Sozialversicherungsrecht - 15. Dezember 2021

Weg anlässlich Wartung eines Jobrades kann unfallversichert sein

LSG Baden-Württemberg, Pressemitteilung vom 14.12.2021 zum Urteil L 1 U 779/21 vom 21.10.2021

Ein Beschäftigter ist unfallversichert, wenn er ein Fahrrad, das sein Arbeitgeber für ihn im „JobRad-Modell“ geleast hat, außerhalb seiner eigentlichen Arbeitszeit, aber in Erfüllung einer vertraglichen Verpflichtung und mit bestimmten Vorgaben des Arbeitgebers zu einer alljährlichen Inspektion in eine Vertragswerkstatt bringt.

„JobRad-Modelle“ erfreuen sich zunehmender Beliebtheit: Der Arbeitgeber least Fahrräder und überlässt sie im Rahmen einer Barlohnumwandlung seinen Beschäftigten zur privaten Nutzung einschließlich des Arbeitswegs. Dabei überträgt er seine eigenen Verpflichtungen gegenüber dem Leasinggeber, z. B. die Pflicht zur regelmäßigen Wartung, auf die Beschäftigten. Der 1. Senat des Landessozialgerichts Baden-Württemberg hatte nun über den Unfallversicherungsschutz einer Arbeitnehmerin bei der Erfüllung einer speziellen dieser Verpflichtungen zu entscheiden.

Der Arbeitgeber, ein Unternehmen in Schwäbisch Gmünd, hatte mit Zustimmung seines Betriebsrats seinen Mitarbeitern ein solches JobRad-Modell angeboten. Es sollte einen Beitrag zur Verbesserung und Förderung der Gesundheit der „Mitarbeiter*innen“ leisten, die Parkplatzsituation auf dem Betriebsgelände verbessern und einen Beitrag zu dem Programm „Fahrrad-Stadt Schwäbisch Gmünd“ leisten. In seinen Leasingverträgen mit der JobRad GmbH buchte der Arbeitgeber auch eine besondere, alljährliche Wartung auf Kosten der JobRad GmbH. Sodann verpflichtete er in den vorformulierten Überlassungsverträgen die teilnehmenden Mitarbeiter unter anderem ausdrücklich zur Durchführung dieser Jahreswartung. Im November 2017 erinnerte er die Mitarbeiter durch E-Mail an diese Wartung, wobei er die Werkstatt und die Modalitäten zur Bezahlung der Wartung vorgab.

Die Klägerin verunglückte im März 2018 nach Abholung des gewarteten Rades auf dem Weg von der Werkstatt nach Hause, als an einem haltenden Pkw unvorsichtig die Fahrertür geöffnet wurde. Sie erlitt erhebliche Verletzungen am linken Knie. Die beklagte Berufsgenossenschaft lehnte die Anerkennung eines Arbeitsunfalls ab, weil die Abholung des Rades eine privatnützige Tätigkeit gewesen sei. Das Sozialgericht Ulm schloss sich dieser Ansicht an und wies die Klage Anfang 2021 ab.

Auf die Berufung der Klägerin hin hat der 1. Senat des Landessozialgerichts die Entscheidung des Sozialgerichts aufgehoben und festgestellt, dass der Unfall der Klägerin ein Arbeitsunfall war. Zwar sei grundsätzlich die Nutzung eines Jobrads privatnützig, wenngleich auch der Arbeitgeber generell von solchen Modellen profitiere. Aber zumindest die besondere Jahreswartung stelle hier ausnahmsweise eine betriebsbezogene Verrichtung dar, mindestens eine Verrichtung mit „gemischter Motivationslage“, bei welcher der Betriebsbezug die privaten Interessen des Arbeitnehmers überwiege. Der Arbeitgeber habe hier – mit der jährlichen Wartung – eine zusätzliche Pflicht gegenüber dem Leasinggeber freiwillig übernommen und durch vorformulierte Klauseln auf die teilnehmenden Mitarbeiter übertragen. Auch wenn die Wartung außerhalb der regulären Arbeitszeit stattfand, ergebe sich ein Betriebsbezug aus der E-Mail des Arbeitgebers mit der Aufforderung und konkreten Vorgaben zur Wartung und den vertraglichen Abreden über die Kostentragung. Ausgehend von dieser Einordnung befand sich die Klägerin hier, als der Unfall geschah, auf dem versicherten direkten Heimweg von der Arbeit nach Hause.

Da der Senat mit dieser Entscheidung den „klassischen“ Bereich der Betriebsbezogenheit erweitert hat, wurde die Revision zum Bundessozialgericht in Kassel zugelassen.

Hinweis zur Rechtslage

§ 2 Siebtes Buch Sozialgesetzbuch [SGB VII]

Kraft Gesetzes sind versichert (…) Beschäftigte (…).

§ 8 SGB VII

(1) Arbeitsunfälle sind Unfälle von Versicherten infolge einer den Versicherungsschutz nach § 2 (…) begründenden Tätigkeit (versicherte Tätigkeit). Unfälle sind zeitlich begrenzte, von außen auf den Körper einwirkende Ereignisse, die zu einem Gesundheitsschaden oder zum Tod führen. (…).

(2) Versicherte Tätigkeiten sind auch (…) das Zurücklegen des mit der versicherten Tätigkeit zusammenhängenden unmittelbaren Weges nach und von dem Ort der Tätigkeit (…).

Hinweis: Die Anerkennung als Arbeitsunfall hat weitreichende Folgen: So hat die zuständige Berufsgenossenschaft dem Betroffenen unter bestimmten Voraussetzungen u. a. Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben (z. B. eine medizinische Rehabilitationsmaßnahme oder eine Umschulung) zu erbringen, Verletzten-/Übergangsgeld oder eine Verletztenrente zu zahlen.

Quelle: LSG Baden-Württemberg