Verwaltungsrecht - 9. Oktober 2025

Rückzahlung von Corona-Soforthilfen: Berufungen der L-Bank erfolglos, Berufungen der Kläger teilweise erfolgreich

VGH Baden-Württemberg, Pressemitteilung vom 09.10.2025 zu den Urteilen 15 K 7121/23, 14 K 5099/23 u. a. vom 08.10.2025

Der 14. Senat des Verwaltungsgerichtshofs (VGH) hat mit heute bekannt gegebenen Urteilen vom 8. Oktober 2025 in sechs Musterverfahren zur Frage der Rückzahlung von Corona-Soforthilfen entschieden.

Er hat die vier Berufungen der L-Bank, die am 2. Oktober 2025 (erste Fallgruppe) mündlich verhandelt wurden, zurückgewiesen und damit die Urteile der Verwaltungsgerichte bestätigt. Die Widerrufs- und Erstattungsbescheide sind rechtswidrig:

  • Friseur, Urteil des Verwaltungsgerichts Stuttgart vom 18. September 2024 (Az. 15 K 7121/23)
  • Hotel/Restaurant, Urteil des Verwaltungsgerichts Stuttgart vom 18. September 2024 (Az. 15 K 7081/23)
  • IT-Unternehmen, Urteil des Verwaltungsgerichts Karlsruhe vom 11. Oktober 2024 (Az. 14 K 2955/23)
  • Herstellung/Vertrieb Pflegeprodukte, Urteil des Verwaltungsgerichts Freiburg vom 10. Juli 2024 (Az. 14 K 3710/23)

Auf die mündliche Verhandlung vom 7. Oktober 2025 (zweite Fallgruppe) wurde die Berufung eines Fahrschulbetreibers gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Karlsruhe vom 11. Oktober 2024 (Az. 14 K 5099/23) zurückgewiesen, die Rückforderung der Corona-Soforthilfe hat hier Bestand. Die Berufung eines Winzers gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Freiburg vom 10. Juli 2024 (Az. 14 K 1356/24) hatte hingegen Erfolg.

Sachverhalt und Hintergrund

Im Frühjahr 2020 breitete sich die Corona-Pandemie in Deutschland aus, ab dem 16. März 2020 wurde der sog. erste Lockdown verhängt, zahlreiche Betriebe und andere Einrichtungen mussten schließen.

Zur Unterstützung der betroffenen Unternehmen aus Mitteln des Landeshaushalts erließ das Wirtschaftsministerium Baden-Württemberg am 22. März 2020 die „Richtlinie für die Unterstützung der von der Corona-Pandemie geschädigten Soloselbstständigen, Unternehmen und Angehörigen der Freien Berufen („Soforthilfe Corona“)“. Ende März 2020 beschloss auch das Bundeskabinett ein Hilfsprogramm für Kleinstunternehmen und Soloselbstständige, das aus dem Bundeshaushalt finanziert wurde. Zur Umsetzung dieses Soforthilfe-Programms schlossen der Bund und das Land Baden-Württemberg eine Verwaltungsvereinbarung. Diese wurde durch die „Verwaltungsvorschrift des Wirtschaftsministeriums (Baden-Württemberg) für die Soforthilfen des Bundes und des Landes für die Gewährung von Überbrückungshilfen als Billigkeitsleistungen für von der Coronakrise in ihrer Existenz bedrohte Soloselbstständige, kleine Unternehmen und Angehörige der Freien Berufe“ vom 8. April 2020 umgesetzt. Sowohl Richtlinie als auch Verwaltungsvorschrift enthielten Ausführungen zur Frage, zu welchem Zweck Soforthilfen verwendet werden durften. Diese Ausführungen waren allerdings unterschiedlich formuliert.

