BRAK, Mitteilung vom 16.05.2025 zum Beschluss 1 BvR 750/23 und 1 BvR 763/23 des BVerfG vom 03.03.2025
Weil eine Richterin bei den Parteien zu häufig einen Vergleich angeregt hat, könnte sie befangen sein, so das BVerfG.
Das BVerfG hat in einer aktuellen Entscheidung deutlich gemacht, welche Verhaltensweisen eines Richters bzw. einer Richterin einen Befangenheitsantrag rechtfertigen können. Darunter fallen insbesondere ein zu häufiges Drängen auf einen Vergleich sowie das Lächerlich-Machen von Parteien. Wenn die Hinweise auf eine Parteilichkeit eines Richters derart deutlich seien, müsse das mit dem Ablehnungsgesuch befasste Gericht dieses besonders gründlich prüfen. Im konkreten Fall sei dies nicht geschehen und daher das rechtliche Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG) und das Recht auf den gesetzlichen Richter (Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG) verletzt, so das BVerfG (Beschluss vom 03.03.2025, Az. 1 BvR 750/23 und 1 BvR 763/23).
Mehrfach zum Vergleich aufgefordert
Im zugrundeliegenden Zivilprozess um den Bau eines Hochhauskomplexes vor dem LG München I ging es um Nacherfüllungs- und Schadensersatzansprüche einer Immobiliengesellschaft gegen ein Bauunternehmen in Millionenhöhe. In der langen Verfahrensgeschichte kam es wiederholt zu gerichtlichen Anregungen eines Vergleichs, die Parteien konnten sich jedoch nie einigen.
Die Kammer, insbesondere die Vorsitzende, drängte jedoch in der Folgezeit mehrfach weiter dazu, einen Vergleich zu schließen – mit unterschiedlichen Begründungen: Einmal hieß es, die weitere Beweisaufnahme sei „kostenintensiv“. Laut Protokoll erging während einer mündlichen Verhandlung ein detailliert begründeter Hinweis auf die Überbelastung der Kammer aufgrund zu vieler Verfahren und zu wenig Personal. Daraus zieht sie folgenden Schluss: „Die Kammer […] sieht sich infolge der Arbeitsüberlastung nicht in der Lage, binnen der nächsten 6 Monate einen umfangreichen Beweisbeschluss über ein Altverfahren aus dem Jahr 2015 mit 3 Aktenbänden nebst Anlagen zu verfassen“. Später regte die Kammer dann erneut mehrfach eine „einvernehmliche Lösung“ an, weil diese „aus wirtschaftlichen Gründen sinnvoll und prozessökonomisch“ erscheine. Zudem enthielt ein Hinweis Ausführungen zu einer möglichen Verwirkung bzw. Verjährung der Ansprüche.
Mehrere Befangenheitsanträge
Die Immobiliengesellschaft lehnte daraufhin u. a. die Vorsitzende wegen Besorgnis der Befangenheit ab. Die Begründung: Die Hinweise der Kammer hätten unangemessenen Druck erzeugt, indem sie zu einem Vergleich zu drängten. Zudem sei die Gegenseite „verkappt“ dazu aufgefordert worden, Einreden gegen die Ansprüche zu erheben. Auch sei das Verhalten der Vorsitzenden in einer mündlichen Verhandlung durch einseitige Kommunikation mit der Beklagten sowie abwertenden Bemerkungen gegenüber der Klägerseite geprägt gewesen.
Die abgelehnten Richter gaben in der Folge dienstliche Äußerungen ab. In der Äußerung der Vorsitzenden hieß es u. a., der Schwerpunkt der Rüge beziehe sich auf ihre Blickrichtung. Diese sei aufgrund der Sitzungsanordnung unvermeidlich gewesen – andernfalls hätte das Gericht den Blick „geradeaus an die Wand oder gesenkt auf den Boden oder ‚gen Himmel‘“ richten müssen. Die Ausführungen der Klägerseite bezeichnete sie als „interessant“, „zeigen sie doch bei vernünftig-objektiver Betrachtung die ganze Bandbreite einer unterschiedlichen höchstpersönlichen Wahrnehmung.“ Die Firma sieht allein in dieser Äußerung einen weiteren Grund für einen Befangenheitsantrag: Die Einlassungen enthielten eine unzulässige rechtliche Würdigung des Ablehnungsgesuchs; ferner werde ihr Vorbringen unangemessen verniedlicht und ins Lächerliche gezogen.
