BRAK, Mitteilung vom 10.10.2024 zum Urteil IX ZR 130/23 des BGH vom 19.09.2024
Anwälte müssen – gerade bei unklarer Rechtslage – alle Risiken miteinbeziehen und dem sichersten Weg folgen. Sonst drohen Schadensersatzansprüche.
Der BGH hat in einem aktuellen Urteil noch einmal klargestellt, dass die Rechtsanwältinnen und -anwälte verpflichtet sind, den „sichersten Weg“ zu wählen, um den drohenden Verlust von Ansprüchen (hier: durch Verjährung) zu verhindern. Diese Verpflichtung umfasse insbesondere, die Mandantinnen oder Mandanten sorgfältig darüber aufzuklären, dass Gerichte eine für sie ungünstige Rechtsauffassung vertreten könnten. Zudem müssten sie über geeignete Maßnahmen aufklären, um einen damit einhergehenden Anspruchsverlust zu vermeiden (Urteil vom 19.09.2024, Az. IX ZR 130/23).
Unklarheiten über Verjährung und Pflichtverletzung
Ein ehemaliger Mandant machte gegen seine vormalige Anwältin einen Anspruch auf ca. 86.000 Euro Schadensersatz geltend, da das Gericht ihm in einem Vorprozess seinen Zugewinnausgleichsanspruch gegen seine frühere Ehefrau abgelehnt hatte – seiner Meinung nach aufgrund des Verschuldens der Anwältin.
In dem vorherigen Rechtsstreit hatte zunächst die Ex-Frau eine Klage auf Zugewinnausgleich beim AG Mannheim eingereicht. Ihr Ex-Mann hatte daraufhin seinerseits einen entsprechenden Anspruch beim AG Delmenhorst geltend gemacht. Letzteres regte aber das Ruhen des Verfahrens an, bis das AG Mannheim über die Klage der Frau entschieden hat – die Ex-Frau war einverstanden. Weil es zwischenzeitlich keine Entscheidung in Mannheim gab, nahm die Anwältin das Verfahren in Delmenhorst erst zehn Monate später wieder auf. Die Ex-Frau berief sich nun aber auf Verjährung. Und bekam – letztlich rechtskräftig – Recht, weil nach Auffassung des Gerichts die Hemmung der Verjährung gem. § 204 Abs. 2 Satz 2 BGB bereits nach sechs Monaten weggefallen sei.
Die zentrale Frage des aktuellen Verfahrens war nun, ob die Anwältin des Ex-Mannes ihre Pflichten verletzt hatte, indem sie das Ruhen des Verfahrens beantragte, ohne ihren Mandanten über die Risiken eines möglichen Verjährungseintritts aufzuklären.
Die Vorinstanz wies die Klage gegen die Anwältin noch ab. Schließlich hätten die Gerichte im Hinblick auf die Verjährung rechtsfehlerhaft entschieden. Die Hemmung sei hier nicht nach sechs Monaten beendet worden, weil es einen „triftigen Grund“ für das Warten gegeben habe. Jedenfalls habe die Ex-Frau sich rechtsmissbräuchlich verhalten. Eine Pflichtverletzung der Anwältin liege daher nicht vor.
Pflichtverletzung: Der sicherste Weg wurde nicht gewählt
Der BGH sah das jedoch anders und stellte fest, dass die Anwältin hier durchaus ihre Pflicht verletzt habe – und zwar die, den sichersten und gefahrlosesten Weg zu wählen, um die Rechte ihres Mandanten zu schützen. Nach diesem Grundsatz des „Gebots des sichersten Weges“ seien Rechtsanwältinnen und -anwälte bei unklarer Rechtslage verpflichtet, den Weg zu wählen, der das Risiko des Anspruchsverlustes bestmöglich minimiert. In Fällen, in denen Zweifel über die Rechtslage bestehen, müssten Anwältinnen und Anwälte damit rechnen, dass das Gericht eine für den Mandanten ungünstige Entscheidung trifft, und den Mandanten entsprechend beraten. Sie müssten dann alle Maßnahmen aufzeigen, mit denen eine ungünstige Rechtsbeurteilung durch das Gericht zu verhindern ist.
Im vorliegenden Fall hätte die Anwältin den Kläger über das Risiko der Verjährung aufklären müssen. Das bloße Ruhen des Verfahrens hätte nach der zum damaligen Zeitpunkt geltenden höchstrichterlichen Rechtsprechung nicht ausgereicht, um die Verjährung sicher zu verhindern. Dass die Rechtslage unklar gewesen sei, zeige sich schon darin, dass die Gerichte diese Frage ganz unterschiedlich beurteilt hätten. Die Anwältin hätte ihren Mandanten außerdem über alternative Maßnahmen informieren müssen. Zum einen hätte sie ihm von der Beantragung des Ruhens abraten können. Auch hätte sie mit der Gegenseite eine Vereinbarung zum Verjährungsverzicht treffen können oder andere Maßnahmen vorschlagen können, um die Verjährung zu verhindern.
Der BGH hat den Fall nun zurück ans Berufungsgericht verwiesen, damit dieses prüfen kann, ob die Pflichtverletzung der Anwältin auch kausal für den Verlust des Anspruches gewesen ist. Hier ist insbesondere relevant, ob sich der Mandant bei den mehreren Handlungsmöglichkeiten tatsächlich für diejenige entschieden hätte, die seinen Anspruch gewahrt hätte.
Quelle: Bundesrechtsanwaltskammer