EU-Recht - 9. Juli 2020

Nationale Verjährungsvorschriften: Schutz vor missbräuchlichen Klauseln

EuGH, Pressemitteilung vom 09.07.2020 zu den Urteilen C-698/18, C-699/18 vom 09.07.2020

Eine nationale Rechtsvorschrift darf eine Verjährungsfrist für die auf eine missbräuchliche Klausel in einem Vertrag zwischen einem Gewerbetreibenden und einem Verbraucher gestützte Erstattungsklage vorsehen.

Diese Frist darf weder weniger günstig ausgestaltet sein als die für entsprechende innerstaatliche Klagen noch die Ausübung der durch das Unionsrecht verliehenen Rechte praktisch unmöglich machen oder übermäßig erschweren.

JB und KC hatten Darlehensverträge über die Vergabe persönlicher Kredite mit der Raiffeisen Bank bzw. der BRD Groupe Société Générale geschlossen. Nach der vollständigen Tilgung dieser Darlehen erhoben beide Darlehensnehmer bei der Judec?toria Târgu Mure? (Amtsgericht Târgu Mure?, Rumänien) Klage auf Feststellung der Missbräuchlichkeit bestimmter Klauseln dieser Verträge, die die Zahlung einer Bearbeitungsgebühr und einer monatlichen Verwaltungsgebühr sowie für die Bank die Möglichkeit vorsah, die Höhe der Zinsen zu ändern.

Raiffeisen Bank und BRD Groupe Société Générale beriefen sich darauf, dass JB und KC bei Klageerhebung keine Verbraucher mehr gewesen seien, da die Darlehensverträge aufgrund ihrer vollständigen Erfüllung beendet gewesen seien; daher bestehe keine Klagebefugnis mehr.

Die Judec?toria Târgu Mure? vertrat die Auffassung, dass die vollständige Erfüllung eines Vertrags einer Überprüfung der Missbräuchlichkeit der darin verwendeten Klauseln nicht entgegenstehe, und stellte fest, dass die Klauseln missbräuchlich seien. Daher verurteilte sie die beiden Kreditinstitute zur Erstattung der von JB und KC auf der Grundlage dieser Klauseln gezahlten Beträge zuzüglich der gesetzlichen Zinsen. Gegen diese Entscheidung legten Raiffeisen Bank und BRD Groupe Société Générale Rechtsmittel ein.

In diesem Zusammenhang möchte das Tribunal Specializat Mure? (Landgericht mit Sonderzuständigkeit Mure?, Rumänien) vom Gerichtshof wissen, ob die Richtlinie über missbräuchliche Klauseln in Verbraucherverträgen1 auch nach der vollständigen Erfüllung eines Vertrags noch Anwendung findet und ob gegebenenfalls für eine Klage auf Erstattung der Beträge, die aufgrund von für missbräuchlich erklärten Vertragsklauseln rechtsgrundlos gezahlt wurden, eine Verjährungsfrist von drei Jahren vorgesehen werden kann, die mit der Beendigung dieses Vertrags zu laufen beginnt.

Mit seinem Urteil am 09.07.2020 weist der Gerichtshof zunächst darauf hin, dass die Verpflichtung des nationalen Gerichts, eine missbräuchliche Vertragsklausel, nach der Beträge zu zahlen sind, die sich als rechtsgrundlos herausstellen, für nichtig zu erklären, im Hinblick auf diese Beträge grundsätzlich Restitutionswirkung entfaltet.

Bei Fehlen entsprechender Unionsrechtsvorschriften ist es aber Sache der innerstaatlichen Rechtsordnung der einzelnen Mitgliedstaaten, die Verfahrensmodalitäten der Klagen zu bestimmen, die den Schutz der Rechte der Unionsbürger gewährleisten sollen. Diese Modalitäten dürfen allerdings nicht weniger günstig ausgestaltet sein als die entsprechender innerstaatlicher Klagen (Äquivalenzgrundsatz) und dürfen die Ausübung der durch die Unionsrechtsordnung verliehenen Rechte nicht praktisch unmöglich machen oder übermäßig erschweren (Effektivitätsgrundsatz).

