Sozialversicherungsrecht - 5. August 2019

Grundsicherung für Arbeitsuchende: Ehegatten sind als dauernd getrennt lebend anzusehen, wenn sie nicht nur vorübergehend keinen gemeinsamen Haushalt führen

SG Stuttgart, Mitteilung vom 02.08.2019 zum Urteil S 8 AS 3575/18 vom 04.12.2018 (rkr)

Bei Ehepartnern, die nicht in einer Haushaltsgemeinschaft zusammenleben, ist der Regelbedarf für Alleinstehende und nicht der Regelbedarf für Partner bei der Gewährung von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes nach dem SGB II zu berücksichtigen. Ehegatten sind als dauernd getrennt lebend im Sinne des § 7 Abs. 3 Nr. 3 a) SGB II bereits anzusehen, wenn sie nicht nur vorübergehend keinen gemeinsamen Haushalt führen. Ein Trennungswille ist hierfür nicht erforderlich (Urteil vom 04.12.2018, S 8 AS 3575/18, bestandskräftig, Berufung wurde vom Beklagten zurückgenommen).

Im zugrundeliegenden Fall lebte die seit 2016 verheiratete Klägerin aus verschiedenen nachvollziehbaren Gründen noch nicht mit ihrem Ehepartner, welcher aufstockend Leistungen nach dem SGB XII bezog, zusammen. Das beklagte Jobcenter bewilligte der Klägerin Leistungen nach dem SGB II unter Berücksichtigung des Regelbedarfes für Partner mit der Begründung, dass es für das Bestehen einer Bedarfsgemeinschaft unter Ehegatten darauf ankomme, dass entweder eine häusliche Gemeinschaft bestehe oder falls keine häusliche Gemeinschaft bestehe, dies nicht auf dem Trennungswillen eines der Ehegatten beruhe. Mangels Vorliegens eines Trennungswillens sei von einer Bedarfsgemeinschaft auszugehen.

Die Kammer hat der Klage auf Gewährung des Regelbedarfes für Alleinstehende stattgegeben. Nach Auffassung der Kammer sind – entgegen der Entscheidung des Bundessozialgerichts (BSG) vom 18. Februar 2010 (Az. B 4 AS 49/09 R) – bei der Auslegung des Begriffs des „nicht dauernd getrenntlebenden Ehegatten“ im Sinne des § 7 Abs. 3 Nr. 3 a) SGB II die Grundsätze, die zum familienrechtlichen Begriff des „Getrenntlebens“ (vgl. § 1567 Abs. I 1 BGB) entwickelt worden sind, nicht heranzuziehen. Aus dem gesetzgeberischen Konzept zur Gestaltung des Anspruchs auf Gewährleistung des Existenzminimums folge, dass das Vorliegen einer Bedarfsgemeinschaft, sofern hieran – wie in § 20 IV SGB II – leistungsrechtliche Konsequenzen geknüpft werden, stets das Bestehen einer Haushaltsgemeinschaft voraussetze. Die Berücksichtigung von nicht haushaltsangehörigen Personen bei der Festlegung des maßgeblichen Regelbedarfs der Leistungsberechtigten, wäre verfassungswidrig (so auch SG Mainz, Urteil v. 26. März 2013 – S 17 AS 1159/12). Dies schlage sich im Sozialhilferecht in der Regelung der § 20 Abs. 4 SGB II entsprechenden Regelbedarfsstufe 2 nach der Anlage zu § 28 SGB XII nieder, wonach das Bestehen einer Haushaltsgemeinschaft Mindestvoraussetzung für die Anwendung der für Partner vorgesehenen Regelbedarfsstufe 2 ist. Die Fingierung einer Haushaltsgemeinschaft verstoße zudem gegen den Gleichheitsgrundsatz des Art. 3 Abs. 1 GG, da hierin zum einen eine Ungleichbehandlung gegenüber eheähnlichen und lebenspartnerschaftsähnlichen Gemeinschaften im Sinne des § 7 Abs. 3 Nr. 3 c) SGB II zu Lasten der Ehegatten (und Lebenspartner) und zum anderen gegenüber nach dem SGB XII leistungsberechtigten Verheirateten und Lebenspartnern liege.