EU-Recht - 26. Oktober 2021

EuGH zum Abschluss einer Schiedsvereinbarung bei Investitionsstreitigkeiten

EuGH, Pressemitteilung vom 26.10.2021 zum Urteil C-109/20 vom 26.10.2021

Das Unionsrecht verbietet einem Mitgliedstaat, eine Schiedsvereinbarung abzuschließen, die den gleichen Inhalt hat wie eine in einem zwischen Mitgliedstaaten abgeschlossenen Investitionsabkommen enthaltene ungültige Schiedsklausel.

Das nationale Gericht ist daher verpflichtet, einen Schiedsspruch aufzuheben, der auf der Grundlage einer solchen Schiedsvereinbarung ergangen ist.

Im Jahr 2013 wurde PL Holdings, einer Gesellschaft luxemburgischen Rechts, das mit ihren Anteilen an einer polnischen Bank verbundene Stimmrecht entzogen und ihre Anteile wurden zwangsweise veräußert. Da PL Holdings mit der Entscheidung der Komisja Nadzoru Finansowego (Finanzaufsichtskommission, Polen) nicht einverstanden war, beschloss sie, die Einleitung eines Schiedsverfahrens gegen Polen zu beantragen. Hierfür stützte sie sich auf das im Jahr 1987 zwischen Belgien und Luxemburg einerseits und Polen andererseits geschlossene Investitionsabkommen1 und wandte sich an das in einer Schiedsklausel dieses Abkommens2 genannte Schiedsgericht.

Mit zwei Schiedssprüchen vom 28. Juni und 28. September 2017 erklärte das Schiedsgericht sich für zuständig, über die in Rede stehende Streitigkeit zu entscheiden, stellte fest, dass Polen gegen seine Verpflichtungen aus dem Investitionsabkommen verstoßen habe und verurteilte diesen Mitgliedstaat, Schadensersatz an PL Holdings zu zahlen.

Die beim Svea hovrätt (Berufungsgericht Svea mit Sitz in Stockholm, Schweden) von Polen erhobene Klage auf Aufhebung der Schiedssprüche wurde abgewiesen. Zwar sei die Schiedsklausel im Investitionsabkommen, wonach eine diesen Vertrag betreffende Streitigkeit von einer Schiedsstelle zu entscheiden ist, ungültig, doch hindere diese Ungültigkeit einen Mitgliedstaat und einen Investor eines anderen Mitgliedstaats nicht daran, später ad hoc eine Schiedsvereinbarung zur Beilegung dieser Streitigkeit abzuschließen.

Der mit einem gegen die Entscheidung des Berufungsgerichts befasste Högsta domstol (Oberster Gerichtshof, Schweden) hat beschlossen, sich an den Gerichtshof zu wenden, um zu klären, ob die Art. 267 und 344 AEUV dem entgegenstehen, dass die an der Streitigkeit beteiligten Parteien ad hoc eine Schiedsvereinbarung schließen, wenn diese Vereinbarung den gleichen Inhalt hat wie eine mit dem Unionsrecht unvereinbare Schiedsklausel in dem Investitionsabkommen.

Der Gerichtshof (Große Kammer) entwickelt seine aus dem Urteil Achmea3 hervorgegangene Rechtsprechung weiter und stellt fest, dass das Unionsrecht einem Mitgliedstaat den Abschluss einer solchen Schiedsvereinbarung verbietet.

Würdigung durch den Gerichtshof

Als Erstes stützt sich der Gerichtshof auf das Urteil Achmea und bestätigt, dass die Schiedsklausel im Investitionsabkommen, nach der ein Investor eines Mitgliedstaats bei Streitigkeiten über Investitionen in dem anderen am Investitionsabkommen beteiligten Mitgliedstaat gegen diesen vor einem Schiedsgericht, dessen Gerichtsbarkeit sich dieser Mitgliedstaat unterworfen hat, die Einleitung eines Schiedsverfahrens beantragen darf, gegen das Unionsrecht verstößt. Diese Schiedsklausel ist nämlich geeignet, nicht nur den Grundsatz des gegenseitigen Vertrauens zwischen den Mitgliedstaaten, sondern auch die Erhaltung des eigenen Charakters des Unionsrechts, die durch das in Art. 267 AEUV vorgesehene Vorabentscheidungsverfahren gewährleistet wird, in Frage zu stellen. Somit ist diese Klausel nicht mit dem Grundsatz der loyalen Zusammenarbeit im Sinne von Art. 4 Abs. 3 Unterabs. 1 EUV vereinbar und verstößt gegen die u. a. in Art. 344 AEUV verankerte Autonomie des Unionsrechts.

