirkendes Ereignis.

Sachverhalt

Die Klägerin ist eine gewerblich tätige Kommanditgesellschaft. Im Jahr 2009 hatte eine Gläubigerin auf eine Forderung gegen die Klägerin verzichtet. In dem bestandskräftigen Gewinnfeststellungsbescheid 2009 wurde kein Sanierungsgewinn berücksichtigt; nachrichtlich gab das beklagte Finanzamt (FA) im Gewinnfeststellungsbescheid an, dass ein Sanierungsgewinn in Höhe von 0 Euro enthalten sei. Auch der Gewerbesteuermessbescheid 2009 berücksichtigte keinen Sanierungsgewinn aus dem Forderungsverzicht. Die Anträge des Kommanditisten der Klägerin auf Stundung sowie Erlass der Einkommensteuer 2009 aufgrund eines Sanierungsgewinns blieben erfolglos.

Nach Ablösung des sog. Sanierungserlasses durch die Einführung gesetzlicher Regelungen über die Steuerfreiheit von Sanierungserträgen für Zwecke der Einkommensteuer sowie dessen Berücksichtigung beim Gewerbesteuermessbetrag gemäß § 3a, § 52 Abs. 4a Satz 3 des Einkommensteuergesetzes (EStG) und § 7b, § 36c Abs. 2c Satz 3 des Gewerbesteuergesetzes (GewStG) jeweils in der Fassung des Gesetzes zur Vermeidung von Umsatzausfällen beim Handel mit Waren im Internet und zur Änderung weiterer steuerlicher Vorschriften vom 11.12.2018 (BGBl. I 2018, 2338) stellte die Klägerin am 14.11.2019 Anträge auf Feststellung bzw. Berücksichtigung eines Sanierungsertrags. Das FA lehnte die Anträge ab, weil die Festsetzungs- bzw. Feststellungsfristen für die gesonderte und einheitliche Feststellung der Besteuerungsgrundlagen 2009, den Gewerbesteuermessbetrag 2009 und die Einkommensteuer 2009 bereits abgelaufen seien. Hiergegen erhob die Klägerin nach erfolglosem Einspruchsverfahren Klage.

Aus den Gründen

Der 8. Senat wies die Verpflichtungsklage ab. Die Klägerin habe keinen Anspruch auf Erlass eines Feststellungsbescheids und Änderung des Gewerbesteuermessbescheids zur Berücksichtigung eines Sanierungsertrags.

Ablauf der Feststellungsfrist

Die allgemeine vierjährige Feststellungsfrist für die gesonderte und einheitliche Feststellung eines Sanierungsertrags für das Jahr 2009 sei im Zeitpunkt der Antragstellung am 14.11.2019 bereits abgelaufen gewesen. Ob eine Pflicht zur Erklärung eines Sanierungsertrags bestehe oder sich die Erklärungspflicht nach § 181 Abs. 2 Satz 2 Nr. 1 Abgabenordnung (AO) auch auf den Sanierungsertrag nach § 3a EStG erstrecke, könne dahinstehen. Selbst wenn eine Erklärungspflicht bestanden hätte, aber die Abgabe der allgemeinen Feststellungserklärung im Jahr 2009 nicht auch als eine (negative) Erklärung des Sanierungsertrags nach § 3a EStG gelten würde, sei die Feststellungsfrist – mangels Abgabe einer Feststellungserklärung – spätestens am 31.12.2016 abgelaufen gewesen.

