BRAK, Mitteilung vom 07.11.2024 zum Beschluss XII ZR 116/23 des BGH vom 18.09.2024
Verweist das Familiengericht fälschlicherweise ans Zivilgericht, so ist in nächster Instanz das OLG mit dem zivilrechtlichen Prozessrecht zuständig.
Der BGH hat seine frühere Rechtsprechung zur funktionellen Zuständigkeit der Gerichte bei einer falschen Verweisung zwischen den Familien- und den Zivilgerichten geändert: Verweist das Familiengericht in einer sonstigen Familiensache fälschlicherweise an das Landgericht, so ist die nächste Instanz der Zivilsenat des OLG. Für das Prozessrecht gelte: Zumindest in einem Fall wie diesem, in dem das LG nicht selbst fälschlicherweise die eigene Zuständigkeit angenommen hat, sondern ihm das Verfahren durch bindenden Beschluss zugewiesen wurde, müssten sowohl LG als auch OLG die zivilrechtliche Prozessordnung anwenden. Spiegelbildlich gelte – zumindest in Familiensachen – in dem umgekehrten Fall einer fehlerhaften Verweisung von den Zivil- an die Familiengerichte dann der familienrechtliche Instanzenzug mit der familienrechtlichen Prozessordnung (Beschluss vom 18.09.2024, Az. XII ZR 116/23).
In der Sache ging es um die Aufteilung von Immobilien im Rahmen einer Scheidung. Das zunächst angerufene Familiengericht verwies die Sache an das LG, weil es darin eine zivilrechtliche Rechtssache sah. Diese Entscheidung sei zwar falsch gewesen, wie u. a. später auch der BGH feststellte. Dennoch war sie bindend gem. § 17a Abs. 2 Satz 3 und Abs. 6 GVG. Das LG entschied zunächst zugunsten des Mannes. Das später angerufene OLG erkannte der Frau zusätzlich einige Ansprüche zu, ließ aber die Revision nicht zu. Der Mann legte dagegen Nichtzulassungsbeschwerde beim BGH ein – in der Sache ohne Erfolg. Interessant aber ist die Begründung des BGH, warum er dieses Rechtsmittel, welches aus der zivilrechtlichen Prozessordnung stammt und im Familienrecht nicht vorgesehen ist, als zulässig erachtete.
Welche Rechtsmittelinstanz ist bei falscher Verweisung zuständig?
Tatsächlich sah der BGH in dem Fall zwar eine „sonstige Familiensache“ im Sinne von § 266 Abs. 1 Nr. 3 FamFG, für die eigentlich der familienrechtliche Instanzenzug einschlägig gewesen wäre. In dessen Prozessordnung ist das Rechtsmittel der Nichtzulassungsbeschwerde regelmäßig nicht vorgesehen, wenn die Vorinstanz es nicht zugelassen hat (§ 70 Abs. 1 FamFG). Dennoch sei die Nichtzulassungsbeschwerde hier ausnahmsweise nach § 544 ZPO statthaft – aus mehreren Gründen:
Zunächst entschied der BGH – in Abkehr von seiner bisherigen ständigen Rechtsprechung – dass der Senat für allgemeine Zivilsachen des OLG nach dem Grundsatz der formellen Anknüpfung zur Entscheidung über das Rechtsmittel (§ 119 Abs. 1 GVG) gegen die Entscheidung des LG zuständig gewesen sei.
Das hatte er früher noch anders gesehen: Danach wäre in dieser Sache der OLG-Familiensenat zuständig gewesen, weil der Verfahrensgegenstand inhaltlich eine Familiensache betraf (sog. materielle Anknüpfung). Diese Rechtsprechung sei angesichts einer Reform des Zivilprozesses vom 27. Juli 2001 allerdings überholt. Nach dem geltenden Recht könne nunmehr – anders als früher – weder eine Berufung nach § 513 Abs. 2 ZPO noch eine Beschwerde nach § 65 Abs. 4 FamFG darauf gestützt werden, dass sich das erstinstanzliche Gericht zu Unrecht für zuständig gehalten hat. Im Zuge der Änderung der Gesetzgebung sei nun sowohl im Zivil- als auch im Familienrecht immer die nächsthöhere Instanz aus dem Rechtszug der Vorinstanz zuständig.
Welches Verfahrensrecht ist anzuwenden?
Eine davon zu unterscheidende Frage sei es, welches Verfahrensrecht das OLG seinem Verfahren zugrunde zu legen habe.
Grundsätzlich gelte hier folgendes: Das Rechtsmittelgericht sei nicht verpflichtet, die einmal fehlerhaft gewählte Verfahrensordnung weiterhin anzuwenden. Der Grundsatz der formellen Anknüpfung setze sich insoweit bei der Anwendung des Verfahrensrechts nicht fort. Das Gericht müsse sogar in der nächsten Instanz die „richtige“ Verfahrensordnung anwenden, wenn die erste Instanz fehlerhaft die eigene Zuständigkeit angenommen habe. Andernfalls würde der Rechtsirrtum der ersten Instanz aufrechterhalten werden.
Davon gelte jedoch eine Ausnahme, wenn – wie hier – der Grund für die fehlerhafte Zuständigkeit eine falsche, jedoch bindende Verweisung eines anderen Gerichts gewesen sei. In diesen Fällen dürften die daraufhin angerufenen Gerichte nur die jeweils eigene Prozessordnung anwenden. Dadurch solle ein etwaiger Rechtswegstreit der Parteien in einem möglichst frühen Verfahrensstadium beendet werden. Schließlich würde die streitbeendende Funktion des bindenden Verweisungsbeschlusses letztlich wieder in Frage gestellt werden, wenn die Parteien später über die richtige Prozessordnung streiten könnten.
Diese Bindungswirkung treffe zwar direkt nur das erstinstanzliche Gericht. Es sei jedoch nur konsequent, wenn sie sich auch auf die nächste Instanz ersteckte. Je nach Fallgestaltung kann dies dazu führen, dass den Parteien ein Rechtsmittel genommen oder gegeben wird – dies sei aber hinzunehmen, weil Art. 19 Abs. 4 GG keinen bestimmten Rechtsweg garantiert.
Quelle: Bundesrechtsanwaltskammer