Als Zweites hätte es, erhielte ein Mitgliedstaat die Möglichkeit, eine Streitigkeit, die die Anwendung oder die Auslegung des Unionsrechts betreffen kann, bei einer Schiedsstelle, die dieselben Eigenschaften wie die in einer solchen wegen Verletzung des Unionsrechts ungültigen Schiedsklausel genannte hat, dadurch anhängig zu machen, dass er ad hoc eine mit dieser Klausel inhaltsgleiche Schiedsvereinbarung abschließt, in Wirklichkeit eine Umgehung der Verpflichtungen zur Folge, die sich für diesen Mitgliedstaat aus den Verträgen und insbesondere aus den vorgenannten Artikeln ergeben.

Zunächst einmal hätte eine solche ad hoc abgeschlossene Schiedsvereinbarung auf die Streitigkeit, in deren Rahmen sie abgeschlossen wurde, dieselben Auswirkungen wie die in Rede stehende Schiedsklausel. Der Grund für den Abschluss dieser Vereinbarung bestünde gerade darin, diese Schiedsklausel zu ersetzen, um deren Wirkungen trotz der Ungültigkeit dieser Klausel aufrechtzuerhalten.

Zudem würden die Folgen dieser Umgehung der Verpflichtungen des betreffenden Mitgliedstaats nicht dadurch weniger schwerwiegend, dass es sich um einen Einzelfall handelt. Tatsächlich könnte dieser rechtliche Ansatz in einer Vielzahl von möglicherweise die Anwendung und Auslegung von Unionsrecht betreffenden Streitigkeiten gewählt werden, so dass immer wieder gegen dessen Autonomie verstoßen würde.

Außerdem könnte jeder an einen Mitgliedstaat gerichtete Schiedsantrag, der auf eine ungültige Schiedsklausel gestützt wird, ein Angebot auf Durchführung eines Schiedsverfahrens enthalten und es könnte also allein deshalb angenommen werden, dass dieser Mitgliedstaat dieses Angebot angenommen habe, weil er keine spezifischen Argumente gegen das Vorliegen einer ad hoc abgeschlossenen Schiedsvereinbarung vorgetragen hat. Diese Situation hätte aber zur Folge, dass die Wirkungen der von diesem Mitgliedstaat unter Verstoß gegen das Unionsrecht eingegangenen und daher ungültigen Verpflichtung zur Anerkennung der Zuständigkeit der angerufenen Schiedsstelle aufrechterhalten würden.

Schließlich ergibt sich sowohl aus dem Urteil Achmea als auch aus den Grundsätzen des Vorrangs des Unionsrechts und der loyalen Zusammenarbeit nicht nur, dass die Mitgliedstaaten sich nicht verpflichten dürfen, dem Gerichtssystem der Union Streitigkeiten zu entziehen, die die Anwendung und Auslegung von Unionsrecht betreffen können, sondern auch, dass sie, sobald eine solche Streitigkeit aufgrund einer unionsrechtswidrigen Verpflichtung bei einer Schiedsstelle anhängig gemacht wird, verpflichtet sind, die Gültigkeit der Schiedsklausel oder der ad hoc abgeschlossenen Schiedsvereinbarung zu rügen, aufgrund deren diese Stelle angerufen wurde4.

Somit wäre jeder Versuch eines Mitgliedstaats, der Ungültigkeit einer Schiedsklausel durch einen mit einem Investor eines anderen Mitgliedstaats geschlossenen Vertrag abzuhelfen, nicht mit dieser Verpflichtung, die Gültigkeit der Schiedsklausel zu rügen, vereinbar und könnte daher zur Rechtswidrigkeit dieses Vertrages als solchem führen, weil er den wesentlichen Vorschriften und Grundsätzen der Unionsrechtsordnung widerspräche.

Der Gerichtshof kommt daher zu dem Ergebnis, dass das nationale Gericht verpflichtet ist, einen Schiedsspruch aufzuheben, der auf der Grundlage einer gegen das Unionsrecht verstoßenden Schiedsvereinbarung ergangen ist.

Fußnoten

1 Am 19. Mai 1987 unterzeichnetes Abkommen zwischen den Regierungen des Königreichs Belgien und des Großherzogtums Luxemburg einerseits und der Regierung der Volksrepublik Polen andererseits über die Förderung und den gegenseitigen Schutz von Investitionen.
2 Art. 9 des Investitionsabkommens.
3 Urteil vom 6. März 2018, Achmea, C-284/16 (siehe auch Pressemitteilung Nr. 26/18).
4 Dies wird im Übrigen auch durch Art. 7 Buchst. b des Übereinkommens zur Beendigung bilateraler Investitionsschutzverträge zwischen den Mitgliedstaaten der Europäischen Union (ABl. 2020, L 169, S. 1) bestätigt.

Quelle: EuGH