OLG Stuttgart, Pressemitteilung vom 15.04.2020 zum Urteil 10 U 455/19 vom 07.04.2020
Der 10. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Stuttgart unter dem Vorsitz von Hans-Joachim Rast hat mit verschiedenen Urteilen vom 07.04. und 14.04.2020 den Berufungen der Volkswagen AG jeweils stattgegeben und die Klagen von Autokäufern zurückgewiesen, mit denen diese jeweils Schadensersatz wegen vorsätzlicher sittenwidriger Schädigung aufgrund des Erwerbs eines von der Beklagten hergestellten Fahrzeugs verlangten.
Den genannten Entscheidungen lag zugrunde, dass die Kläger jeweils im Jahr 2012 und 2013 von Privatpersonen oder Händlern Fahrzeuge gekauft hatten, die mit einem von der Volkswagen AG hergestellten Dieselmotor vom Typ EA 189 (EU 5) ausgestattet waren. Für die Fahrzeugmodelle mit diesen Motoren, die vom sog. Abgasskandal betroffen sind, lag zum Zeitpunkt des Erwerbs der Fahrzeuge durch die jeweiligen Kläger eine EG-Typgenehmigung vor.
Mitte Oktober 2015 ordnete das Kraftfahrt-Bundesamt (KBA) gegenüber der beklagten Volkswagen AG den Rückruf von 2,4 Millionen betroffenen Fahrzeugen an und vertrat die Auffassung, dass es sich bei der in den Fahrzeugen verwendeten Software um eine unzulässige Abschalteinrichtung handelt. Es ordnete an, die entsprechende Software aus allen Fahrzeugen zu entfernen und geeignete Maßnahmen zur Wiederherstellung der Vorschriftsmäßigkeit zu ergreifen.
Mit verschiedenen im Jahr 2016 erteilten Bestätigungen hatte das KBA sämtliche betroffenen Fahrzeug- und Motorvarianten, darunter auch die streitgegenständlichen Fahrzeugtypen, unter der Auflage freigegeben, dass ein von der Beklagten entwickeltes Software-Update der Motorsteuerungsgerätesoftware installiert wird.
Die Kläger verlangten im Jahr 2019 jeweils Schadensersatz wegen sittenwidriger Schädigung gemäß § 826 BGB ohne Abzug von Nutzungsvorteilen Zug um Zug gegen Übergabe und Rückübereignung der Fahrzeuge sowie entsprechende Zinsen. Dem wurde erstinstanzlich von den jeweiligen Landgerichten überwiegend, allerdings u. a. unter Abzug von Nutzungsvorteilen bei der Bemessung des Schadensersatzanspruches, entsprochen, weshalb die Kläger ebenso wie die Beklagte, diese gegen ihre Verurteilung zu Schadensersatzzahlungen, jeweils Berufung einlegten.
Das OLG hat die erstinstanzlichen Entscheidungen jeweils abgeändert und die Klagen abgewiesen, da gegen die Schadensersatzansprüche erfolgreich die Einrede der Verjährung geltend gemacht werden könne.
Die Verjährungsfrist beträgt drei Jahre und beginnt gem. § 199 Abs. 1 Nr. 2 BGB mit dem Schluss des Jahres, in dem der Anspruch entstanden ist und der Gläubiger von den den Anspruch begründenden Umständen Kenntnis erlangt oder ohne grobe Fahrlässigkeit erlangen müsste. Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs liege die erforderliche Kenntnis im Allgemeinen vor, wenn dem Geschädigten die Erhebung einer Schadensersatzklage, sei es auch nur in Form der Feststellungsklage, erfolgversprechend, wenn auch nicht risikolos, möglich ist. Ausgehend von diesen Grundsätzen hätten nach Ansicht des Berufungsgerichts die Voraussetzungen für eine Klageerhebung bereits im Jahr 2015 vorgelegen und dem Verjährungsbeginn habe seinerzeit nicht die fehlende Zumutbarkeit einer Klageerhebung entgegengestanden. Vielmehr sei ein Verfahren zur Klärung einer entscheidungserheblichen -und von der obergerichtlichen Rechtsprechung seinerzeit noch nicht entschiedenen- Rechtsfrage stets zumutbar. Zuwarten allein lasse keine Klärung der Rechtslage erwarten.
