Digitale Marktwirtschaft - 27. Februar 2020

Steuerberatung bleibt wichtig

Digitalisierung und technische Innovationen sind nichts, was einfach so über unsere Gesellschaft hereinbricht. Wir haben die Chance, die Digitalisierung an einer digitalen sozialen Marktwirtschaft auszurichten, um unsere freiheitlichen Werte auch in der Zukunft zu bewahren.

Sind Digitalisierung und künstliche Intelligenz (KI) Job-Fresser? Diese Frage begleitet uns in verschiedenen Formen seit einigen Jahren. Immer wieder gibt es dazu Angst schürende, aber auch zu Optimismus ermunternde Studien, Statements und Meldungen.

Ich höre gelegentlich, dass vor allem das Steuersystem und damit die Finanzverwaltung, letzten Endes somit auch der Berufsstand der Steuerberater, im Grunde durch künstliche Intelligenz ersetzbar seien, wenn man nur ein paar Gesetze vereinfache. Schließlich gehe es hier doch um Regeln, die schon heute oft in Software abgebildet werden. Das spare dann Zeit, Geld und Nerven.

Gestaltungsspielraum für unsere Gesellschaft

Aber eine Debatte in dieser Form geht vollkommen an der eigentlichen Frage und damit der Aufgabe für unsere Gesellschaft vorbei, und zwar ganz unabhängig davon, welche Meinung man mit Blick auf künstliche Intelligenz vertritt – ob KI unausweichlich dazu führt, dass zahlreiche Jobs vernichtet oder am Ende mehr neue Berufe und Tätigkeiten geschaffen werden. Denn viel zu oft bleibt bei diesen technischen Debatten außen vor, dass derartige Entwicklungen eben nicht über unsere demokratische Gesellschaft hereinbrechen und wir dann einfach akzeptieren müssen, was die Technik bedingt. Es gab und gibt durchaus großen Gestaltungsspielraum. Wir können als Gesellschaft sehr bewusst entscheiden, was wir wollen und was nicht.

Momentan scheint es oft, als versuchten wir, notwendige gesellschaftliche Diskussionen einfach nicht zu führen. Wahlweise warten wir darauf oder haben Angst davor, dass bald alles technisch gut oder eben schlecht gelöst wird, ohne noch etwas beitragen oder eine Auswahl unter verschiedenen Optionen treffen zu müssen.

Menschliche Beratung weiter notwendig

Gerade der Steuerbereich ist aber eben nicht binär, oft sind Abwägungen und somit auch menschliche Beratung notwendig. Unserem Steuersystem liegen gesellschaftliche Werte zugrunde. Es geht um Besteuerung nach Leistungsfähigkeit, sozial gerechte Umverteilung, die Berücksichtigung individueller Fälle, Abwägung. Dieses System haben wir als sozial-marktwirtschaftlich orientierte Gesellschaft bewusst gewählt. Ein solches Steuersystem wird niemals einfach so nur durch KI abbildbar sein. Denn es ist kompliziert, den individuellen Menschen und seine Bedürfnisse im Auge zu behalten. Aus diesem Grund wird unser komplexes Steuersystem auch immer die Finanzverwaltung einerseits und den Steuerberater andererseits benötigen.

Freie Berufe wie der der Steuerberater, aber auch die DATEV als Genossenschaft sind nichts weniger als eine Institutionalisierung der sozialen Marktwirtschaft im ganz klassischen Sinne Ludwig Erhards. Diese soziale Marktwirtschaft muss weiterentwickelt werden zu einem System, das auch in einer digitalen Welt funktioniert und in dem Rechnungswesen, IT-Sicherheit und Datenschutz zusammengedacht werden. Genau dafür werden auch weiterhin Steuerberater benötigt – gewissermaßen als Membran zwischen Staat und Wirtschaft. Deswegen müssen wir uns als Berufsträger und als Genossenschaft dafür einsetzen, dass wir eine funktionierende digitale soziale Marktwirtschaft in Europa bauen, die unabhängig von anderen Wirtschaftsräumen funktioniert, in der europäische Werte gelebt werden.

Blick über den Tellerrand

Noch können wir unser erfolgreiches gesellschaftliches Betriebssystem auch in der digitalen Welt etablieren. Das erfordert aber von vielen Akteuren ein Zukunftsbild, das an manchen Stellen auch mal über den eigenen Fachbereich und den eigenen Tellerrand hinausgeht. Ich bin überzeugt: Menschen und intelligente Systeme werden sich auf absehbare Zeit ergänzen und nicht ersetzen. KI-Kompetenzen und Technologie müssen in die Breite der Gesellschaft getragen werden. Das wird nur geschehen, wenn weiterhin ein gesellschaftlicher Nutzen dabei entsteht und wir ein positives Bild der individuellen Freiheit bei gleichzeitiger gesellschaftlicher Verantwortung zeichnen können.

Dieses Bild müssen wir alle in unseren privaten und beruflichen Rollen mitgestalten. Wenn wir nicht gemeinsam unsere Werte auch in der digitalen Welt voranbringen, dann macht das niemand sonst für uns.

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Zum Autor

Prof. Dr. Robert Mayr

Diplom-Kaufmann, Wirtschaftsprüfer, Steuerberater
CEO der DATEV eG; Die Genossenschaft gehört zu den größten Softwarehäusern und IT-Dienstleistern in Deutschland.
Seine Themen: #DigitaleTransformation, #DigitalLeadership, #Plattformökonomie und #BusinessDevelopment.
Seine These: „Die digitale Transformation ist keine Frage des Könnens, sondern des Wollens“

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