Sozialrecht - 11. September 2019

Krankenhäuser erhalten keine Zusatzvergütung für Atemunterstützung mittels High-Flow-Nasenkanüle

BSG, Pressemitteilung vom 11.09.2019 zum Urteil B 1 KR 11/19 R vom 30.07.2019

Krankenhäuser dürfen Zeiten der Atemunterstützung eines Neugeborenen oder Säuglings mittels High-Flow-Nasenkanüle (HFNC) nicht als Stunden maschineller Beatmung kodieren, um eine zusätzliche Vergütung zu erhalten. Dies hat der 1. Senat des Bundessozialgerichts am 30. Juli 2019 in einem am 11.09.2019 veröffentlichten Urteil entschieden (Az. B 1 KR 11/19 R).

Ordnungsgemäß erbrachte stationäre Krankenhausleistungen sind in der Regel nach Fallpauschalen zu vergüten, denen Kodierrichtlinien zugrunde liegen. Die Deutsche Krankenhausgesellschaft, der Spitzenverband Bund der Krankenkassen und der Verband der privaten Krankenversicherung vereinbaren die Fallpauschalen seit mehr als zehn Jahren in sogenannten Normenverträgen und passen sie jährlich an Änderungen an. Es ist folglich nicht Aufgabe von Sachverständigen, sondern der Gerichte, Streitigkeiten über die Auslegung dieser Verträge anlässlich der Abrechnung konkreter Krankenhausleistungen zu klären. Sie beschränken sich hierbei im Wesentlichen auf eine an Wortlaut und System der Verträge ausgerichtete Kontrolle.

In dem Rechtsstreit, über den der 1. Senat des Bundessozialgerichts zu entscheiden hatte, versorgte die klagende Krankenhausträgerin Anfang 2017 einen 5 Monate alten, bei der beklagten Krankenkasse versicherten Säugling wegen akuter Bronchiolitis unter anderem mit HFNC-Atemunterstützung. Bei dieser Beatmungsform wird über eine Nasenbrille mit Schläuchen ein kontinuierlicher Luftstrom über die Nasenlöcher in den Nasen-Rachen-Raum geleitet. Die Klägerin kodierte hierfür nicht nur die Behandlung der akuten Bronchiolitis, sondern zudem 66 Stunden maschineller Beatmung, und berechnete insgesamt 8.656,96 Euro. Die Beklagte zahlte lediglich 2.769,25 Euro, weil Beatmungsstunden bei der Atemunterstützung durch HFNC nicht zu berechnen seien. Klage und Berufung des Krankenhausträgers sind ohne Erfolg geblieben.

Zu Recht, wie das Bundessozialgericht am 30. Juli 2019 entschieden hat: Die maßgeblichen Normenverträge lassen keine höhere Bezahlung zu. Die Behandlung mittels HFNC ist keine maschinelle Beatmung im Sinne der maßgeblichen Kodierregel und dieser auch nicht gleichgestellt. Der Säugling war weder intubiert oder tracheotomiert noch erfolgte eine Beatmung über ein Maskensystem. Wenn die Vertragspartner im Wissen um die HFNC-Atemunterstützung bei Neugeborenen und Säuglingen mindestens seit 2011 bewusst ihre Normenverträge nicht ändern, darf sich die Rechtsprechung über deren Entscheidung nicht hinwegsetzen. Die Höhe der Pauschalvergütung berührt dabei nicht die Pflicht der Klägerin, Neugeborene und Säuglinge kunstgerecht zu behandeln.

Hinweis zur Rechtslage

§ 109 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch – Abschluss von Versorgungsverträgen mit Krankenhäusern

(…)

(4) 1Mit einem Versorgungsvertrag nach Absatz 1 wird das Krankenhaus für die Dauer des Vertrages zur Krankenhausbehandlung der Versicherten zugelassen. 2Das zugelassene Krankenhaus ist im Rahmen seines Versorgungsauftrags zur Krankenhausbehandlung (§ 39) der Versicherten verpflichtet. 3Die Krankenkassen sind verpflichtet, unter Beachtung der Vorschriften dieses Gesetzbuchs mit dem Krankenhausträger Pflegesatzverhandlungen nach Maßgabe des Krankenhausfinanzierungsgesetzes, des Krankenhausentgeltgesetzes und der Bundespflegesatzverordnung zu führen.

§ 17b Gesetz zur wirtschaftlichen Sicherung der Krankenhäuser und zur Regelung der Krankenhauspflegesätze (Krankenhausfinanzierungsgesetz – KHG) – Einführung eines pauschalierenden Entgeltsystems für DRG-Krankenhäuser

(…)

(2) 1Der Spitzenverband Bund der Krankenkassen und der Verband der privaten Krankenversicherung gemeinsam vereinbaren entsprechend den Vorgaben der Absätze 1, 1a und 3 mit der Deutschen Krankenhausgesellschaft ein Vergütungssystem, das sich an einem international bereits eingesetzten Vergütungssystem auf der Grundlage der Diagnosis Related Groups (DRG) orientiert, seine jährliche Weiterentwicklung und Anpassung, insbesondere an medizinische Entwicklungen, Kostenentwicklungen, Verweildauerverkürzungen und Leistungsverlagerungen zu und von anderen Versorgungsbereichen, und die Abrechnungsbestimmungen, soweit diese nicht im Krankenhausentgeltgesetz vorgegeben werden.

