EU-Recht - 1. Oktober 2020

EuGH zum Online-Verkauf nicht verschreibungspflichtiger Arzneimittel

EuGH, Pressemitteilung vom 01.10.2020 zum Urteil C-649/18 vom 01.10.2020

Ein Mitgliedstaat, für den eine Dienstleistung des Online-Verkaufs nicht verschreibungspflichtiger Arzneimittel bestimmt ist, darf in einem anderen Mitgliedstaat niedergelassenen Apotheken, die solche Arzneimittel verkaufen, nicht verbieten, kostenpflichtige Links in Suchmaschinen oder Preisvergleichsportalen einzusetzen.

Unter bestimmten Voraussetzungen darf er aber die Werbung einschränken, Angebote für Arzneimittel verbieten und verlangen, dass in den Vorgang der Online-Bestellung von Arzneimitteln einen Anamnesefragebogen aufgenommen wird.

In einem Rechtsstreit stehen sich A, eine Gesellschaft niederländischen Rechts, die in den Niederlanden eine Apotheke betreibt und Inhaberin einer speziell auf die französische Kundschaft ausgerichteten Website ist, und Daniel B, UD, AFP, B und L, Inhaber von Apotheken bzw. Berufsverbände, die die Interessen der in Frankreich niedergelassenen Apotheker vertreten, gegenüber. Es geht in dem Rechtsstreit um die Werbung, die A bei den französischen Kunden mit einer groß angelegten multimedialen Kampagne für ihre Website macht, über die nicht verschreibungspflichtige Arzneimittel vertrieben werden, für die in Frankreich eine Genehmigung für das Inverkehrbringen gilt.

Im Rahmen der Werbekampagne wurden Paketen, die von anderen im Fernabsatzverkehr tätigen Unternehmen versandt wurden, Werbeprospekte beigelegt (sogenannte „Huckepack-Werbung“), Werbebriefe versandt, auf der besagten Website Angebote veröffentlicht, nach denen ab einem bestimmten Bestellwert ein Rabatt auf den Gesamtpreis der bestellten Arzneimittel gewährt wurde, und kostenpflichtige Links in Suchmaschinen gekauft.

Daniel B u. a. erhoben beim Tribunal de commerce de Paris (Handelsgericht Paris, Frankreich) Klage. Sie begehren u. a. den Ersatz des Schadens, der ihnen durch den unlauteren Wettbewerb von A entstanden sei. Diese Gesellschaft habe durch die Nichtbeachtung der für die Werbung und den Online-Verkauf von Arzneimitteln geltenden französischen Rechtsvorschriften zu Unrecht einen Vorteil erlangt. Das Tribunal de commerce de Paris (Handelsgericht Paris, Frankreich) entschied, dass A dadurch, dass sie außerhalb ihrer Apotheke über drei Millionen Werbeprospekte verteilt habe, gegenüber den französischen Kunden mit Mitteln Werbung getrieben habe, die dem Beruf des Apothekers unwürdig seien, und unlauter gehandelt habe.

Die Cour d‘appel de Paris (Berufungsgerichtshof Paris, Frankreich), bei der der Rechtsstreit inzwischen anhängig ist, hat dem Gerichtshof Fragen zur Vorabentscheidung vorgelegt. Sie möchte wissen, ob es nach der Humanarzneimittelrichtlinie1 und der Richtlinie über den elektronischen Geschäftsverkehr2 zulässig ist, dass ein Mitgliedstaat in einem anderen Mitgliedstaat niedergelassene Apotheken in seinem Hoheitsgebiet speziellen Regelungen unterwirft, mit denen ihnen verboten wird, mit berufsunwürdigen Maßnahmen und Mitteln Werbung zu treiben und Patienten zu einem Fehl- oder Mehrgebrauch von Arzneimitteln zu verleiten, und mit denen sie verpflichtet werden, Leitlinien für die Abgabe von Arzneimitteln zu beachten, mit denen die Aufnahme eines Anamnesefragebogens in den Vorgang der elektronischen Bestellung von Arzneimitteln vorgeschrieben und der Einsatz kostenpflichtiger Links verboten wird.

In dem Urteil, das am 01.10.2020 ergangen ist, stellt der Gerichtshof zunächst fest, dass eine Dienstleistung des Online-Verkaufs von Arzneimitteln wie die im Ausgangsverfahren in Rede stehende einen Dienst der Informationsgesellschaft im Sinne der Richtlinie über den elektronischen Geschäftsverkehr darstellen kann.

