EU-Kommission, Pressemitteilung vom 29.09.2022
Die Europäische Kommission hat ihre monatlichen rechtlichen Schritte gegen Mitgliedstaaten eingeleitet, die ihren Verpflichtungen aus dem EU-Recht nicht nachkommen. Deutschland ist in vier Fällen mit neuen Stufen eines Vertragsverletzungsverfahrens der Kommission konfrontiert: wegen der mangelnden Einhaltung der Bestimmungen zur Rückführung Drittstaatsangehöriger, der Gesamt-Energieeffizienz von Gebäuden, der Arbeitnehmerfreizügigkeit und der elektronischen Maut für LKW.
Folgende Verfahrensschritte hat die Kommission gegen Deutschland eingeleitet:
Rückführung von Drittstaatsangehörigen
Die Kommission hat beschlossen, ein ergänzendes Aufforderungsschreiben an Deutschland(INFR(2014)2192) zu richten, weil Deutschland die EU-Vorschriften zur Rückführung illegal aufhältiger Drittstaatsangehöriger (Richtlinie 2008/115/EG) nicht einhält. Die Gewährleistung der uneingeschränkten Einhaltung der Rückführungsrichtlinie ist eine wichtige Voraussetzung für die Einrichtung eines gemeinsamen EU-Rückkehrsystems, wie es im Migrations- und Asylpaket vorgesehen ist. Die Richtlinie enthält gemeinsame Vorschriften für die Rückführung von Drittstaatsangehörigen, die die Voraussetzungen für die Einreise in einen Mitgliedstaat oder den dortigen Aufenthalt nicht erfüllen, und fördert gleichzeitig die freiwillige Rückkehr irregulärer Zuwanderer. Nach Auffassung der Kommission hat Deutschland einige Bestimmungen der Richtlinie nicht ordnungsgemäß umgesetzt.
Deutschland hat nun zwei Monate Zeit, zu den Argumenten der Kommission Stellung zu nehmen. Andernfalls kann die Kommission beschließen, mit Gründen versehene Stellungnahmen an Deutschland zu übermitteln. Das wäre dann die zweite Stufe im Vertragsverletzungsverfahren.
Gesamtenergieeffizienz von Gebäuden
Die Kommission hat beschlossen, eine mit Gründen versehene Stellungnahme an Deutschland (INFR(2020)0164) zu richten, weil Deutschland die Richtlinie (EU) 2018/844 zur Änderung der Richtlinie 2010/31/EU über die Gesamtenergieeffizienz von Gebäuden nicht vollständig in nationales Recht umgesetzt hat. Mit der Richtlinie wurden neue Aspekte zur Stärkung des vorhandenen Rahmens, wie beispielsweise Mindestanforderungen an die Gesamtenergieeffizienz neuer Gebäude, zur Elektromobilität und zu Ladepunkten, sowie neue Vorschriften für Inspektionen von Heizungs- und Klimaanlagen festgelegt. Die Frist für die Umsetzung der Richtlinie in nationales Recht lief am 10. März 2020 ab. Nachdem Deutschland es versäumt hatte, die vollständige Umsetzung der Richtlinie mitzuteilen, erhielt es im Mai 2020 ein Aufforderungsschreiben. Nach Prüfung der gemeldeten Umsetzungsmaßnahmen ist die Kommission zu dem Schluss gelangt, dass Deutschland die Richtlinie immer noch nicht vollständig umgesetzt hat.
Deutschland hat nun zwei Monate Zeit, um seinen Verpflichtungen nachzukommen und dies der Kommission mitzuteilen. Andernfalls kann die Kommission beschließen, den Gerichtshof der Europäischen Union anzurufen.
