BRAK, Mitteilung vom 08.10.2024 zum Urteil IX ZR 38/23 des BGH vom 16.05.2024
Bei ungeklärter Rechtslage spricht kein Anscheinsbeweis dafür, dass rechtsschutzversicherte Mandanten sich gegen eine Klage entschieden hätten.
Stellt sich in einem Anwaltshaftungsprozess heraus, dass der Anwalt die Mandanten nicht ausreichend über die Risiken der Rechtsverfolgung beraten hat, so kann laut BGH-Rechtsprechung ein Anscheinsbeweis dafür greifen, dass sie sich definitiv gegen eine Rechtsverfolgung entschieden hätten. Dieser greift jedoch nur, wenn ein Erfolg objektiv aussichtslos gewesen wäre. Bei einer ungeklärten Rechtslage ohne höchstrichterliche Rechtsprechung oder Literaturdiskussionen zu dem Thema könne diese objektive Aussichtslosigkeit nicht angenommen werden. Damit hat der BGH seine Rechtsprechung in einem nun veröffentlichten Urteil nun weiter konkretisiert (Urteil vom 16.05.2024, Az. IX ZR 38/23).
Im vorliegenden Fall hatte eine Rechtsschutzversicherung einen Anwalt aus abgetretenem Recht verklagt, weil dieser mehrere ihrer Meinung nach aussichtslose Rechtsstreite von Anlegern geführt hatte. Im Anwaltshaftungsprozess wurde festgestellt, dass der Anwalt seine Mandanten tatsächlich nicht ausreichend über die unsichere Rechtslage aufgeklärt hatte. Das Berufungsgericht folgerte daraus, dass eine Kausalität der Pflichtverletzung für den Kostenschaden gegeben sei und der Anwalt haften müsse. Denn wegen der unzureichenden Beratung greife ein vom BGH entwickelter Anscheinsbeweis dafür, dass sich die Mandanten bei ordnungsgemäßer Beratung in jedem Fall gegen die weitere Rechtsverfolgung entschieden hätten. Die Rechtsverfolgung sei objektiv aussichtslos gewesen.
BGH: Kein Anscheinsbeweis bei ungeklärter Rechtslage
Dies sah der BGH allerdings anders. Der Anscheinsbeweis greife nur unter strengen Voraussetzungen. Die Rechtsverfolgung müsse aus der maßgeblichen Sicht ex ante aus tatsächlichen oder rechtlichen Gründen objektiv aussichtslos gewesen sein. So komme die Vermutung schon nicht in Betracht, wenn die Mandanten sich möglicherweise auch anders entschieden hätten. Gerade, wenn das Kostenrisiko durch eine Deckungszusage der Rechtsschutzversicherung weitestgehend ausgeschlossen ist, könnten schon ganz geringe Erfolgsaussichten den Mandanten dazu veranlassen, den Rechtsstreit zu führen oder fortzusetzen. Objektiv aussichtslos sei eine Rechtsverfolgung in diesen Fällen nur, wenn eine streitentscheidende Rechtsfrage höchstrichterlich abschließend geklärt ist oder nach der Gesetzeslage völlig eindeutig ist.
Im vorliegenden Fall habe es unstrittig noch keine höchstrichterliche Rechtsprechung zu der entscheidenden Rechtsfrage gegeben. Nicht einmal in der Literatur sei das Problem bereits erkannt oder diskutiert worden. Die Rechtslage sei auch nicht objektiv eindeutig gewesen, da es auf die Auslegung von Versicherungsbedingungen angekommen wäre. Die Rechtsverfolgung wäre damit nicht objektiv aussichtslos gewesen. Weil der Fall zur Entscheidung reif war, hat der BGH den Fall abschließend zugunsten des Anwalts entschieden.
Quelle: Bundesrechtsanwaltskammer