Ferner stellt er fest, dass eine Werbetätigkeit wie die von A ausgeübte unabhängig davon, ob sie mittels eines physischen oder eines elektronischen Trägers erfolgt, ein untrennbarer akzessorischer Bestandteil der Dienstleistung des Online-Verkaufs ist. Nach der Richtlinie über den elektronischen Geschäftsverkehr darf der Mitgliedstaat, für den eine Dienstleistung des Online-Verkaufs nicht verschreibungspflichtiger Arzneimittel bestimmt ist, bei dieser Tätigkeit den freien Verkehr von Diensten der Informationsgesellschaft aus einem anderen Mitgliedstaat daher grundsätzlich nicht einschränken, es sei denn, die Beschränkung ist durch bestimmte dem Allgemeininteresse dienende Ziele gerechtfertigt. Insoweit weist der Gerichtshof noch einmal darauf hin, dass die Beschränkung, die sich aus der Anwendung innerstaatlicher Rechtsvorschriften ergibt, nach denen jegliche Werbung von Angehörigen der Gesundheitsberufe für ihre Behandlungsleistungen allgemein und ausnahmslos verboten ist, über das hinausgeht, was zum Schutz der öffentlichen Gesundheit und der Würde eines reglementierten Berufs erforderlich ist. Das vorlegende Gericht wird daher zu prüfen haben, ob das Verbot, um das es im Ausgangsverfahren geht, nicht dazu führt, dass der betreffende Diensteanbieter daran gehindert wird, außerhalb seiner Apotheke überhaupt irgendwelche Werbung zu treiben, ganz gleich mit welchem Träger und in welchem Umfang. Wäre dies der Fall, ginge das Verbot über das hinaus, was erforderlich ist, um die Erreichung der verfolgten Ziele zu gewährleisten.

Zu dem Verbot von Angeboten, nach denen ab einem bestimmten Betrag ein Rabatt auf den Gesamtpreis der Arzneimittelbestellung gewährt wird, stellt der Gerichtshof fest, dass die Richtlinie über den elektronischen Geschäftsverkehr der Anwendung eines solchen Verbots durch den Bestimmungsmitgliedstaat, da mit dem Verbot ein Fehl- oder Mehrgebrauch von Arzneimitteln verhütet werden soll, grundsätzlich nicht entgegensteht. Der Gerichtshof weist jedoch darauf hin, dass ein solches Verbot hinreichend bestimmt sein muss und insbesondere nur für Arzneimittel, und nicht für lediglich apothekenübliche Waren gelten darf, was zu prüfen Sache des vorlegenden Gerichts ist.

Zu dem Punkt, dass vor der Bestätigung der ersten Bestellung, die ein Patient auf der Website einer Apotheke tätigt, ein Online-Anamnesefragebogen ausgefüllt werden muss, stellt der Gerichtshof fest, dass eine solche Maßnahme geeignet ist, auf Patienten, die online Arzneimittel kaufen wollen, abschreckend zu wirken. Der Gerichtshof weist jedoch darauf hin, dass er bereits entschieden hat, dass die Erhöhung der Zahl der interaktiven Elemente, die der Kunde vor einem möglichen Kauf im Internet verwenden muss, eine akzeptable Maßnahme darstellt, die den freien Warenverkehr weniger einschränkt als ein Verbot des Online-Verkaufs von Arzneimitteln. Er gelangt deshalb zu dem Schluss, dass die in Rede stehende französische Regelung nicht über das hinausgeht, was erforderlich ist, um die Erreichung des verfolgten Ziels der öffentlichen Gesundheit zu gewährleisten.

Zu dem für Apotheken, die nicht verschreibungspflichtige Arzneimittel verkaufen, geltenden Verbot, kostenpflichtige Links in Suchmaschinen oder Preisvergleichsportalen einzusetzen, stellt der Gerichtshof fest, dass ein solches Verbot geeignet ist, das Spektrum der Möglichkeiten, die eine Apotheke hat, um sich bei potenziellen Kunden mit Wohnsitz in einem anderen Mitgliedstaat bekannt zu machen und Werbung für die diesen Kunden angebotene Dienstleistung des Online-Verkaufs zu machen, einzuschränken. Es stellt mithin eine Beschränkung des freien Verkehrs von Diensten der Informationsgesellschaft dar. Der Gerichtshof stellt fest, dass die französische Regierung zwar behauptet hat, dass die Maßnahme durch das Ziel, eine ausgewogene Verteilung der Apotheken über das gesamte Staatsgebiet zu gewährleisten, gerechtfertigt sei, nicht aber den ihr obliegenden Nachweis erbracht hat, dass die Maßnahme geeignet wäre, die Erreichung eines solchen Ziels zu gewährleisten, und hierzu erforderlich wäre. Der Gerichtshof gelangt deshalb zu dem Schluss, dass der Mitgliedstaat, für den eine Dienstleistung des Online-Verkaufs nicht verschreibungspflichtiger Arzneimittel bestimmt ist, den Apotheken, die solche Arzneimittel verkaufen, nicht verbieten darf, kostenpflichtige Links in Suchmaschinen oder Preisvergleichsportalen einzusetzen. Ein solches Verbot wäre nur dann zulässig, wenn vor dem nationalen Gericht der Nachweis erbracht würde, dass die Regelung geeignet ist, die Erreichung eines Ziels des Schutzes der öffentlichen Gesundheit zu gewährleisten, und nicht über das hinausgeht, was hierzu erforderlich ist.

Fußnoten

1 Richtlinie 2001/83/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 6. November 2001 zur Schaffung eines Gemeinschaftskodexes für Humanarzneimittel (ABl. 2001, L 311, S. 67) in der durch die Richtlinie 2011/62/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 8. Juni 2011 (ABl. 2011, L 174, S. 74) geänderten Fassung.
2 Richtlinie 2000/31/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 8. Juni 2000 über bestimmte rechtliche Aspekte der Dienste der Informationsgesellschaft, insbesondere des elektronischen Geschäftsverkehrs, im Binnenmarkt („Richtlinie über den elektronischen Geschäftsverkehr“) (ABl. 2000, L 178, S. 1).

Quelle: EuGH