OLG Bremen, Pressemitteilung vom 19.03.2020 zum Urteil 2 U 91/19 vom 06.03.2020
Der Kläger verlangt von der Volkswagen AG als Herstellerin Schadenersatz im Zusammenhang mit dem Erwerb eines gebrauchten Dieselfahrzeugs. Am 09.08.2014 erwarb er einen Pkw VW Golf zu einem Kaufpreis von 13.300 Euro als Gebrauchtwagen. Das in die Schadstoffklasse Euro-5 eingestufte Fahrzeug verfügt über einen Motor des Typs EA 189.
Dieser war mit einer Software ausgestattet, die unterscheiden konnte, ob das Fahrzeug einen Prüfstandlauf durchfährt oder aber im normalen Straßenverkehr bewegt wird. Nur im Prüfstandlauf lief der Motor in einem Modus, bei dem die Schadstoffgrenzwerte der EURO-Norm 5 in den in die Umgebungsluft abgegebenen Abgasen eingehalten wurden. Konnte die Software hingegen erkennen, dass sich das Fahrzeug im normalen Straßenverkehr bewegt, wurde das Abgasrückführungssystem in einen Modus mit einer geringeren Abgasrückführungsrate geschaltet, die der Euro-5-Abgasnorm widersprach.
Das Kraftfahrtbundesamt (KBA) ordnete mit Bescheid vom 15.10.2015 den Rückruf der betroffenen Fahrzeuge an, worauf der Kläger zur Herstellung der Euro-5-Abgasnorm ein Software-Update einspielen ließ. Der Kläger hatte beim Landgericht Bremen auf Rückzahlung des Kaufpreises Zug um Zug gegen Rückgabe des Fahrzeugs geklagt und vorgetragen, die Beklagte habe wegen der Verwendung der Abschaltsoftware vorsätzlich und sittenwidrig gehandelt. Er sei von ihr arglistig getäuscht worden. Das Landgericht hatte der Klage überwiegend stattgegeben und die Beklagte wegen sittenwidriger Schädigung verurteilt, an den Kläger 8.181,40 Euro Zug um Zug gegen Rückübereignung des VW Golf zu zahlen. Allerdings müsse sich der Kläger die in der Besitzzeit gezogenen Nutzungen anrechnen lassen. Dadurch verminderte sich sein Rückzahlungsanspruch.
Gegen dieses Urteil haben beide Parteien wechselseitig Berufung eingelegt.
Das Hanseatische Oberlandesgericht in Bremen – 2. Zivilsenat – hat ebenso wie die Vorinstanz einen Schadenersatzanspruch des Klägers gegen die Beklagte aus § 826 BGB wegen sittenwidriger vorsätzlicher Schädigung bejaht.
Nach Auffassung des Oberlandesgerichts haftet die Beklagte als Herstellerin dafür, dass sie einen mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung versehenen Dieselmotor produziert, eingebaut und in den Verkehr gebracht hat. Allein schon die Tatsache, dass das Fahrzeug mit einem Motor versehen wurde, der nur auf dem Prüfstand einen normgerechten Schadstoffausstoß aufwies, während aufgrund einer „Abschalteinrichtung“ im Normalbetrieb die Normwerte nicht erreicht wurden, zeige die auf Täuschung angelegte Konzeption.
Der Schaden des Klägers bestehe darin, dass dieser, als er das Fahrzeug erwarb, mit einer ungewollten Kaufverbindlichkeit überzogen wurde, die ihm auch einen wirtschaftlich relevanten Nachteil brachte. Denn mit dem Kauf ging er gegen seinen Willen das Risiko einer öffentlich-rechtlichen Nutzungsuntersagung ein. Bei gehöriger Aufklärung über die Zusammenhänge hätte der Kläger von seiner Kaufentscheidung abgesehen. Der Schaden falle auch mit dem späteren Aufspielen eines Software-Update nicht weg. Die Möglichkeit, nachteiliger Auswirkungen auf das Fahrzeug sei nicht ausgeräumt.
Das Täuschungsvorgehen der Beklagten war nach Auffassung des Oberlandesgerichts auch sittenwidrig. Dabei sei besonders gravierend, dass VW in einem breit angelegten jahrelangen systematischen Manöver aus Streben nach Gewinnmaximierung und Wettbewerbsvorteilen eine hohe Zahl von Käufern täuschte, einen entsprechend exorbitanten Schaden herbeiführte und darüber hinaus das bislang hohe Vertrauen des Verkehrs in die Marke Volkswagen missbrauchte.
Dass sich im konkreten Fall die Täuschung „nur“ auf dem Gebrauchtwagenmarkt ausgewirkt habe, spiele dabei keine Rolle. Der weite Kreis der Gebrauchtwagenkäufer sei in gleicher Weise wie die Erstkäufer betroffen. Das Verhalten der Beklagten sei als vorsätzlich und in Hinblick auf den Schaden als leichtfertig einzustufen. Dafür sei auf ihre verfassungsmäßig berufenen Vertreter abzustellen. Der Kläger müsse die handelnden Organe und Personen nicht konkret benennen.
Allerdings kann die Klägerseite, wie das Oberlandesgericht erläutert, nicht die Rückerstattung des gesamten Kaufpreises verlangen. Der Kläger, der mit dem Fahrzeug bis zum letzten Gerichtstermin 77.605 km gefahren ist, muss sich vielmehr seine Nutzungsvorteile anrechnen lassen. Um diese zu berechnen, hat das Oberlandesgericht im Wege der Schätzung als angemessenen Durchschnittswert eine hypothetische Gesamtlaufleistung von 300.000 km zugrunde gelegt.
Anschaffungskaufpreis und gefahrene Kilometer fließen zusätzlich in die Berechnung ein.
Zusätzlich zu der Rückerstattung Zug um Zug gegen Rückgabe des Fahrzeugs kann der Kläger Zinsen ab Zahlungsverzug der Beklagten verlangen. Dagegen gibt es die Zinsen allerdings nicht, so wie es der Kläger verlangt hatte, schon ab dem Kaufzeitpunkt. Denn hierfür fehlt es nach Auffassung des Oberlandesgerichts an einer gesetzlichen Grundlage.
Im Hinblick auf die grundsätzliche Bedeutung der Sache und die noch bestehenden unterschiedlichen Auffassungen zu einigen Rechtsfragen in der obergerichtlichen Rechtsprechung hat das Oberlandesgericht die Revision zum BGH zugelassen.