AG Bad Iburg, Pressemitteilung vom 20.11.2020 zum Urteil 4 C 648/19 (rkr)
Autofahrer müssen bei achtjährigem Kind damit rechnen, dass es schon vor Erreichen des Zebrastreifens mit seinem Fahrrad auf die Straße fährt
Kommt es im unmittelbaren Bereich eines Zebrastreifens zu einer Kollision zwischen einem Auto und einem fahrradfahrenden Kind, so haftet die Autofahrerin oder der Autofahrer auch dann zu 100 %, wenn das Kind schon vor Erreichen des Zebrastreifens in einem Bogen vom Gehweg auf die Straße fährt, um diese zu überqueren.
Gemäß § 3 Abs. 2a der Straßenverkehrsordnung (StVO) muss sich ein Autofahrer gegenüber Kindern insbesondere durch Verminderung seiner Fahrgeschwindigkeit und durch Bremsbereitschaft so verhalten, dass deren Gefährdung ausgeschlossen ist.
Was war passiert?
Die Klägerin befuhr mit ihrem Auto eine Hauptverkehrsstraße in Dissen. In entgegengesetzter Fahrtrichtung kam ihr der achtjährige Sohn der Beklagten mit dem Fahrrad entgegen. Er war alleine auf dem Gehweg unterwegs. In unmittelbarer Nähe eines Zebrastreifens fuhr das Kind auf die Straße, um sie zu überqueren. Dabei stieß es mit dem Fahrzeug der Klägerin zusammen. An dem Auto entstand Sachschaden.
Diesen Schaden verlangte die Klägerin von der Mutter des Kindes ersetzt. Sie ist der Ansicht, die Mutter habe ihre Aufsichtspflicht verletzt, indem sie ihren Sohn an der Hauptverkehrsstraße habe alleine mit dem Fahrrad fahren lassen.
Wie hat das Amtsgericht Bad Iburg entschieden?
Das Amtsgericht Bad Iburg hat die Klage abgewiesen (Az. 4 C 648/19). Dabei hat es das Amtsgericht offengelassen, ob die Mutter des Kindes ihre Aufsichtspflicht verletzt hat: Der Verursachungsbeitrag der Autofahrerin (Klägerin) überwiege so stark, dass daneben für eine Haftung der Mutter kein Raum sei.
Die Klägerin habe ihre Pflichten aus § 3 Abs. 2a StVO nicht erfüllt. Sie habe sich nicht so verhalten, dass eine Gefährdung des Kindes ausgeschlossen war. Der Unfall habe sich in unmittelbarem räumlichen Zusammenhang mit einem Zebrastreifen ereignet, der 8-Jährige sei im Begriff gewesen, die Straße im Bereich des Zebrastreifens zu überqueren. Dass er hierzu – wie die Klägerin vorgetragen hat – schon 2,5-3 m vor dem Zebrastreifen ansetzte, sei unerheblich. Gerade bei Kindern sei nicht unüblich, dass sie in einem Bogen (und nicht in einem 90 Grad-Winkel) auf den Zebrastreifen auffahren.
Im Übrigen sei es für die Klägerin erkennbar gewesen, dass es sich bei dem Sohn der Beklagten um ein jüngeres Kind handelte. Bei einem solchen muss der Autofahrer Unsicherheiten mit einkalkulieren. Wegen des Zebrastreifens wäre die Klägerin verpflichtet gewesen, äußerst langsam mit ständiger Bremsbereitschaft an dem sich aus der Gegenrichtung nähernden Kind vorbei zu fahren.
Das Urteil ist rechtskräftig. Das Landgericht Osnabrück hat die Berufung der Klägerin zurückgewiesen (Az. 6 S 150/20). Nach Ansicht des Landgerichts Osnabrück scheidet ein Schadensersatzanspruch gegen die Mutter des Kindes bereits deshalb aus, weil diese ihre Aufsichtspflicht nicht verletzt habe. Ein achtjähriges Kind, das sein Fahrrad im Allgemeinen hinreichend sicher beherrsche, über Verkehrsregeln eindringlich unterrichtet worden sei und sich über eine gewisse Zeit im Verkehr bewährt habe, dürfe auch ohne eine Überwachung durch die aufsichtspflichtigen Eltern mit dem Fahrrad am Straßenverkehr teilnehmen, beispielsweise um zur Schule zu fahren oder einen sonst bekannten, geläufigen Weg zurückzulegen.
Hinweis zur Rechtslage
§ 3 StVO – Geschwindigkeit
(1) – (2) …
(2a) Wer ein Fahrzeug führt, muss sich gegenüber Kindern, hilfsbedürftigen und älteren Menschen, insbesondere durch Verminderung der Fahrgeschwindigkeit und durch Bremsbereitschaft, so verhalten, dass eine Gefährdung dieser Verkehrsteilnehmer ausgeschlossen ist.
Quelle: AG Bad Iburg