Zum Effektivitätsgrundsatz führt der Gerichtshof aus, dass das mit der Richtlinie über missbräuchliche Klauseln in Verbraucherverträgen geschaffene Schutzsystem auf dem Gedanken beruht, dass der Verbraucher sich gegenüber dem Gewerbetreibenden in einer schwächeren Verhandlungsposition befindet. Selbst wenn eine Verjährungsfrist von drei Jahren grundsätzlich faktisch ausreichend erscheint, um den Betroffenen zu ermöglichen, einen wirksamen Rechtsbehelf vorzubereiten und einzulegen, könnte sie, soweit sie zum Zeitpunkt der vollständigen Erfüllung des Vertrags beginnt, abgelaufen sein, bevor der Verbraucher die Möglichkeit hatte, von der Missbräuchlichkeit einer Klausel dieses Vertrags Kenntnis zu nehmen. Durch diese Frist kann also ein wirksamer Schutz des Verbrauchers nicht gewährleistet werden.

Unter diesen Umständen ist eine Beschränkung des dem Verbraucher verliehenen Schutzes auf die Dauer der Erfüllung des fraglichen Vertrags nicht mit dem durch diese Richtlinie geschaffenen Schutzsystem vereinbar. Also ist es mit dem Effektivitätsgrundsatz unvereinbar, wenn für die Erstattungsklage eine Verjährungsfrist von drei Jahren gilt, deren Lauf unabhängig davon, ob der Verbraucher zu diesem Zeitpunkt von der Missbräuchlichkeit einer Vertragsklausel, auf die er seine Erstattungsklage stützt, Kenntnis hatte oder vernünftigerweise haben konnte, mit der Beendigung des in Rede stehenden Vertrags beginnt.

Was den Äquivalenzgrundsatz angeht, verlangt dieser, dass für dessen Einhaltung die betreffende nationale Regelung in gleicher Weise für Rechtsbehelfe, die auf die Verletzung des Unionsrechts gestützt sind, und für Rechtsbehelfe gelten muss, die auf die Verletzung des innerstaatlichen Rechts gestützt sind, sofern diese Rechtsbehelfe einen ähnlichen Gegenstand und Rechtsgrund haben. Insoweit steht dieser Grundsatz einer Auslegung der nationalen Rechtsvorschrift entgegen, wonach der Lauf der Verjährungsfrist für eine Klage auf Erstattung der aufgrund einer missbräuchlichen Klausel entrichteten Beträge ab dem Zeitpunkt der vollständigen Erfüllung des Vertrags beginnt, während der Lauf derselben Frist für eine entsprechende auf innerstaatliche Vorschriften gestützte Klage erst ab der gerichtlichen Feststellung des Grundes beginnt, auf dem die Klage beruht.

Der Gerichtshof kommt zu dem Ergebnis, dass die Richtlinie einer nationalen Rechtsvorschrift nicht entgegensteht, nach der zwar für eine Klage auf Feststellung der Nichtigkeit einer missbräuchlichen Klausel in einem zwischen einem Gewerbetreibenden und einem Verbraucher geschlossenen Vertrag keine Verjährungsfrist gilt, die aber für die Klage zur Geltendmachung der sich aus dieser Feststellung ergebenden Restitutionswirkung eine Verjährungsfrist vorsieht. Allerdings darf diese Frist nicht weniger günstig ausgestaltet sein als die für entsprechende innerstaatliche Klagen geltende, und sie darf die Ausübung der durch die Unionsrechtsordnung verliehenen Rechte nicht praktisch unmöglich machen oder übermäßig erschweren.

Die in Rede stehende Richtlinie sowie die Grundsätze der Äquivalenz und der Effektivität stehen einer gerichtlichen Auslegung der nationalen Rechtsvorschrift entgegen, nach der für die Klage auf Erstattung der Beträge, die aufgrund einer missbräuchlichen Klausel gezahlt wurden, eine Verjährungsfrist von drei Jahren gilt, die mit dem Tag der vollständigen Erfüllung dieses Vertrags zu laufen beginnt, wenn vermutet wird – ohne dass es hierfür einer Prüfung bedarf -, dass der Verbraucher zu diesem Zeitpunkt von der Missbräuchlichkeit der in Rede stehenden Klausel Kenntnis haben müsste , oder wenn der Lauf dieser Frist für entsprechende, auf innerstaatliche Vorschriften gestützte Klagen erst ab der gerichtlichen Feststellung des Grundes beginnt, auf dem diese Klagen beruhen.

Fußnote

1 Richtlinie 93/13/EWG des Rates vom 5. April 1993 über missbräuchliche Klauseln in Verbraucherverträgen (ABl. 1993, L 95, S. 29).