Antrag auf Steuerbefreiung eines Sanierungsgewinns kein rückwirkendes Ereignis

Mit der Antragstellung habe auch keine neue Feststellungsfrist nach § 175 Abs. 1 Satz 2 AO begonnen. Die Ausübung des Antrags nach § 52 Abs. 4a Satz 3 EStG stelle kein rückwirkendes Ereignis dar. Durch § 52 Abs. 4a Satz 3 EStG werde dem Steuerpflichtigen zwar das Wahlrecht eingeräumt, § 3a EStG über seinen originären zeitlichen Anwendungsbereich (Neufälle mit Schuldenerlass nach dem 08.02.2017) hinaus anzuwenden. Das Wahlrecht stelle aber nicht selbst ein Merkmal des gesetzlichen Tatbestands dar, sondern sei lediglich formelle Voraussetzung der rückwirkenden Anwendung des § 3a EStG auf den (Alt-)Fall. § 52 Abs. 4a EStG sei nicht Teil des gesetzlichen Steuertatbestands des § 3a EStG, sondern regele als Übergangsvorschrift lediglich den zeitlichen Anwendungsbereich des § 3a EStG. Die Eröffnung des Anwendungsbereichs des § 3a EStG auch für Sanierungserträge in Altfällen durch § 52 Abs. 4a Satz 3 EStG habe zu einer Gleichbehandlung mit den Neufällen, aber nicht zu einer Besserstellung der Altfälle führen sollen.

Keine Feststellung eines Sanierungsertrags nach § 181 Abs. 5 AO

Der Ablauf der Feststellungsfrist für einen Sanierungsertrag sei auch nicht im Hinblick auf die von der Feststellung abhängige Einkommensteuer 2009 des Kommanditisten unbeachtlich. Die Festsetzungsfrist für die Einkommensteuer 2009 des Kommanditisten sei im Zeitpunkt der Antragstellung am 14.11.2019 offensichtlich bereits abgelaufen gewesen. Dessen Billigkeitsanträge und gegen deren Ablehnung erhobene Rechtsbehelfe könnten den Ablauf der Festsetzungsfrist nicht hemmen.

Keine schutzwürdige verfahrensrechtliche Stellung wegen gesetzlicher Neuregelung

Die Klägerin als auch ihr Gesellschafter hätten zwar über mehrere Jahre sowohl im Rahmen der gesonderten und einheitlichen Gewinnfeststellung als auch auf Ebene der Einkommensteuerfestsetzung bzw. -erhebung versucht, eine steuerliche Begünstigung des (vermeintlichen) Sanierungsertrags zu erreichen, und seien insoweit (auch in formaler Hinsicht) an der wohl undurchsichtigen (Verwaltungs-)Rechtslage gescheitert. Die nicht eindeutige Rechtslage hätte aber auf der Verwaltungspraxis beruht, die nach der Rechtsprechung des Bundefinanzhofs ohnehin wegen Verstoßes gegen den Grundsatz der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung rechtswidrig gewesen sei und daher keinen Billigkeitserlass hätte rechtfertigen können. Aus dem sog. Sanierungserlass und den vorangegangenen Billigkeitsverfahren der Klägerin und des Gesellschafters folge somit auch keine schutzwürdige verfahrensrechtliche Stellung im vorliegenden, nunmehr auf gesetzlicher Grundlage stehenden Verfahren.

Keine Änderung des Gewerbesteuermessbescheids 2009

Ein etwaiger Sanierungsertrag sei gemäß § 7b Abs. 1 GewStG i. V. m. § 3a EStG unmittelbar bei der Ermittlung des Gewerbeertrags zu berücksichtigen. Eine gesonderte und einheitliche Feststellung finde nicht statt. Bei der Festsetzung von Steuermessbeträgen seien die Vorschriften über die Durchführung der Besteuerung sinngemäß anzuwenden (§ 184 Abs. 1 Satz 3 AO). Zur Änderung des gegen die Klägerin bereits erlassenen Gewerbesteuermessbescheids 2009 bedürfte es daher einer Befugnis durch eine Änderungsvorschrift. Daran fehle es. Abgesehen davon stünde auch der Eintritt der Festsetzungsverjährung einer Änderung des Gewerbesteuermessbescheids 2009 entgegen.

Quelle: FG Baden-Württemberg, Newsletter 1/2022