Sozialversicherungsrecht - 9. August 2019

Höhere Altersrente? Voraussetzung ist Qualifikation in einem der Ausbildung entsprechenden Bereich – also nicht artfremd

SG Stuttgart, Mitteilung vom 02.08.2019 zum Urteil S 20 R 3855/15 vom 16.05.2019 (nrkr)

Zur Erfüllung des den Qualifikationsgruppen vorangestellten Grundsatzes für die Ausübung einer „entsprechenden“ Tätigkeit reicht es aus, dass der Betreffende in einem seiner Ausbildung entsprechenden Bereich – also nicht artfremd – tätig war und Aufgaben wahrgenommen hat, die im Wesentlichen seinem Ausbildungsniveau entsprochen haben (Urteil vom 16.05.2019, S 20 R 3855/15, noch nicht rechtskräftig).

Die Beteiligten stritten darüber, ob dem Kläger ab 01.09.2014 eine höhere Altersrente zusteht.

Der Kläger, der seine Erwerbsbiographie im Staatsgebiet der ehemaligen UdSSR zurücklegte, machte insbesondere geltend, er sei von der Beklagten fälschlich in der Zeit vom 10.12.1971 bis 15.06.1976 in die Qualifikationsgruppe 4 in den Bereich Post- und Fernmeldewesen eingestuft worden.

Die Beklagte wandte ein, der Qualifikationsgruppe 2 (Fachschulabsolventen) seien Personen zuzuordnen, die an einer Ingenieur- oder Fachschule in einer beliebigen Studienform oder extern den Fachschulabschluss entsprechend den geltenden Rechtsvorschriften erworben hätten und denen eine Berufsbezeichnung der Fachschulausbildung erteilt worden sei. Aufgrund des Fachschulabschlusses sei der Kläger zwar grundsätzlich in die Qualifikationsgruppe 2 einzustufen. Ausweislich des vorliegenden russischen Arbeitsbuches sei der Kläger in den streitigen Zeiträumen jedoch als Monteur bzw. Elektromechaniker beschäftigt gewesen. Nach seinen eigenen Angaben habe er im Rahmen dieser Tätigkeit Fernsprechstationen/Rechenmaschinen gewartet und repariert. Hierbei handele es sich um Tätigkeiten, die üblicherweise von Facharbeitern (nämlich gelernten Elektromechanikern) entsprechend der Qualifikationsgruppe 4 verrichtet würden. Im Übrigen würden auch in die Qualifikationsgruppe 4 Facharbeiter mit Vorgesetztenfunktion eingestuft werden.

Das Gericht gab der Klage teilweise statt. Der Kläger erfülle die Formalkriterien für die Einstufung in die Qualifikationsgruppe 2 – Fachschulabsolventen -, was zwischen den Beteiligten auch nicht streitig sei. Nach Ziffer 1 der Definition der Qualifikationsgruppe 2 gehörten hierzu Personen, die an einer Ingenieur- oder Fachschule in einer beliebigen Studienform oder extern den Fachschulabschluss entsprechend den geltenden Rechtsvorschriften erworben hätten und denen eine Berufsbezeichnung der Fachschulbildung erteilt worden sei. Der Kläger habe am 20.06.1969 von der Polytechnischen Fachschule Taschkent das Diplom „Elektrotechniker für leistungsgebundene Nachrichtentechnik und Rundfunk“ erhalten und verfüge damit über einen Fachschulabschluss. Entgegen der Auffassung der Beklagten scheitere die Einstufung in die Qualifikationsgruppe 2 nicht daran, dass der Kläger in den streitbefangenen Zeiträumen nicht eine seiner Fachschulqualifikation entsprechende Tätigkeit ausgeübt habe. Darauf, ob die erlangte Qualifikation für die ausgeübte Tätigkeit zwingend erforderlich sei, könne allein nicht abgestellt werden. Nach Auffassung der Kammer reiche es zur Erfüllung des den Qualifikationsgruppen vorangestellten Grundsatzes für die Ausübung einer „entsprechenden“ Tätigkeit aus, dass der Betreffende in einem seiner Ausbildung entsprechenden Bereich – also nicht artfremd – tätig gewesen sei und Aufgaben wahrgenommen habe, die im Wesentlichen seinem Ausbildungsniveau entsprochen haben. Jede engere Auslegung würde zum einen die erworbene Berufsqualifikation als eigentliche Grundlage der Qualifikationsgruppeneinstufung konterkarieren und zum anderen auch der Regelvermutung nicht gerecht, dass bei bestimmtem Ausbildungsabschluss die sodann ausgeübte Tätigkeit dieser Ausbildung auch weitgehend entspreche. Das sei erst dann nicht mehr der Fall, wenn ein augenscheinliches Missverhältnis zwischen erworbener Qualifikation und ausgeübter Tätigkeit bestehe. Ein solches sei vorliegend nicht festzustellen. Nach dem vorgelegten Arbeitsbuch sei der Kläger in der Zeit vom 10.12.1971 bis zum 15.06.1976 als Monteur der Lohngruppe 5 in der Zentrale für Post- und Fernmeldewesen sowie in der Umsetzung als Elektromechaniker tätig gewesen. Zu seinen Aufgaben habe die Bedienung, Wartung und Reparatur der Fernsprechstationen gehört. Ob – wie vom Kläger vorgetragen – für diese Tätigkeit tatsächlich die Fachschulbildung im Bereich elektrisches Nachrichtenwesen und Radiofizierung Voraussetzung gewesen sei, könne dahinstehen. Zwar möge es sein, dass solche Arbeiten auch von Facharbeitern hätten erledigt werden können. Einem Gesellen mit einer über zweijährigen oder auch dreijährigen Berufsausbildung hätte dann allerdings die entsprechende Fachschulabschluss-Qualifikation gefehlt, mit der Folge, dass er nicht der Qualifikationsgruppe 2 zugeordnet werden könne, wie sie demjenigen mit der Qualifikation eines Technikers mit entsprechender Fachschulausbildung zukomme.