Soloselbstständige, kleine Unternehmen und Angehörige der freien Berufe konnten ab dem 25. März 2020 Corona-Soforthilfe beantragen, und zwar abhängig von der Zahl der Beschäftigten für Beträge von bis zu 9.000, 15.000 oder 30.000 Euro. Die Beklagte – die L-Bank Baden-Württemberg – entschied als Bewilligungsstelle über diese Anträge. Für die Stellung der Anträge mussten Antragsformulare verwendet werden, in denen die Antragsteller eine Prognose ihres erwarteten sog. Liquiditätsengpasses für die folgenden drei Monate abgeben mussten. Die Antragsformulare bis einschließlich 7. April 2020 einerseits und ab dem 8. April 2020 andererseits waren in dieser Hinsicht im Einzelnen unterschiedlich formuliert. Über die Anträge entschied die L-Bank mit Bewilligungsbescheiden. Sie nutzte dafür zwei Muster. Das erste Muster verwendete sie für Anträge, die bis zum 7. April 2020 – also bis zum Inkrafttreten der „Verwaltungsvorschrift ‚Corona-Soforthilfe‘“ – gestellt wurden, das zweite Muster für die späteren Fälle. Auch die Bewilligungsbescheide enthielten Ausführungen zu der in den Verfahren streitigen Frage, für welchen Zweck die Soforthilfe verwendet werden durfte. Diese Angaben waren in den beiden Bescheidfassungen unterschiedlich formuliert.

Im Oktober 2021 forderte die L-Bank die Empfänger der Soforthilfe, die diese nicht von sich aus zurückgezahlt hatten, auf, an einem sog. Rückmeldeverfahren teilzunehmen. Dabei sollten die Betroffenen angeben, ob sie einen sog. Rückzahlungsbedarf hatten. Die L-Bank nahm an, ein solcher Rückzahlungsbedarf bestehe, wenn die Betroffenen bei rückschauender Betrachtung in den (grundsätzlich) drei Monaten nach der Stellung ihres Bewilligungsantrags tatsächlich keinen sog. Liquiditätsengpass hatten, d. h. aus Sicht der L-Bank, wenn in dieser Zeit die betrieblichen Einnahmen die Ausgaben bei einer saldierenden Betrachtung doch – entgegen der im Antrag formulierten Prognose – überstiegen hatten. Für die Prüfung der Frage, ob ein Rückzahlungsbedarf bestand, verwies die L-Bank die Betroffenen auf eine sog. Berechnungshilfe in einer Online-Anwendung des Wirtschaftsministeriums Baden-Württemberg, in der betriebliche Einnahmen und Ausgaben gegenübergestellt werden konnten.

Die Kläger der sechs Musterverfahren nahmen an dem Rückmeldeverfahren teil und meldeten jeweils einen Rückzahlungsbedarf. Die L-Bank erließ daraufhin Anfang August 2022 jeweils Widerrufs- und Erstattungsbescheide, mit denen sie die Corona-Soforthilfen ganz oder teilweise zurückforderten. Die dagegen eingelegten Widersprüche der Kläger wies die L-Bank zurück. Die Kläger erhoben darauf hin Klage zum jeweils zuständigen Verwaltungsgericht.

Vier dieser Klagen (Friseur, Hotel, IT-Unternehmen, Hersteller von Pflegeprodukten) betrafen Fälle mit Anträgen vor dem 8. April 2020 auf Basis der ursprünglichen Richtlinie vom 22. März 2020, die auf dem ersten Antragsformular gestellt wurden und in denen die L-Bank die erste Fassung des Bewilligungsbescheids verwendet hatte (erste Fallgruppe). Diese Klagen waren vor den Verwaltungsgerichten erfolgreich. Die L-Bank legte dagegen Berufung ein.

Zwei der Klagen (Winzer, Fahrschulbetreiber) betrafen dagegen Fälle, in denen die Anträge ab dem 8. April 2020 unter der Geltung der Verwaltungsvorschrift vom 8. April 2020 auf dem zweiten Antragsformular gestellt wurden und in denen die L-Bank die zweite Fassung des Bewilligungsbescheids verwendet hatte (zweite Fallgruppe). Diese Klagen blieben vor den Verwaltungsgerichten erfolglos. Die Kläger erhoben Berufung.

