Berufsstand - 24. Februar 2025

Anwaltsbeleidigung? BVerfG rügt „Abwägungsausfall“ der Gerichte

BRAK, Mitteilung vom 24.02.2025 zum Beschluss 1 BvR 1182/24 des BVerfG vom 16.01.2025

In allen Instanzen hielt eine Verurteilung wegen Beleidigung des früheren Anwalts – dem BVerfG fehlte nun allerdings praktisch jegliche Grundrechtsabwägung.

Wer seinem Anwalt Inkompetenz und Betrug vorwirft, darf nicht allein deshalb wegen Beleidigung verurteilt werden, so das BVerfG. Vielmehr müssten die Gerichte hier eine Abwägung zwischen der Meinungsfreiheit der Angeklagten und dem Persönlichkeitsrecht des betroffenen Anwalts vornehmen. Dies gelte umso mehr, wenn es mit dem anwaltlichen Mandatsverhältnis einen sachbezogenen Kontext gibt (Beschluss vom 16.01.2025, Az. 1 BvR 1182/24).

Eine in Polen geborene Frau, damals als Haushaltshilfe tätig, beauftragte einen Anwalt, für sie ein Verfahren gegen eine Versicherung zu führen. Mit dessen Leistungen war sie jedoch nicht zufrieden: Es ging ihr insbesondere nicht schnell genug, sie bemängelte außerdem eine fehlerhafte Abrechnung zu ihren Lasten. Daraufhin schrieb sie ihm in gebrochenem Deutsch mehrere E-Mails, u. a. mit den Worten: „Sie bauen mir absichtlich Schaden“, „Weil sie mich mit Ihrem Gelderschleichen versuchen zu betrogen (…)“. „jetzt werden wir ihre Betrug klären, ihre Inkompetenz (…)“.

Verurteilung wegen Beleidigung des Anwalts hält in allen Instanzen

Das AG verurteilte sie wegen Beleidigung (§ 185 StGB) in vier Fällen zu einer Gesamtgeldstrafe von 50 Tagessätzen zu je 30 Euro. Sie habe den Anwalt in seiner Ehre und insbesondere in seiner Berufsehre verletzt und herabgewürdigt. Dass sie ihn absichtlich eines strafbaren und berufsrechtswidrigen Verhaltens bezichtigt habe, sei ein eindeutiges Zeichen von Missachtung mit stark abwertendem Charakter. Obwohl sie den Anwalt bei der Anwaltskammer gemeldet hatte, habe diese schließlich kein Vergehen feststellen können. Die Äußerungen der Beschwerdeführerin seien auch nicht durch ihre Unzufriedenheit im Rahmen des Mandatsverhältnisses gedeckt gewesen. Sie hätte schließlich die Ergebnislosigkeit der Bemühungen auf nicht beleidigende Weise kritisieren können.

In der Berufungsinstanz wiederholte das LG lediglich wortwörtlich die Urteilsbegründung des AG. Auch das OLG verwarf die Revision mit der „formelhaften“ Begründung, dass die Nachprüfung des Urteils aufgrund der Revisionsrechtfertigung keinen Rechtsfehler zum Nachteil der Beschwerdeführerin ergeben habe. Dagegen legte die Frau Verfassungsbeschwerde ein.

BVerfG: Praktisch vollständiger Abwägungsausfall

Das BVerfG hob nun alle drei Entscheidungen auf und verwies den Fall zurück an das Amtsgericht. Die Gerichte hätten aufgrund des „praktisch vollständigen Abwägungsausfalls“ allesamt die Meinungsfreiheit aus Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG der Deutsch-Polin „offensichtlich“ verletzt.

Zunächst führt das BVerfG ausführlich aus, welche Aspekte der Meinungsfreiheit in Strafurteilen zu berücksichtigen sind. Insbesondere diene die Meinungsfreiheit auch dem unmittelbaren Ausdruck der menschlichen Persönlichkeit und umfasse daher die Freiheit, die persönliche Wahrnehmung von Ungerechtigkeiten in subjektiver Emotionalität in die Welt zu tragen. Zudem sei es im Kontext des sog. „Kampfs um das Recht“, also bei rechtlichen Auseinandersetzungen, grundsätzlich erlaubt, besonders starke und eindringliche Ausdrücke zu benutzen, um Rechtspositionen und Anliegen zu unterstreichen. Insgesamt gehe es darum, die konkrete Situation der Äußerung zu erfassen und unter Berücksichtigung der auf beiden Seiten betroffenen Grundrechte hinreichend zu würdigen. Zwar könnte hier eine nach den Umständen knappe Abwägung ausreichen, es müssten nicht alle Punkte „abgearbeitet“ werden. Immerhin hätten die Fachgerichte aber die nach den Umständen des Einzelfalls grundrechtsrelevanten Aspekte herausarbeiten und abwägen müssen – was sie alle nicht getan hatten.

Die Gerichte hätten nicht einmal erkennen lassen, ob sie die Äußerungen als Tatsachenbehauptung oder Meinungsäußerung gewertet hätten – wobei selbst bei Annahme des ersteren die Meinungsfreiheit gegriffen hätte. Zudem hätten sich die Gerichte auch nicht bemüht, den eigentlichen Aussagegehalt der angegriffenen Äußerungen zu interpretieren. Dies sei aber notwendig, weil einer Verurteilung immer der für die äußernde Person günstigste Aussagegehalt zugrundezulegen sei. Auch werde nicht begründet, warum das Wort „Betrug“, was sowohl in der Umgangssprache als auch in der juristischen Fachsprache gebraucht wird, im konkreten Fall als Vorwurf eines wirklich strafbaren Verhaltens zu verstehen gewesen sein soll.

Eine Abwägung zwischen der Meinungsfreiheit der Angeklagten und dem Persönlichkeitsrecht des Anwalts sei ebenfalls nicht erfolgt. Diese sei hier nicht entbehrlich gewesen, da es sich weder um eine Schmähung noch um eine Formalbeleidigung gehandelt habe. Hier hätten die Gerichte zum einen berücksichtigen müssen, dass es um den Kontext eines anwaltlichen Mandats ging. Dabei hatten die Gerichte auch nicht geprüft, wie der Rechtsanwalt – inhaltlich und zeitlich – das Mandat geführt hatte und was genau die Anwaltskammer daran eigentlich überprüft hatte. Zudem hatten die Mails der Ex-Mandantin keine Breitenwirkung gehabt. Abwägungsrelevant wäre auch gewesen, ob es der Frau aufgrund ihrer Bildung zuzumuten war, gerade in einem rechtlichen Verfahren, in dem sie von dem Fachwissen des Anwalts abhängig war, die äußerungsrechtlichen Grenzen zu kennen und zu wahren – zumal sie nicht muttersprachlich deutsch sprach.

Der Beschluss des BVerfG endet mit dem Hinweis, dass es sich bei der Urteilsbegründung – die Angeklagte hätte den Anwalt ja auch auf nicht beleidigende Weise kritisieren können – um einen „Zirkelschluss“ handele.

Quelle: Bundesrechtsanwaltskammer