Einen weiteren Befangenheitsantrag stellten die Kläger, weil die Vorsitzende während des laufenden Ablehnungsverfahrens u. a. eine Frist zur Stellungnahme zu einem Schreiben des gerichtlich bestellten Sachverständigen setzte. Damit habe die Vorsitzende die Wartepflicht aus § 47 Abs. 1 ZPO verletzt und dadurch abermals demonstriert, dass sie ihr Begehren nicht ernst nehme. In einer erneuten Stellungnahme schrieb die Vorsitzende u. a., hier „könnte die etwaige prozesstaktische Motivation der genannten Anträge durchaus objektiv beleuchtet werden.“
Die Befangenheitsanträge blieben jedoch sowohl beim LG als auch beim OLG München im Rahmen von sofortigen Beschwerden und Anhörungsrügen erfolglos. Anders sah das nun beim BVerfG aus, welches in dem angegriffenen Beschluss des OLG gleich mehrfache Grundrechtsverletzungen sieht.
Verletzung des rechtlichen Gehörs und des Rechts auf den gesetzlichen Richter
Das BVerfG stellte zunächst eine Verletzung des Art. 103 Abs. 1 GG fest. Die Vorsitzende habe in der konkreten Verfahrenssituation „unangemessenen Vergleichsdruck“ erzeugt, etwa durch „sachfremde“ Verweise auf die Überlastung der Kammer und durch fehlende Fristsetzung zur weiteren Sachaufklärung. Dieses zentrale Vorbringen habe OLG zwar erwähnt, jedoch nicht inhaltlich und im Gesamtzusammenhang gewürdigt. Die abschließende Gesamtbetrachtung des OLG beschränke sich auf „Leerformeln“.
Zudem sah das BVerfG in beiden OLG-Beschlüssen eine Verletzung von Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG. Das OLG habe die dienstliche Äußerung der Richterin fehlerhaft gewürdigt. Diese enthalte Ausführungen, die „offenkundig auf eine mögliche Voreingenommenheit der Vorsitzenden Richterin schließen“ ließen. Dies werde schon dadurch deutlich, dass sie für sich eine „vernünftig-objektiven Betrachtung“ in Anspruch nehme, die Aussagen der Klägerseite hingegen als „subjektiv“ interpretiert. Hinzu komme, dass sie „mehrfach ironische Formulierungen“ wählte, „die zur Sachaufklärung nichts beitragen, aber geeignet sind, das Vorbringen der Beschwerdeführerin lächerlich zu machen“. Schließlich sei die Aussage, das Ablehnungsgesuch gründe im Schwerpunkt in ihrer Blickrichtung, eine verkürzende und entstellende Zusammenfassung, so das BVerfG.
Diese Anhaltspunkte hätten die mögliche Voreingenommenheit der Richterin „derart deutlich“ indiziert, dass das OLG diese besonders sorgfältig hätte prüfen müssen – was aber nicht geschehen sei. Stattdessen attestiert das BVerfG den Münchener Richterinnen und Richtern eine „pauschale und inhaltsleere Begründung, die sich mit den einzelnen gerügten Aspekten nicht näher auseinandersetzt“.
Fehlerhafte Bewertung der Wartepflicht nach § 47 ZPO
Auch die Tatsache, dass das OLG zwar einen Verstoß gegen die Wartepflicht nach § 47 ZPO gesehen, diesen jedoch nicht als Grund für eine Befangenheit gewertet hatte, verletze das Recht auf den gesetzlichen Richter. Nach § 47 ZPO darf ein abgelehnter Richter bis zur Entscheidung über das Ablehnungsgesuch nur solche Handlungen vornehmen, die keinen Aufschub gestatten. Die Richterin hatte aber Fristen gesetzt und Verfahrenshandlungen veranlasst.
Das OLG hatte den Verstoß mit einem Irrtum der Richterin über die Rechtslage entschuldigt. Maßgeblich sei jedoch der objektive Eindruck möglicher Parteilichkeit – nicht die subjektive Motivation der Richterin, so das BVerfG. Eine unzutreffende Rechtsauffassung könne insoweit keine Entlastung begründen. Auch sah das OLG keinen Grund für eine Befangenheit in einer Fristsetzung, die ja beide Parteien betreffe. Nach Auffassung des BVerfG verkenne das OLG mit dieser Begründung aber den Zweck der Vorschrift, mit dem Tätigkeitsverbot die ablehnende Partei zu schützen. Zwar sei nicht jeder Verstoß gegen die Wartepflicht ein Befangenheitsgrund – in diesem Kontext liege dies aber nahe.
Schließlich sah das BVerfG in der Reaktion der Richterin auf den erneuten Befangenheitsantrag wegen der Wartepflicht einen weiteren Hinweis auf ihre Befangenheit: Indem sie auf eine mögliche „prozesstaktische Motivation“ der Anträge hinwies, habe sie die Wahrnehmung des Ablehnungsrechts in einer Weise kritisiert, die „in einer dienstlichen Äußerung nicht statthaft“ sei, so das BVerfG weiter. Auch hierauf gehe das OLG jedoch nicht ausreichend ein, weshalb es zu einer erneuten Verletzung des Rechts auf den gesetzlichen Richter gekommen sei.
Das BVerfG hob beide Beschlüsse des OLG auf und verwies die Verfahren zur erneuten Entscheidung zurück.
Quelle: Bundesrechtsanwaltskammer