LSG Sachsen-Anhalt, Mitteilung vom 30.04.2025 zum Urteil L 6 U 36/24 vom 27.03.2025 (nrkr)
Ein Schüler steht nicht unter dem Schutz der gesetzlichen Unfallversicherung, wenn er für ein Referat in der Schule auf eigene Initiative eine Sonnenblume pflücken will und auf dem Weg zum Sonnenblumenfeld einen Unfall erleidet. Das hat das Landessozialgericht (LSG) Sachsen-Anhalt entschieden.
Der damals 15-jährige Kläger sollte in der Schule einen Vortrag über Korbblütler halten. Um seine Präsentation anschaulicher zu gestalten, wollte er morgens vor dem Unterricht mit dem Moped zu einem Sonnenblumenfeld fahren und eine Blume pflücken. Sie sollte bei dem Vortrag als Anschauungsobjekt dienen. Auf dem Weg zu dem Feld kam es zu einem schweren Verkehrsunfall, und der Schüler erlitt u. a. ein offenes Schädel-Hirn-Trauma.
Die zuständige Unfallkasse lehnte es ab, den Unfall als Arbeitsunfall anzuerkennen. Zu Recht, wie jetzt das LSG entschieden hat. Das Holen der Sonnenblume falle nicht in den organisatorischen Verantwortungsbereich der Schule. Insbesondere sei der Schüler nicht von seiner Lehrerin aufgefordert worden, zu seiner Präsentation eine Sonnenblume oder allgemein Korbblütler mitzubringen. Den Schülern sei vielmehr freigestellt gewesen, „ob, wann, wie und wo sie sich gegebenenfalls welches Anschauungsmaterial beschaffen“. Damit falle die Vorbereitung des Vortrags – wie jede Hausarbeit – in den Verantwortungsbereich des Schülers bzw. seiner Eltern.
Der Unfall habe sich auch nicht auf dem Schulweg ereignet. Dieser umfasse nur den Weg von der elterlichen Wohnung zur Schule.
Unter den Unfallversicherungsschutz falle zwar nach dem Gesetz auch die Beschaffung eines Arbeitsgerätes, und die Sonnenblume sei ein solches „Arbeitsgerät“ gewesen. Der Schutz greife aber nur, wenn die Beschaffung auf Veranlassung der Schule erfolge. Dies sei hier nicht der Fall gewesen. Selbst wenn die Lehrerin allgemein darauf hingewiesen haben sollte, dass das Mitbringen von Anschauungsmaterial günstig für eine bessere Note sei, hätte dem 15-Jährigen klar sein müssen, dass dies keine Billigung oder gar Anweisung sein könne, illegal eine Blume auf fremdem Privatgrund zu pflücken.
Das LSG hat die Revision zum Bundessozialgericht (BSG) zugelassen.
Hintergrund
Die Gesetzliche Unfallversicherung ist im Siebten Buch des Sozialgesetzbuchs (SGB VII) geregelt.
Gemäß § 2 Abs. 1 Nr. 8 Buchstabe b) SGB VII sind Schüler „während des Besuchs von allgemein- oder berufsbildenden Schulen und während der Teilnahme an unmittelbar vor oder nach dem Unterricht von der Schule oder im Zusammenwirken mit ihr durchgeführten Betreuungsmaßnahmen“ gesetzlich unfallversichert.
Arbeitsunfälle sind Unfälle von Versicherten infolge einer den Versicherungsschutz begründenden Tätigkeit (§ 8 Abs. 1 Satz 1 SGB VII). Versicherte Tätigkeiten sind auch „das Zurücklegen des mit der versicherten Tätigkeit zusammenhängenden unmittelbaren Weges nach und von dem Ort der Tätigkeit“ sowie „das mit einer versicherten Tätigkeit zusammenhängende Verwahren, Befördern, Instandhalten und Erneuern eines Arbeitsgeräts oder einer Schutzausrüstung sowie deren Erstbeschaffung, wenn diese auf Veranlassung der Unternehmer erfolgt“ (§ 8 Abs. 2 Nr. 1 und Nr. 5 SGB VII).
Quelle: Landessozialgericht (LSG) Sachsen-Anhalt