Sozialversicherungsrecht - 15. August 2019

Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung

SG Gießen, Pressemitteilung vom 15.08.2019 zum Beschluss S 18 SO 56/19 ER vom 04.07.2019 (rkr)

Das Konzept des Wetteraukreises zur Ermittlung der angemessenen Unterkunftskosten nach § 35 Abs. 1 SGB XII ist auch für den Zeitraum ab 01.01.2018 schlüssig im Sinne der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts. Im Rahmen der abstrakten Angemessenheit wird der Bedarf von Leistungsberechtigten ohne persönliche Besonderheiten anhand abstrakter wohnungsmarktbezogener Kriterien ermittelt. Personenbezogene Umstände des Einzelfalls sind demgegenüber bei der konkreten Angemessenheit zu berücksichtigen.

Der Sachverhalt

Der 1932 geborene Antragsteller und seine mit ihm in einer Bedarfsgemeinschaft lebende 1937 geborene Ehefrau wohnen seit 15.10.1974 in Karben. Die Wohnfläche der Mietwohnung beträgt 102 qm, die Nettomiete 818,16 Euro. Der Antragsgegner gewährte dem Antragsteller antragsgemäß bis zum 30.06.2018 Leistungen nach dem SGB XII unter Zugrundelegung der tatsächlichen Kosten der Unterkunft. Mit Bescheiden vom 15.06.2018 und 03.09.2018 übernahm der Antragsgegner ab 01.07.2018 lediglich 420 Euro Kaltmiete, nachdem er bereits im Dezember 2017 darauf hingewiesen hatte, dass sich die angemessenen Kosten der Unterkunft bei zwei Personen im Wetteraukreis in Karben ab 01.01.2018 auf monatlich 420 Euro Nettomiete zuzüglich angemessener Betriebs- und Heizkosten beliefen. Gegen diese Absenkung richtet sich der Eilantrag vom 21.06.2019, mit dem der Antragsteller die Berücksichtigung der vollen Nettomiete begehrt.

Die Entscheidung

Der Eilantrag hatte teilweisen Erfolg. Das Gericht wies zunächst darauf hin, dass den Feststellungen des Grundsicherungsträgers nach ständiger Rechtsprechung des BSG ein schlüssiges Konzept zu Grunde liegen muss, um die Nachvollziehbarkeit und Überprüfbarkeit des Ergebnisses zu ermöglichen. Das Konzept des Antragsgegners entspreche diesen Vorgaben. Die Anpassung nach Evaluation zum 01.01.2018 auf der Basis des Konzepts vom 01.01.2014 sei rechtlich nicht zu beanstanden.

Die Wohnraumgröße von der im vorliegenden Fall auszugehen sei, betrage nach dem schlüssigen Konzept, das der Antragsgegner zutreffend herangezogen habe, für zwei Haushaltsmitglieder grundsätzlich 60 qm. An dieser Regelung sei für die Bestimmung der Angemessenheitsgrenze nach § 35 Abs. 1 SGB XII anzuknüpfen. Die abstrakt angemessene Wohnraumgröße sei nicht zu erhöhen, weil persönliche Lebensumstände des Leistungsberechtigten nicht zu einer Veränderung bei der Bestimmung der abstrakt angemessenen Vergleichsmiete führen könnten. Jedoch seien bei der konkreten Angemessenheit der Kostensenkungsobliegenheit im Rahmen der subjektiven Zumutbarkeit solche persönlichen Lebensumstände zu berücksichtigen. Darauf, dass insbesondere die Situation älterer Menschen einen Anknüpfungspunkt für die Feststellung der Unzumutbarkeit von Kostensenkungsmaßnahmen darstellen könne, wies das Gericht besonders hin. In der Konsequenz sei bei Vorliegen bestimmter Besonderheiten in der Person des Leistungsberechtigten das soziale Umfeld im stärkeren Maße geschützt bis hin zum Anspruch auf Verbleib in der bisher innegehabten und abstrakt zu teuren Wohnung als bei einem Leistungsberechtigten ohne persönliche Besonderheiten. Die abstrakten Parameter würden nur im Rahmen der konkreten Angemessenheitsprüfung unter Berücksichtigung des Einzelfalls, also der relevanten persönlichen Besonderheiten modifiziert. Vor diesem Hintergrund folge aus der in § 35 Abs. 2 Satz 1 SGB XII vorgesehenen Möglichkeit einer Bezugnahme auf die Besonderheit des Einzelfalles für Personen mit persönlichen Besonderheiten eine abweichende Regelung zu treffen. Das Gericht hielt daher die Mietobergrenze für eine Wohnung, die von fünf Personen bewohnt werde im Vergleichsraum Karben für angemessen und ausreichend. Hieraus ergebe sich eine monatliche Differenz von 200,10 Euro zugunsten des Antragstellers.