EU-Recht - 9. Juli 2020

EuGH zur Frage, ob eine nicht ausgehandelte Vertragsklausel unter das Unionsrecht zu missbräuchlichen Klauseln in Verbraucherverträgen fällt

EuGH, Pressemitteilung vom 09.07.2020 zum Urteil C-81/19 vom 09.07.2020

Eine Vertragsklausel, die nicht ausgehandelt wurde, sondern auf einer Regelung beruht, die nach nationalem Recht zwischen den Parteien gilt, wenn insoweit nichts anderes vereinbart wurde, fällt nicht unter das Unionsrecht zu missbräuchlichen Klauseln in Verbraucherverträgen.

Im Jahr 2006 schlossen NG und OH einen Kreditvertrag mit der Banca Transilvania, mit dem diese ihnen einen Betrag von 90.000 rumänischen Lei (RON) (ca. 18.930 Euro) lieh. Im Jahr 2008 schlossen sie zur Refinanzierung des ursprünglichen Vertrags einen weiteren Darlehensvertrag, der auf Schweizer Franken lautete.

Die starke Abwertung des rumänischen Leu führte in den folgenden Jahren fast zu einer Verdoppelung des zurückzuzahlenden Betrags.

Am 23. März 2017 klagten NG und OH beim Tribunalul Specializat Cluj (Fachgericht Cluj, Rumänien) und beantragten festzustellen, dass ein Teil des Refinanzierungsvertrags missbräuchlich sei, der vorsah, dass alle Zahlungen aufgrund dieses Vertrags in der Währung zu erfolgen hatten, auf die das Darlehen lautete, und dass die Darlehensnehmer die Bank um Umwandlung des Darlehens in eine andere Währung ersuchen konnten, wobei diese nicht verpflichtet war, einem solchen Ersuchen nachzukommen. Des Weiteren wurde die Bank durch den Darlehensnehmer beauftragt, die Begleichung der fälligen Zahlungsverpflichtungen unter Verwendung ihres eigenen Wechselkurses vorzunehmen.

NG und OH trugen ebenfalls vor, die Banca Transilvania habe ihre Informationspflicht verletzt, indem sie sie bei Aushandlung und Abschluss des Vertrags nicht vor dem Risiko gewarnt habe, das mit der Umwandlung des ursprünglichen Vertrags in eine ausländische Währung verbunden war. Außerdem schaffe die Klausel über die Rückzahlung in Fremdwährung ein Ungleichgewicht zu ihrem Nachteil, da sie das Wechselkursrisiko allein trügen.

Unter diesen Umständen fragt die Curtea de Apel Cluj (Berufungsgericht Cluj) den Gerichtshof erstens, ob die Richtlinie über missbräuchliche Klauseln in Verbraucherverträgen1 auf eine Vertragsklausel anwendbar ist, die nicht im Einzelnen ausgehandelt wurde, sondern auf einer Regelung beruht, die nach nationalem Recht zwischen den Vertragsparteien gilt, wenn insoweit nichts anderes vereinbart wurde. Zweitens fragt dieses Gericht den Gerichtshof, welche Konsequenzen ein nationales Gericht gegebenenfalls aus der Feststellung der Missbräuchlichkeit einer Klausel zum Wechselkursrisiko ziehen soll.

Mit seinem Urteil vom 09.07.2020 weist der Gerichtshof zunächst darauf hin, dass diese Richtlinie nicht anwendbar ist, wenn zwei Voraussetzungen vorliegen: zum einen muss die Vertragsklausel auf einer Rechtsvorschrift beruhen, und zum anderen muss diese Rechtsvorschrift bindend sein. Dieser Ausschluss ist dadurch gerechtfertigt, dass grundsätzlich angenommen werden darf, dass der nationale Gesetzgeber eine ausgewogene Regelung aller Rechte und Pflichten der Parteien bestimmter Verträge getroffen hat.

Der Gerichtshof weist darauf hin, dass das nationale Gericht zur Feststellung, ob die Voraussetzungen für den Ausschluss erfüllt sind, zu prüfen hat, ob die fragliche Vertragsklausel auf unabdingbaren Bestimmungen des nationalen Rechts beruht, die zwischen den Vertragsparteien unabhängig von ihrer Wahl gelten, oder auf abdingbaren Bestimmungen, die in Ermangelung einer insoweit anderen Vereinbarung zwischen den Parteien von Gesetzes wegen gelten.

In Bezug auf die erste Voraussetzung fällt die von den Klägerinnen des Ausgangsverfahrens als missbräuchlich bezeichnete Klausel der Allgemeinen Bedingungen, da sie dem vorlegenden Gericht zufolge auf einer abdingbaren Vorschrift des nationalen Rechts beruht, unter den in der Richtlinie vorgesehenen Ausschluss.

Bezüglich der zweiten Voraussetzung weist der Gerichtshof darauf hin, dass der Begriff „bindende Rechtsvorschriften“ auch abdingbare Regeln umfasst, die nach dem nationalen Recht zwischen den Vertragsparteien gelten, wenn nichts anderes vereinbart wurde. In dieser Hinsicht unterscheidet diese Bestimmung nicht zwischen Vorschriften, die unabhängig von der Wahl der Vertragsparteien gelten, und abdingbaren Vorschriften.

Insoweit ist zum einen der Umstand, dass von einer Vorschrift des nationalen Rechts abgewichen werden kann, unerheblich für die Prüfung der Frage, ob eine Vertragsklausel, die auf einer solchen Vorschrift beruht, ausgeschlossen ist. Zum anderen hat der Umstand, dass eine Vertragsklausel, die auf einer der in der fraglichen Richtlinie genannten Vorschriften beruht, nicht im Einzelnen ausgehandelt wurde, keinen Einfluss auf ihren Ausschluss vom Anwendungsbereich dieser Richtlinie.

Der Gerichtshof stellt fest, dass die Richtlinie über missbräuchliche Klauseln in Verbraucherverträgen nicht auf eine Vertragsklausel anwendbar ist, die nicht im Einzelnen ausgehandelt wurde, sondern auf einer Regelung beruht, die nach nationalem Recht zwischen den Vertragsparteien gilt, wenn insoweit nichts anderes vereinbart wurde.

Fußnote

1 Richtlinie 93/13/EWG des Rates vom 5. April 1993 über missbräuchliche Klauseln in Verbraucherverträgen (ABl. 1993, L 95, S. 29).