Weiter hätten die Autokäufer, die ihre jeweiligen Dieselfahrzeuge mit einem EA 189-Motor bereits im Jahr 2012 oder 2013 erworben hatten, nach der Überzeugung des Senats bereits im Jahr 2015 mindestens eine grob fahrlässige Unkenntnis von den gemäß § 199 Abs. 1 Nr. 2 BGB für den Beginn der Verjährung erforderlichen Tatsachen gehabt, sodass die Verjährungsfrist mit Ende des Jahres 2015 begonnen habe. Das Unterlassen der Einholung einer Auskunft über die Betroffenheit des eigenen Fahrzeugs bei der Motorenherstellerin im Jahr 2015 z. B. über die vom Volkswagenkonzern ab Oktober 2015 zur Verfügung gestellte Online-Abfrage sei angesichts der öffentlich verbreiteten Informationen des Kraftfahrtbundesamts und der Motorenherstellerin als grob fahrlässig anzusehen. Somit seien die entsprechenden deliktischen Ansprüche mit Ablauf des 31.12.2018 verjährt.
Die Verjährung sei auch nicht durch eine zwischenzeitliche Anmeldung der Kläger zum Klageregister des Musterfeststellungsverfahrens vor dem OLG Braunschweig gehemmt gem. § 204 Abs. 1 Nr. 1a BGB. Vielmehr müsse der jeweilige Fahrzeugkäufer und Kläger bei einer Berufung auf eine Verjährungshemmung wegen des Beitritts zu einem Musterfeststellungsverfahren auf das Bestreiten des Beklagten hin den konkreten Beitrittstermin benennen und gegebenenfalls auch belegen.
Der Senat hat die Revisionen gegen die Urteile jeweils zugelassen, so dass die Kläger die Möglichkeit haben, diese Urteil des Oberlandesgerichts Stuttgart durch den Bundesgerichtshof überprüfen zu lassen.
Hinweis zur Rechtslage
§ 826 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB):
Wer in einer gegen die guten Sitten verstoßenden Weise einem anderen vorsätzlich Schaden zufügt, ist dem anderen zum Ersatz des Schadens verpflichtet.
§ 195 Regelmäßige Verjährungsfrist
Die regelmäßige Verjährungsfrist beträgt drei Jahre.
§ 199 Beginn der regelmäßigen Verjährungsfrist und Verjährungshöchstfristen
(1) Die regelmäßige Verjährungsfrist beginnt, soweit nicht ein anderer Verjährungsbeginn bestimmt ist, mit dem Schluss des Jahres, in dem
1. der Anspruch entstanden ist und
2. der Gläubiger von den den Anspruch begründenden Umständen und der Person des Schuldners Kenntnis erlangt oder ohne grobe Fahrlässigkeit erlangen müsste.
§ 204 Hemmung der Verjährung durch Rechtsverfolgung
(1) Die Verjährung wird gehemmt durch
1.die Erhebung der Klage auf Leistung oder auf Feststellung des Anspruchs, auf Erteilung der Vollstreckungsklausel oder auf Erlass des Vollstreckungsurteils,
1a.
die Erhebung einer Musterfeststellungsklage für einen Anspruch, den ein Gläubiger zu dem zu der Klage geführten Klageregister wirksam angemeldet hat, wenn dem angemeldeten Anspruch derselbe Lebenssachverhalt zugrunde liegt wie den Feststellungszielen der Musterfeststellungsklage,
Art. 5 Abs. 2 VO 2007/715/EG:
Die Verwendung von Abschalteinrichtungen, die die Wirkung von Emissionskontrollsystemen verringern, ist unzulässig. Dies ist nicht der Fall, wenn:
- die Einrichtung notwendig ist, um den Motor vor Beschädigung oder Unfall zu schützen und um den sicheren Betrieb des Fahrzeugs zu gewährleisten;
- die Einrichtung nicht länger arbeitet, als zum Anlassen des Motors erforderlich ist;
- die Bedingungen in den Verfahren zur Prüfung der Verdunstungsemissionen und der durchschnittlichen Auspuffemissionen im Wesentlichen enthalten sind.