§ 9 Gesetz über die Entgelte für voll- und teilstationäre Krankenhausleistungen (Krankenhausentgeltgesetz – KHEntgG) – Vereinbarung auf Bundesebene

(1) Der Spitzenverband Bund der Krankenkassen und der Verband der Privaten Krankenversicherung gemeinsam vereinbaren mit der Deutschen Krankenhausgesellschaft (Vertragsparteien auf Bundesebene) mit Wirkung für die Vertragsparteien nach § 11 insbesondere

1. einen Fallpauschalen-Katalog nach § 17b Absatz 1 Satz 4 des Krankenhausfinanzierungsgesetzes einschließlich der Bewertungsrelationen sowie Regelungen zu Verlegungsfällen und zur Grenzverweildauer und der in Abhängigkeit von diesen zusätzlich zu zahlenden Entgelte oder vorzunehmenden Abschläge (effektive Bewertungsrelationen),

2. (…)

1001l der Vereinbarung zu den Deutschen Kodierrichtlinien Version 2017 für das G-DRG-System? gemäß § 17b KHG:

Maschinelle Beatmung

Definition

Maschinelle Beatmung („künstliche Beatmung“) ist ein Vorgang, bei dem Gase mittels einer mechanischen Vorrichtung in die Lunge bewegt werden. Die Atmung wird unterstützt durch das Verstärken oder Ersetzen der eigenen Atemleistung des Patienten. Bei der künstlichen Beatmung ist der Patient in der Regel intubiert oder tracheotomiert und wird fortlaufend beatmet. Bei intensivmedizinisch versorgten Patienten kann eine maschinelle Beatmung auch über Maskensysteme erfolgen, wenn diese an Stelle der bisher üblichen Intubation oder Tracheotomie eingesetzt werden.

Kodierung

Wenn eine maschinelle Beatmung die obige Definition erfüllt, ist

1) zunächst die Dauer der künstlichen Beatmung zu erfassen. Hierfür steht ein separates Datenfeld im Datensatz nach § 301 SGB V (Sozialgesetzbuch Fünftes Buch) sowie § 21 KHEntgG (Krankenhausentgeltgesetz) zur Verfügung.

2) Dann ist zusätzlich:

2a) einer der folgenden Kodes

8 701 Einfache endotracheale Intubation

8 704 Intubation mit Doppellumentubus

8 706 Anlegen einer Maske zur maschinellen Beatmung

und/oder

2b) der zutreffende Kode aus

5 311 Temporäre Tracheostomie oder

5 312 Permanente Tracheostomie

anzugeben, wenn zur Durchführung der künstlichen Beatmung ein Tracheostoma angelegt wurde.

3) Bei Neugeborenen und Säuglingen ist zusätzlich ein Kode

aus

8 711 Maschinelle Beatmung und Atemunterstützung bei Neugeborenen und Säuglingen

anzugeben.

4) (…)

(…)

Kontinuierlicher positiver Atemwegsdruck (CPAP)

Kodes aus

8 711.0 Atemunterstützung mit kontinuierlichem positivem Atemwegsdruck [CPAP]

sind nur bei Neugeborenen und Säuglingen zu kodieren, unabhängig von der Behandlungsdauer (also auch unter 24 Stunden; bei OPS-Kode 8-711.00 mindestens aber 30 Minuten).

Die Dauer der Atemunterstützung mit kontinuierlichem positivem Atemwegsdruck (CPAP) ist bei Neugeborenen und Säuglingen bei der Ermittlung der Beatmungsdauer zu berücksichtigen.

(…)

Operationen- und Prozedurenschlüssel in der Version 2017:

8-71 Maschinelle Beatmung und Atemunterstützung über Maske oder Tubus

Hinw.: Ein Kode aus diesem Bereich ist jeweils nur einmal pro stationären Aufenthalt anzugeben

8-711 Maschinelle Beatmung und Atemunterstützung bei Neugeborenen und Säuglingen

Hinw.: Bei Anwendung mehrerer Beatmungsformen ist immer die aufwendigste anzugeben

8-711.0 Atemunterstützung mit kontinuierlichem positiven Atemwegsdruck [CPAP]

8-711.00 Bei Neugeborenen (0. bis 28. Lebenstag)

Hinw.: Bei einer Atemunterstützung unmittelbar nach der Geburt ist dieser Kode nur dann anzugeben, wenn die Atemunterstützung mindestens 30 Minuten lang durchgeführt wurde

8-711.01 Bei Säuglingen (29. bis 365. Lebenstag)

(…)

8-711.4 Atemunterstützung durch Anwendung von High-Flow-Nasenkanülen [HFNC-System]

(…)