Immissionsschutz - 11. September 2019

Deckelung des Lärmpegels – Klage von Anwohnern gegen den Flughafen Sylt erfolgreich

OLG Schleswig, Pressemitteilung vom 11.09.2019 zum Urteil 9 U 103/15 vom 11.09.2019

Die Klage zweier Anwohnerinnen gegen den Flughafen Westerland/Sylt war erfolgreich, soweit sie eine Begrenzung des Dauerschallpegels auf 55 dB(A) verlangt haben. Das hat der 9. Zivilsenat des Schleswig-Holsteinischen Oberlandesgerichts am 11.09.2019 entschieden und die Betreiberin verurteilt, den Flughafen in der Zeit zwischen 6:00 Uhr und 22:00 Uhr so zu betreiben, dass die Grundstücke der Klägerinnen in Keitum nicht mit einem Dauerschallpegel von mehr als 55 dB(A) belastet werden.

Zum Sachverhalt

Die Klägerinnen besitzen Immobilien in Keitum auf Sylt und nehmen die Beklagte als Betreiberin des Verkehrsflughafens Westerland/Sylt auf Unterlassung von Lärmimmissionen in Anspruch. Die Beklagte betreibt den Flughafen aufgrund einer Genehmigung aus dem Jahre 1978, die in den Jahren 1996 und 2015 geändert wurde. Aufgrund eines Urteils des Schleswig-Holsteinischen Oberverwaltungsgericht aus dem Jahr 2014 beschränkte die genehmigende Behörde, der Landesbetrieb Straßenbau und Verkehr Schleswig-Holstein, den Flugbetrieb zur Nachtzeit und ordnete weiter an, dass tagsüber ein Dauerschallpegel von 60 dB(A) an keiner Stelle einer festgelegten Schutzzone überschritten werden darf. Mit ihren Klagen vor dem Landgericht Flensburg verlangten die Klägerinnen in erster Linie die Einstellung des Flugbetriebs und in zweiter Linie die Deckelung des Lärmpegels. Dem ist das Landgericht nicht nachgekommen und hat die Klagen insgesamt abgewiesen. Mit ihren Berufungen verfolgen die Klägerinnen nun nur noch eine Deckelung des Lärmpegels auf 55 dB(A) für ihre Grundstücke in Keitum. Diese Berufungen vor dem Oberlandesgericht hatten Erfolg. Die Beklagte ist verurteilt worden, es zu unterlassen, den Flughafen in der Zeit zwischen 6:00 Uhr und 22:00 Uhr so zu betreiben, dass die Grundstücke der Klägerinnen in Keitum mit einem Dauerschallpegel von mehr als 55 dB(A) belastet werden.

Aus den Gründen

Den Klägerinnen steht gegen die Beklagte ein zivilrechtlicher Abwehranspruch aus § 1004 BGB zu, weil ihr Grundeigentum durch die Fluglärmimmissionen beeinträchtigt wird und sie nicht verpflichtet sind, Fluglärm mit einem Dauerschallpegel von mehr als 55 dB(A) zu dulden. Eine Überschreitung des Werts von 55 dB(A) ist für die Grundstücke der Klägerinnen in der Vergangenheit schalltechnisch gemessen worden. Hieraus leitet sich rechtlich die Vermutung ab, dass es auch in Zukunft zu Überschreitungen kommen kann.

Eine Pflicht der Klägerinnen, den Fluglärm zu dulden, ergibt sich nicht aus dem Umstand, dass die Beklagte über eine öffentlich-rechtliche Genehmigung zum Betrieb des Flughafens verfügt. So liegt dem Flughafenbetrieb der Beklagten kein bestandskräftiger Planfeststellungsbeschluss mit einer entsprechenden Öffentlichkeitsbeteiligung zugrunde. § 14 des Bundesimmissionsschutzgesetzes, der den Bestand von förmlich genehmigten Anlagen gegenüber privatrechtlichen Ansprüchen sichern soll, ist nur anzuwenden, wenn die Einstellung des Betriebs verlangt wird oder zwangsläufig auf eine solche hinausläuft. Dies ist beim Flughafen Sylt nicht der Fall. Dass die Einhaltung eines Dauerschallpegels von maximal 55 dB(A) im Bereich der Immobilien der Klägerin die Einstellung des Flugbetriebs oder auch nur eines nennenswerten Teils erfordern würde, hat die Beklagte nicht ausreichend dargelegt. So steht nicht fest, dass das Ziel der Beklagten – jährlich 300.000 Passagiere zu befördern, um den Flughafen kostendeckend zu betreiben – bei einer Deckelung des Lärmpegels nicht erreichbar ist und infolgedessen öffentliche Beihilfen wegfallen, was zu einer Schließung des Flughafens führen könnte. Insoweit hat die Beklagte nicht dargelegt, dass es bei der angestrebten Zahl von 300.000 Passagieren jährlich zwingend zu einer Überschreitung des Dauerschallpegels von 55 db(A) kommen muss. Ob der Flughafen Westerland/Sylt darüber hinaus überhaupt über das Potenzial zu einer derartigen Entwicklung der Passagierzahlen verfügt, lässt sich dem Vortrag der Beklagten nicht hinreichend entnehmen.

Die Klägerinnen müssen eine Lärmimmission von mehr als 55 dB(A) auch nicht nach zivilrechtlichen Vorschriften (§ 906 Abs. 1 und 2 BGB) dulden, denn eine derartige Lärmeinwirkung stellt eine wesentliche Beeinträchtigung des Grundeigentums der Klägerinnen dar. Für den Lärm, der durch Luftverkehr hervorgerufen wird, gibt es nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs und des Bundesverwaltungsgerichts keine Grenz- oder Richtwerte, die als Grenze zwischen zivilrechtlich wesentlichem und unwesentlich Fluglärm herangezogen werden können. Deshalb muss der Tatrichter bei der Beurteilung der Wesentlichkeit der Beeinträchtigung auf das Empfinden eines Durchschnittsmenschen abstellen und darauf, was diesem unter Würdigung anderer öffentlicher und privater Belange zuzumuten ist. Der Senat hat für die Grenze der im Einzelfall zumutbaren Lärmbelästigung darauf abgestellt, ob die Mehrzahl der FlughafenanwohnerGeräuscheinwirkungen mit einem äquivalenten Dauerschallpegel von mehr als 55 dB(A) zwischen 6:00 und 22:00 Uhr als starke oder äußerste Fluglärmbelästigung empfindet. Der gerichtlich beauftragte Sachverständige hat zu diesem Zweck die von der Weltgesundheitsorganisation erstellte Zusammenfassung international durchgeführter Lärmstudien und die Lärmwirkungsstudie NORAH, die für andere Flughäfen in der Bundesrepublik erstellt worden ist, auf den Flughafen Sylt übertragen. Hiernach ist für die Situation am Flughafen Sylt und Umgebung davon auszugehen, dass auch dort von der Mehrzahl der Anwohner ein Tagesdauerschallpegel von mehr als 55 dB(A) als starke oder äußerste Lärmbelästigung empfunden wird.

Eine derartige Beeinträchtigung ihres Grundeigentums müssen die Klägerinnen auch nicht etwa deshalb hinnehmen, weil der Flugbetrieb eine ortsübliche Nutzung des Flughafengrundstücks darstellt und die nähere Umgebung prägt. Eine solche Duldung würde sich nur ergeben, wenn die Beklagte die Überschreitung des Dauerschallpegels von 55 dB(A) nicht durch wirtschaftlich zumutbare Maßnahmen verhindern kann. Das hat die Beklagte aber nicht hinreichend dargelegt.