Leistungen für Grenzgängerinnen und Grenzgänger
Die Kommission hat Deutschland (INFR(2022)4077) ein Aufforderungsschreiben wegen seiner Methode zur Berechnung bestimmter Entgeltersatz- und Arbeitslosenleistungen übermittelt. Die Methode scheint die in Deutschland beschäftigten und in einem Nachbarland wohnhaften Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer zu benachteiligen. Nach dem deutschen Recht werden mehrere Leistungen wie beispielsweise das Kurzarbeitergeld, das Arbeitslosengeld und das Krankengeld auf Nettoentgeltbasis berechnet. Dies bedeutet, dass der Betrag um eine fiktive deutsche Einkommensteuer reduziert wird, während die Leistung selbst in Deutschland steuerbefreit ist. In einigen bilateralen Abkommen zur Vermeidung der Doppelbesteuerung zwischen Deutschland und seinen Nachbarn werden die Besteuerungsrechte für diese Leistungen jedoch ausschließlich den benachbarten Mitgliedstaaten zugewiesen, in denen die betroffenen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer wohnen.
In diesen Fällen werden wegen der Berechnung auf Nettoentgelt-Basis Grenzgängerinnen und Grenzgänger, die in Deutschland arbeiten und in einem anderen Mitgliedstaat wohnen, weniger günstig behandelt als in Deutschland ansässige Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer. Im Gegensatz zu ihren in Deutschland ansässigen Kolleginnen und Kollegen müssen gebietsfremde Grenzgängerinnen und Grenzgänger in ihrem Heimatland Steuern auf die auf Nettoentgeltbasis berechneten Leistungen zahlen, ohne eine Anrechnungsmöglichkeit für die in Deutschland erfolgte fiktive Besteuerung zu haben. Eine solche Regelung verstößt gegen die ständige Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union zu Regeln für die Berechnung von Vergütungen, da sie sich diskriminierend auf Grenzgänger auswirkt (C-172/11, Erny. Die Kommission ist daher der Auffassung, dass die deutsche Methode zur Berechnung verschiedener Vergütungen auf Nettoentgeltbasis Grenzgängerinnen und Grenzgänger benachteiligt, die die in Artikel 45 AEUV und der Verordnung (EU) Nr. 492/2011 des Europäischen Parlaments und des Rates über die Freizügigkeit der Arbeitnehmer innerhalb der Union verankerten Freiheiten ausüben.
Deutschland muss nun binnen zwei Monaten auf die Beanstandungen der Kommission reagieren. Andernfalls kann die Kommission beschließen, eine mit Gründen versehene Stellungnahme an das Land zu richten – die zweite Stufe im Vertragsverletzungsverfahren.
Elektronische Maut für LKW
Die Kommission hat beschlossen, Aufforderungsschreiben an Deutschland (INFR(2022)2107) zu richten, weil Deutschland es versäumt hat, die erforderlichen Bestimmungen der Richtlinie über den europäischen elektronischen Mautdienst (EETS) (Richtlinie (EU) 2019/520 in nationales Recht umzusetzen. Beim europäischen elektronischen Mautdienst handelt es sich um ein Mautsystem, das es den Verkehrsteilnehmern ermöglicht, Mautgebühren in allen EU-Mitgliedstaaten über ein Abonnement bei einem einzigen Anbieter und mit einem einzigen Bordgerät zu bezahlen. Mit der Richtlinie werden zwei Ziele verfolgt: sie soll die Interoperabilität elektronischer Mautsysteme gewährleisten und den grenzüberschreitenden Informationsaustausch über die Nichtzahlung von Straßenbenutzungsgebühren erleichtern. Sie war bis zum 19. Oktober 2021 in nationales Recht umzusetzen. Nach einer eingehenden Prüfung ist die Kommission zu dem Schluss gekommen, dass die Vorschriften von Deutschland nicht vollständig umgesetzt wurden.
Die Kommission richtet daher ein Aufforderungsschreiben an Deutschland, das nun zwei Monate Zeit hat, um darauf zu reagieren und die von der Kommission aufgezeigten Mängel zu beheben. Andernfalls kann die Kommission beschließen, eine mit Gründen versehene Stellungnahme zu übermitteln – die zweite Stufe im Vertragsverletzungsverfahren.
Quelle: EU-Kommission