Der VGH führte die Verfahren als Musterverfahren. Bei den Verwaltungsgerichten sind derzeit noch rund 1.400 Klagen und bei der L-Bank rund 5.500 Widerspruchsverfahren zu dem Komplex des Widerrufs und der Erstattung von Corona-Soforthilfen anhängig, die bis zur Entscheidung in den Musterverfahren ruhen.

Entscheidung des Verwaltungsgerichtshofs

Der 14. Senat des VGH hat die Berufungen der L-Bank in der ersten Fallgruppe zurückgewiesen. Die Rückforderungsbescheide sind rechtswidrig. In der zweiten Fallgruppe wurde die Berufung des Fahrschulbetreibers zurückgewiesen, sein Widerrufs- und Erstattungsbescheid hat Bestand. Die Berufung des Winzers hatte Erfolg. Er hat die Corona-Soforthilfe zweckgemäß verwendet.

Die beklagte L-Bank hatte den Widerruf aller Bewilligungsbescheide auf eine Vorschrift gestützt, die für den Widerruf voraussetzt, dass die bewilligte Geldleistung nicht für den in dem jeweiligen Bewilligungsbescheid „bestimmten Zweck“ verwendet wird (vgl. § 49 Absatz 3 Satz 1 Nummer 1 des Landesverwaltungsverfahrensgesetzes – LVwVfG -).

Der 14. Senat hat entschieden, dass diese Widerrufsvoraussetzung in der ersten Fallgruppe nicht erfüllt ist. Die L-Bank ist der Auffassung, dass in den Bewilligungsbescheiden bestimmt gewesen sei, dass eine zweckgemäße Verwendung nur vorgelegen habe, wenn bei den Klägern in den drei auf die Antragstellung folgenden Monaten bei rückschauender und saldierender Betrachtung ein „Liquiditätsengpass“ (die betrieblichen Ausgaben überstiegen die Einnahmen) bestanden habe, und dass es insbesondere nicht ausgereicht habe, wenn die Kläger damals die in den Bewilligungsbescheiden auch erwähnten „Umsatzeinbußen“ (Einnahmerückgänge ohne Berücksichtigung der Verbindlichkeiten) zu verzeichnen hatten. Der Senat hat entschieden, dass in den Bescheiden jedenfalls nicht ausreichend erkennbar bestimmt war, dass eine saldierende Gegenüberstellung von Einnahmen und Ausgaben über drei Monate vorzunehmen sein würde.

Der 14. Senat hat weiter angenommen, dass die L-Bank den Verwendungszweck in den der zweiten Fallgruppe zugrunde liegenden neuen Fassungen der Bewilligungsbescheide dagegen ausreichend klar bestimmt hatte und es deshalb darauf ankommt, ob die Betroffenen die Corona-Soforthilfe für einen „Liquiditätsengpass“, wie ihn die L-Bank versteht, verwendet hatten. Der Senat hat entschieden, dass dies in dem Verfahren des Fahrschulinhabers nicht der Fall war. In dem Verfahren des Winzers hatte dieser allerdings durch erstmals im Berufungsverfahren vorgelegte Unterlagen nachgewiesen, dass er einen „Liquiditätsengpass“ im genannten Sinne und die Mittel deshalb zweckgemäß verwendet hatte. Solche erst im Gerichtsverfahren nachträglich vorgelegten Unterlagen können nach der Entscheidung des 14. Senats entgegen der Auffassung der beklagten L-Bank nicht von vornherein unberücksichtigt bleiben und waren im vorliegenden Einzelfall auch zu berücksichtigen.

Die schriftlichen Entscheidungsgründe des 14. Senats liegen noch nicht vor. Sie werden den Beteiligten voraussichtlich ab Mitte November zugestellt.

Hinweis: Der 14. Senat hat die Revision gegen die sechs Urteile nicht zugelassen. Gegen die Nichtzulassung der Revision können sich die Beteiligten mit einer Beschwerde an das Bundesverwaltungsgericht wenden. Die Frist hierfür beträgt einen Monat nach Zustellung des vollständigen Urteils (14 S 1869/24, 14 S 1873/24, 14 S 2054/24, 14 S 190/25, 14 S 16/25, 14 S 303/25).

Quelle: Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg