Sozialversicherungsrecht - 6. August 2020

Aus Rumänien angeworbene Betreuungskräfte können bei Vermittlerfirma sozialversicherungspflichtig beschäftigt sein

SG Stuttgart, Mitteilung vom 03.08.2020 zum Urteil S 20 R 1628/15 vom 20.02.2020 (nrkr)

Aus Rumänien angeworbene Betreuungskräfte, die an private Haushalte vermittelt werden, können bei der Firma, die die Vermittlung vornimmt, abhängig beschäftigt sein (Urteil vom 20.02.2020, S 20 R 1628/15, Berufung anhängig).

Die Beteiligten stritten um die Rechtmäßigkeit einer Nachforderung von Gesamtsozialversicherungsbeiträgen.

Der Kläger führte im streitbefangenen Zeitraum eine Firma, die unter dem Namen „Agentur für Personalvermittlung“ rumänische Haushaltshilfen an deutsche Haushalte vermittelte. In diesem Zusammenhang schaltete der Kläger Anzeigen in Lokalzeitungen, wonach man sich bei einem entsprechenden Betreuungsbedarf an ihn wenden könne. Nachdem ein solcher Bedarf bei dem Kläger angemeldet worden war, warb der Kläger in Rumänien Haushaltshilfen an und vermittelte diese an die Haushalte zur Betreuung alter oder kranker Menschen. Der Kläger kümmerte sich um die Anreise der Haushaltshilfen, die hinsichtlich der Reisekosten zunächst in Vorleistung treten mussten. Mit den zu Betreuenden schloss der Kläger Verträge, die als „Personalvermittlungsvertrag über die Erbringung häuslicher Betreuung“ bezeichnet wurden.

Die beklagte Rentenversicherung erhob nach einer Betriebsprüfung beim Kläger eine Nachforderung von Sozialversicherungsbeiträgen in Höhe von 58.089,23 Euro.

Das Gericht hat die dagegen erhobene Klage abgewiesen und kam zu dem Ergebnis, dass die rumänischen Haushaltshilfen bei dem Kläger sozialversicherungspflichtig beschäftigt gewesen seien. Zwar seien zwischen dem Kläger und den Haushaltshilfen keine schriftlichen Verträge abgeschlossen worden. Die maßgeblichen Vertragsbedingungen seien jedoch zwischen der Personalvermittlungsagentur und den Kunden formularmäßig festgeschrieben worden. Die Haushaltshilfen hätten damit auf die das Arbeitsverhältnis prägenden Vertragsbedingungen keinen maßgeblichen Einfluss nehmen können. Sie hatten keine Möglichkeit Art, Inhalt, Ausmaß, Zeit oder Ort der von ihnen zu erbringenden Leistungen eigenverantwortlich zu gestalten. So seien die wesentlichen Vertragsbedingungen nicht etwa im Anschluss an die Vermittlungstätigkeit zwischen den Kunden und den Haushaltshilfen frei ausgehandelt worden. Vielmehr erhielten die Haushaltshilfen auf der Grundlage der in der Regel auf drei Monate befristeten Verträge einen festen Monatslohn, wobei der Kläger die Höhe des Lohns sowie die Vertragslaufzeit festlegte und anschließend mit seinen Kunden formularmäßig vereinbarte. In der Drittwirkung der „Personalvermittlungsverträge“ der Agentur erblickte die Kammer jedoch einen Umstand, aus welchem sich letztlich auch ein Vertragsverhältnis zwischen dem Kläger und den Haushaltshilfen ableiten lasse, welches im Rahmen der mündlichen Kontaktaufnahme mit den Haushaltshilfen umrissen und sodann während der Vertragsabwicklung konkretisiert wurde. Der vertraglich festgeschriebenen Verpflichtung des Klägers gegenüber seinen Kunden habe dabei die vertragliche Verpflichtung der Haushaltshilfen gegenüber dem Kläger entsprochen.

Das für ein abhängiges Beschäftigungsverhältnis typische Weisungsrecht des Arbeitgebers finde sich in der seitens der Kunden aktenkundig bezeugten (mündlichen) Vereinbarung zwischen dem Kläger und den Kunden, wonach sich der Kläger dazu bereit erklärt habe, auch die „Schlichtung“ bei Problemen des Alltags und bei Unklarheiten des mit der zu betreuenden Personen geschlossenen Dienstvertrages vorzunehmen. Diese Vertragspraxis lasse sich bei lebensnaher Betrachtung jedoch nur dann effizient umsetzen, wenn der Kläger im Rahmen der Schlichtung einseitig verbindliche Regelungen gegenüber den Haushaltshilfen habe treffen und diese zur Einhaltung ihrer vertraglichen Pflichten gegenüber den Haushalten habe anhalten können. Auch wenn die Haushaltshilfen vorliegend nicht unmittelbar in den Betrieb des Klägers eingegliedert gewesen seien, habe der Kläger damit die rechtliche Verantwortung für die zu erbringende Dienstleistung der Haushaltshilfen gegenüber seinen Kunden getragen und sich zur Gewährleistung entsprechende Weisungsrechte gegenüber den Haushaltshilfen vorbehalten.