EU-Recht - 3. September 2020

Italienische Vorschrift, durch die Vivendi daran gehindert ist, 28 % des Kapitals von Mediaset zu erwerben, verstößt gegen Unionsrecht

EuGH, Pressemitteilung vom 03.09.2020 zum Urteil C-719/18 vom 03.09.2020

Die italienische Vorschrift, durch die Vivendi daran gehindert ist, 28 % des Kapitals von Mediaset zu erwerben, verstößt gegen das Unionsrecht.

Diese Vorschrift stellt eine verbotene Beschränkung der Niederlassungsfreiheit dar, da sie nicht zur Erreichung des Ziels, den Informationspluralismus zu schützen, geeignet ist.

2016 begann die französische Gesellschaft Vivendi SA, die an der Spitze eines im Bereich der Medien sowie der Schaffung und Verbreitung audiovisueller Inhalte tätigen Konzerns steht, eine Kampagne zum feindlichen Erwerb von Aktien der Mediaset Italia SpA (im Folgenden: Mediaset), einer italienischen Gesellschaft im gleichen Bereich, die von der Fininvest-Gruppe1 beherrscht wurde. Vivendi gelang es, 28,8 % des Gesellschaftskapitals und damit 29,94 % der Stimmrechte von Mediaset zu erwerben.

Mediaset legte bei der Autorità per le Garanzie nelle Comunicazioni (AGCOM) (Aufsichtsbehörde für das Kommunikationswesen, Italien) eine Beschwerde gegen Vivendi ein und warf ihr vor, gegen die italienische Vorschrift verstoßen zu haben, die es zum Schutz des Informationspluralismus jedem Unternehmen, dessen – auch über abhängige oder verbundene Gesellschaften2 erzielte – Einnahmen im Bereich der elektronischen Kommunikation höher als 40 % der gesamten in diesem Bereich erzielten Einnahmen sind, verbietet, im integrierten Kommunikationssystem (im Folgenden: IKS)3 Einnahmen zu erzielen, die höher als 10 % der in diesem System erzielten Einnahmen sind. Dies war bei Vivendi der Fall, die aufgrund ihrer Kontrolle über die Telecom Italia SpA (TIM) im italienischen Sektor der elektronischen Kommunikation bereits eine bedeutende Stellung innehatte.

Mit einem Bescheid von 2017 stellte die AGCOM fest, dass Vivendi durch den Erwerb der Beteiligungen an Mediaset gegen diese italienische Vorschrift verstoßen habe, und gab ihr auf, diesen Verstoß zu beenden.

Vivendi kam der Anordnung der AGCOM nach, indem sie 19,19 % der Mediaset-Aktien auf eine dritte Gesellschaft übertrug, erhob aber zugleich beim Tribunale Amministrativo Regionale per il Lazio (Verwaltungsgericht für die Region Latium, Italien) Klage auf Aufhebung des Beschlusses der AGCOM.

In diesem Kontext möchte das Tribunale amministrativo regionale per il Lazio vom Gerichtshof wissen, ob die in Art. 49 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV) verankerte Niederlassungsfreiheit einer Regelung eines Mitgliedstaats entgegensteht, die bewirkt, dass eine Gesellschaft eines anderen Mitgliedstaats, deren – auch über abhängige oder verbundene Gesellschaften – auf nationaler Ebene erzielte Einnahmen im Sektor der elektronischen Kommunikation mehr als 40 % der gesamten in diesem Sektor erzielten Einnahmen betragen, daran gehindert ist, im IKS Einnahmen zu erzielen, die mehr als 10 % der in diesem System erzielten Einnahmen betragen.

Mit seinem Urteil vom 03.09.2020 bejaht der Gerichtshof diese Frage.

Der Gerichtshof weist zunächst darauf hin, dass Art. 49 AEUV jeder nationalen Maßnahme entgegensteht, die geeignet ist, die Ausübung der vom AEUV garantierten Niederlassungsfreiheit durch die Unionsangehörigen zu behindern oder weniger attraktiv zu machen. Dies ist bei der italienischen Regelung der Fall, die es Vivendi verbietet, die Beteiligungen, die sie an Mediaset erworben hatte oder an Telecom Italia hielt, zu behalten, und sie damit verpflichtet, die Beteiligungen an einem der beiden Unternehmen insoweit zu beenden, als die vorgesehenen Schwellenwerte überschritten wurden.

