BRAK, Mitteilung vom 04.06.2025 zu den Urteilen B 10/12 R 3/23 R und B 10/12 R 1/24 R des BSG vom 14.05.2025
Wer zeitweise nicht als Anwalt arbeitet, bleibt von der Versicherungspflicht befreit. Gilt das auch bei Nebentätigkeiten bzw. Vertragsverlängerungen?
Das BSG hat in zwei Urteilen präzisiert, wann Anwältinnen und Anwälte weiterhin von der Rentenversicherungspflicht befreit sind, obwohl sie zeitweilig nicht anwaltlich tätig sind. In beiden Fällen geht es um die Auslegung von § 6 Abs. 5 Satz 2 SGB VI, wonach die Befreiung von der Rentenversicherungspflicht – zugunsten der Pflichtmitgliedschaft etwa im Versorgungswerk – auch auf eine andere zeitlich beschränkte Tätigkeit erstreckt werden kann. Diese Vorschrift sei auch auf parallel zur anwaltlichen Tätigkeit ausgeübten Nebenjobs anwendbar, stellten die Sozialrichterinnen und -richter klar (Urteil vom 14.05.2025, Az. B 10/12 R 3/23 R). Gehe eine Anwältin einen zeitlich befristeten Vertrag mit einem nichtanwaltlichen Arbeitgeber ein, so gelte die Befreiung zumindest für den ursprünglich genehmigten Zeitraum weiter, wenn dieser Vertrag später aufgehoben und verlängert wird – sofern sich das Arbeitsverhältnis selbst dadurch nicht ändere. Die Erstreckung gelte jedoch nicht mehr für den Zeitraum der Verlängerung (Urteil vom 14.05.2025, Az. B 10/12 R 1/24 R).
Fall 1: Nebentätigkeit
Im ersten entschiedenen Fall hatte eine Anwältin eine zeitlich befristete Nebentätigkeit als wissenschaftliche Mitarbeiterin beim Deutschen Bundestag aufgenommen und begehrte von der Deutschen Rentenversicherung auch hierfür eine Erstreckung der Befreiung von der Versicherungspflicht. Diese lehnte jedoch ab. Dagegen klagte die Anwältin und bekam auch zunächst vor dem Sozialgericht Recht. Das LSG wies die Klage hingegen ab. Die Gesetzesmaterialien interpretierte es so, dass § 6 Abs. 5 Satz 2 SGB VI nur sicherstellen solle, dass eine vorübergehende berufsfremde Tätigkeit nicht zu einem Wechsel des Alterssicherungssystems führe. Diese Gefahr bestehe aber nur, wenn die befristete Tätigkeit die frühere Beschäftigung unterbricht oder ihr zeitlich nachfolgt.
Das sah das BSG nun anders: Der offene Wortlaut des § 6 Abs. 5 Satz 2 SGB VI enthalte keine Einschränkung, dass die befreite Beschäftigung die anwaltliche unterbrechen oder ihr zeitlich nachfolgen müsse. Vielmehr erfasse die Regelung auch Fälle, in denen beide Tätigkeiten nebeneinander ausgeübt würden. Auch den Gesetzesmaterialien lasse sich nicht mit hinreichender Sicherheit entnehmen, dass sich der Zweck der Erstreckungsregelung darauf beschränke, ausschließlich den drohenden Wechsel des Alterssicherungssystems durch eine vorübergehende berufsfremde Tätigkeit zu vermeiden. Die Möglichkeit der Befreiung ziele nach der Gesamtkonzeption des Gesetzgebers vielmehr darauf ab, in der berufsständischen Versorgungseinrichtung eine geschlossene Versicherungsbiographie aufzubauen und eine doppelte Beitragszahlungspflicht zu verhindern.
Fall 2: Vertragsaufhebung und -verlängerung
Im zweiten Fall hatte eine Anwältin ihre bisherige Tätigkeit zunächst aufgegeben und eine bis Ende 2018 befristete Stelle als Referentin beim Sächsischen Landesrechnungshof angenommen. Die Rentenversicherung befreite sie hierfür von der gesetzlichen Versicherungspflicht, sie blieb im Versorgungswerk. Um eine Vertretung zu ermöglichen, wurde der Arbeitsvertrag bereits im Herbst 2017 einvernehmlich aufgehoben und ein neuer geschlossen, der erst im Herbst 2019 enden sollte. Für den gesamten Zeitraum des neuen Vertrags, also ab Herbst 2017 bis 2019, lehnte die Rentenversicherung eine Befreiung nun ab. Schließlich knüpfe die Tätigkeit basierend auf dem nunmehr zweiten Vertrag nicht mehr unmittelbar an die ursprüngliche Tätigkeit als Rechtsanwältin an. Die Anwältin klagte. Auch hier war das SG noch auf ihrer Seite, während das LSG der DRV Recht gab. Es fehle am erforderlichen engen zeitlichen Zusammenhang zwischen diesem und dem neuen Arbeitsverhältnis.
Das BSG stellte sich hier jedoch überwiegend auf die Seite der Anwältin: Für den Zeitraum der ursprünglichen Befreiung, also bis Ende 2018, gelte der ursprüngliche Befreiungsbescheid für den ersten befristeten Vertrag weiter – auch wenn das Arbeitsverhältnis nun auf einem anderen Vertrag basierte. Der ursprüngliche Bescheid sei bestandskräftig und habe sich durch die arbeitsvertraglichen Änderungen gemäß § 39 Abs. 2 SGB X auch nicht in sonstiger Weise erledigt. Denn diese hätten weder die Aufgabe noch eine wesentliche Änderung der befreiten Beschäftigung bewirkt. Die prägenden Charakteristika der Beschäftigung seien gleich geblieben und hätten daher den Regelungsgegenstand des ursprünglichen Erstreckungsbescheids tatsächlich nicht entfallen lassen.
Allerdings lehnte das BSG die von der Anwältin begehrte Verlängerung der Befreiung auf das Jahr 2019 ab. Der erste Erstreckungsbescheid habe sich durch Zeitablauf erledigt. Eine erneute Befreiung von der Versicherungspflicht scheide aus, weil die ursprünglich zur Befreiung führende Beschäftigung als angestellte Rechtsanwältin bereits im Mai 2017 geendet habe. Damit bestehe schon kein enger zeitlicher Zusammenhang mehr zu dieser ursprünglich befreiten Tätigkeit, deren Befreiung auf die ab Januar 2019 neu vereinbarte befristete Tätigkeit erstreckt werden könne. Eine „Kettenerstreckung“ sehe das Gesetz nicht vor.
Quelle: Bundesrechtsanwaltskammer