EU-Justizbarometer 2020 - 13. Juli 2020

Justizsysteme sind wirksamer und zugänglicher geworden, das Vertrauen in die Justiz ist in einigen Mitgliedstaaten aber rückläufig

EU-Kommission, Pressemitteilung vom 10.07.2020

Die Europäische Kommission hat am 10.07.2020 das
EU-Justizbarometer 2020
veröffentlicht, das einen vergleichenden Überblick über Effizienz, Qualität und Unabhängigkeit der Justizsysteme in allen EU-Mitgliedstaaten gibt. Die Effizienz der Justizsysteme hat sich in den meisten Mitgliedstaaten weiter erhöht. Laut den Ergebnissen einer ebenfalls heute veröffentlichten Eurobarometer-Umfrage hat die Unabhängigkeit der Justiz hingegen nach Ansicht der Bürgerinnen und Bürger in einer Reihe von Mitgliedstaaten weiter abgenommen.

Die für Werte und Transparenz zuständige Vizepräsidentin der EU-Kommission, Věra Jourová, erklärte: „Das EU-Justizbarometer ist ein bewährtes Instrument, mit dem wir uns ein Bild von der Entwicklung der Justizsysteme in der Union machen können. Ich freue mich, dass die Justizsysteme in vielen Mitgliedstaaten verbessert wurden und die Bürgerinnen und Bürger der EU ihre Rechte wirksam geltend machen können. Was mich jedoch beunruhigt, ist, dass die Unabhängigkeit der Justiz in einigen Ländern als sehr gering wahrgenommen wird und dass politischer Druck einer der Hauptgründe dafür ist.“

Der für Justiz und Verbraucher zuständige Kommissar Didier Reynders sagte: „Das Justizbarometer bietet wertvolle Einblicke in die Rechtsstaatlichkeit in allen EU-Mitgliedstaaten. Die Ergebnisse werden in den ersten jährlichen Bericht der Kommission über die Rechtsstaatlichkeit einfließen, der in diesem Jahr vorgelegt wird. Aus dem Justizbarometer 2020 geht hervor, dass die Justizsysteme in den allermeisten Mitgliedstaaten wirksamer funktionieren, was eine gute Nachricht ist. Allerdings zeigt sich auch, dass die Bürgerinnen und Bürger ihrem Justizsystem nicht vollständig vertrauen. Diesem Problem sollten wir unbedingt begegnen.“

Die wichtigsten Ergebnisse des Justizbarometers 2020 im Überblick:

  • Aufwärtstrend bei der Effizienz der Justizsysteme: In den meisten Mitgliedstaaten, die im Rahmen des Europäischen Semesters als Länder mit besonderen Herausforderungen eingestuft wurden, sind seit 2012 Fortschritte erzielt worden. So hat sich die Dauer der erstinstanzlichen Gerichtsverfahren in fast allen diesen Mitgliedstaaten verringert oder ist stabil geblieben. Fast alle Mitgliedstaaten haben eine hohe Verfahrensabschlussquote gemeldet (> 97 %). Das lässt darauf schließen, dass es den Gerichten im Allgemeinen gelingt, neue Fälle zu bewältigen und den Verfahrensrückstau allmählich abzubauen. Im Justizbarometer wird auch die Effizienz in bestimmten Bereichen des EU-Rechts untersucht, die aufgrund ihrer Relevanz für den Binnenmarkt und das Unternehmensumfeld ausgewählt werden. Dazu gehört beispielsweise das Verbraucherrecht: In diesem Bereich dauert es in sieben Mitgliedstaaten weniger als drei Monate, bis eine Entscheidung ergeht. Im Bereich der Geldwäsche dauern die erstinstanzlichen Gerichtsverfahren in der Hälfte der Mitgliedstaaten durchschnittlich ein Jahr, während in mehreren Mitgliedstaaten, in denen Probleme hinsichtlich der Verfolgung von Geldwäschedelikten bestehen, bis zu zwei Jahre vergehen.
  • Wahrgenommene Unabhängigkeit der Justiz im Vergleich zu 2019 zurückgegangen: Nach den Ergebnissen einer heute veröffentlichten neuen Eurobarometer-Umfrage hat sich die von den Bürgerinnen und Bürgern wahrgenommene Unabhängigkeit der Justiz in zwei Dritteln der Mitgliedstaaten gegenüber 2016 verbessert. Im Vergleich zum vergangenen Jahr jedoch hat sich die Unabhängigkeit der Justiz in der öffentlichen Wahrnehmung in etwa zwei Fünfteln aller Mitgliedstaaten und in etwa der Hälfte der Mitgliedstaaten, die mit besonderen Herausforderungen konfrontiert sind, verschlechtert. Der am häufigsten genannte Grund für die als unzulänglich wahrgenommene Unabhängigkeit von Gerichten und Richtern war Einmischung bzw. Druck durch Regierungen und Politiker, gefolgt von Druck durch Wirtschaftsakteure oder andere Interessenträger.
  • Verbesserungen bei Zugänglichkeit und Geschlechtergleichstellung: Fast alle Mitgliedstaaten bieten online Zugang zu bestimmten Informationen über ihr Justizsystem, und eine Mehrheit von ihnen stellt auch Informationen für seh- oder hörbehinderte Menschen sowie für Nichtmuttersprachler bereit. Die Mitgliedstaaten treffen nach und nach Vorkehrungen, um Gerichtsentscheidungen in maschinenlesbarer Form zur Verfügung zu stellen, wobei die Fortschritte von Mitgliedstaat zu Mitgliedstaat unterschiedlich ausfallen. Maschinenlesbare Urteile sind benutzerfreundlicher und für die breite Öffentlichkeit leichter zugänglich. Fast alle Mitgliedstaaten haben zumindest gewisse Erleichterungen für Kinder eingeführt, zum Beispiel Maßnahmen für kindgerechte Anhörungen. Allerdings gibt es in weniger als der Hälfte der Mitgliedstaaten kindgerechte Websites mit Informationen über das Justizsystem. In den meisten Mitgliedstaaten sind an den obersten Gerichten zwar nach wie vor weniger als 50 % der Richterstellen mit Frauen besetzt, doch hat sich der Anteil der Richterinnen allgemein seit 2010 in den meisten Mitgliedstaaten weiter erhöht.

Die nächsten Schritte

Wie in den
Politischen Leitlinien
von Kommissionspräsidentin von der Leyen angekündigt, verstärkt die Kommission die Überwachung der Rechtsstaatlichkeit in den Mitgliedstaaten anhand des eigens eingeführten Mechanismus zur Wahrung der Rechtsstaatlichkeit. Die Ergebnisse des Justizbarometers 2020 werden in den ersten jährlichen Bericht der Kommission über die Rechtsstaatlichkeit einfließen, der noch in diesem Jahr veröffentlicht werden soll.