Sodann stellt der Gerichtshof fest, dass eine Beschränkung der Niederlassungsfreiheit zwar grundsätzlich mit einem zwingenden Grund des Allgemeininteresses wie dem Schutz des Pluralismus der Information und der Medien gerechtfertigt werden kann, dies aber bei der in Rede stehenden Vorschrift nicht der Fall ist, da sie nicht geeignet ist, dieses Ziel zu erreichen.

Der Gerichtshof weist in diesem Zusammenhang darauf hin, dass das Unionsrecht bei den elektronischen Kommunikationsdiensten klar zwischen der Produktion von Inhalten und deren Übertragung und Übermittlung unterscheidet4. So üben Unternehmen, die im Sektor der elektronischen Kommunikation tätig sind und eine Kontrolle über die Übertragung und Übermittlung von Inhalten ausüben, nicht zwangsläufig eine Kontrolle über die Produktion dieser Inhalte aus. Die fragliche Vorschrift verweist jedoch nicht auf die Verbindungen zwischen der Produktion und der Übertragung von Inhalten und ist auch nicht derart formuliert, dass sie speziell im Zusammenhang mit diesen Verbindungen Anwendung findet.

Der Gerichtshof führt weiter aus, dass die betreffende Vorschrift den Sektor der elektronischen Kommunikation zu eng definiert, da sie u. a. Märkte ausschließt, die eine wachsende Bedeutung für die Übertragung von Informationen haben, nämlich Mobilfunkleistungen an Endkunden oder andere, mit dem Internet zusammenhängende Dienstleistungen der elektronischen Kommunikation und Satellitenrundfunkdienste. Da diese jedoch zum Hauptzugangsweg zu den Medien geworden sind, ist es nicht gerechtfertigt, sie von dieser Definition auszunehmen.

Der Gerichtshof stellt außerdem fest, dass die Gleichsetzung der Situation einer „abhängigen Gesellschaft“ mit der einer „verbundenen Gesellschaft“ bei der Berechnung der von einem Unternehmen im Sektor der elektronischen Kommunikation oder im IKS erzielten Einnahmen nicht mit dem Ziel vereinbar zu sein scheint, das mit der in Rede stehenden Vorschrift verfolgt wird.

Der Gerichtshof gelangt zu dem Ergebnis, dass die italienische Vorschrift Schwellen festlegt, die zu dem für den Pluralismus der Medien bestehenden Risiko in keinem Zusammenhang stehen, da sich anhand dieser Schwellen nicht ermitteln lässt, ob und in welchem Umfang ein Unternehmen tatsächlich in der Lage ist, auf den Inhalt der Medien Einfluss zu nehmen.

Fußnoten

1 Der Mehrheitsaktionär der Fininvest SpA, Muttergesellschaft der Fininvest-Gruppe, ist Silvio Berlusconi (Rechtssache C-219/17, Silvio Berlusconi u. a./Banca d’Italia u. a., vgl. Pressemitteilungen Nrn. 93/18 und 205/18).

2 Nach dem italienischen Gesetz werden Gesellschaften als verbunden angesehen, wenn eine von ihnen über die anderen einen beträchtlichen Einfluss ausübt. Ein solcher Einfluss wird vermutet, wenn die Gesellschaft mindestens ein Fünftel oder, wenn sie in geregelten Märkten notierte Aktien hält, ein Zehntel der Stimmrechte ausüben kann.

3 Neben der Presse und den elektronischen Publikationen umfasst das IKS Radio und audiovisuelle Mediendienste, Kino, Außenwerbung, Öffentlichkeitsarbeit über Produkte und Dienstleistungen sowie Sponsoring.

4 Urteil des Gerichtshofs vom 13. Juni 2019 in der Rechtssache C-193/18.

Quelle: EuGH