Fachkräftemangel - 24. November 2022

Gegen den Strich gebürstet

Der Mittelstand durchlebt gerade einige der heftigsten Krisen der vergangenen Jahre. Der Fachkräftemangel scheint nur eine davon zu sein. Dieser jedoch hat erhebliche Auswirkungen auf unsere Zukunft – kreative Ansätze könnten helfen, die Folgen zu mildern.

Erst neulich ist mir wieder ein handgeschriebenes Schild an der Tür eines Geschäfts aufgefallen: „Wegen Personalmangels nur noch vormittags geöffnet“. Oder die Handwerksfirma, die den Reparaturauftrag schon von vorneherein absagt: „Tut uns leid, wir haben zu wenig Leute, um schnell jemanden vorbeizuschicken.“ Der Fachkräftemangel ist nur zum Teil Ausdruck der vielen Krisen, die uns derzeit beschäftigen. Sicherlich hat die Corona-Pandemie dafür gesorgt, dass viele Menschen entlassen wurden und die gut ausgebildeten Kräfte sich danach anderswo eine womöglich bessere Arbeit gesucht haben. Sicher sorgen die Auswirkungen der Pandemie im Zusammenspiel mit den Folgen des Ukraine-Kriegs und der Energiekrise für unterbrochene Lieferketten, teure Strom- und Gaspreise und damit dafür, dass so mancher Betrieb gar nicht überleben kann. Aber sicher ist auch, dass der Fachkräftemangel uns schon lange im Stillen begleitet. Der demografische Wandel hat sich nicht von gestern auf heute schlagartig ergeben, er zeichnet sich seit Jahren ab und Experten warnen vor den Folgen.

Seniorisierung im Berufsstand

Werfen wir einen Blick auf unseren eigenen Berufsstand: Das Durchschnittsalter quer durch die Berufsträger steigt, bei den Steuerberaterinnen und Steuerberatern sprechen Fachleute sogar von einer Seniorisierung bei einem Durchschnittsalter von 53 Jahren. Das Durchschnittsalter in der Anwaltschaft ist von 43 Jahren im Jahr 2002 auf jetzt knapp 52 Jahre gestiegen. Und bei den Wirtschaftsprüfern ist jeder dritte Berufsträger 60 Jahre oder sogar älter. Diese Alterspyramide, mit welcher der demografische Wandel seit Jahren eindrücklich dargestellt wird, ist die entscheidende Prämisse für den Fachkräftemangel, den wir immer stärker erleben. Die zunehmende Überalterung der deutschen Gesellschaft trifft zusammen mit dem Renteneintritt der geburtenstarken Babyboomer-Jahrgänge. Dazu kommen sinkende Geburtenraten – eine Mixtur, die das Fachkräfteproblem künftig strukturell verschärfen wird, und zwar vor allem bei den beruflich Hochqualifizierten.

DATEV Seismograf sieht drastischen Fachkräftemangel

Schon jetzt liefern die Statistiken dramatische Zahlen: Der Fachkräftemangel steigt auf ein Allzeithoch, begründet durch eine drastisch sinkende Zahl an Bewerbern und abgeschlossenen Ausbildungsverträgen. Auch unser DATEV Seismograf, eine Studie, bei der wir Steuerberatungskanzleien befragt haben, zeichnet ein ähnliches Bild. Der deutsche Mittelstand leidet unter den zahlreichen, sich überlagernden Krisen, einige Unternehmen sind unmittelbar von Insolvenz bedroht. Doch auch die übrigen Betriebe sind mit erheblichen Herausforderungen konfrontiert. So sehen die Kanzleien bei 80 Prozent ihrer Unternehmenskunden einen akuten Fachkräftemangel – und damit einen Personalmangel, der über die normalen Schwankungen dynamischer Märkte hinausgeht. Die Digitalisierung ist ein weiterer Treiber dieser Entwicklung. Sie verändert Beschäftigungsfelder und ganze Berufsbilder und bringt zugleich neue Perspektiven und Chancen mit sich. Hier müssen wir ansetzen – und zwar von Anfang an. Upskilling, also der Erwerb zusätzlicher Kompetenzen für den Job, um mit neuen Anforderungen Schritt zu halten und zukunftsfähig zu bleiben, heißt ein Stichwort, Nachwuchs gewinnen ein weiteres. Leider wurde der Fachkräftemangel durch die Pandemie noch an anderer Stelle verschärft: Arbeitgeber reduzierten ihr Ausbildungsengagement, traditionelle Wege des Kennenlernens – etwa durch Praktika oder Ausbildungsmessen – waren eingeschränkt oder gar nicht mehr möglich. Digitale Alternativen oder gar neue digitale Wege der Berufsorientierung sind noch nicht ausreichend etabliert.

Nachwuchs als Motor

Daher gilt es nun noch mehr als vorher, jungen Menschen die Chance zu geben, jetzt ihren beruflichen Weg zu beginnen, und sie dabei auf jede erdenkliche Art und Weise zu unterstützen. Denn wir brauchen den Nachwuchs – und können zugleich davon profitieren, dass diese jungen Menschen in der digitalen Welt aufgewachsen und zu Hause sind. Sie können der Motor einer digital optimal aufgestellten Kanzlei werden, wenn sie nach abgeschlossener Ausbildung übernommen und stetig weiterqualifiziert werden. Auch andere Mitarbeiter können mit kontinuierlicher Weiterbildung zum Teil dieses Motors werden, wenn ihnen zugleich mit attraktiven Arbeitszeitmodellen und anderen Benefits Anreize geschaffen werden. Bei alldem lässt DATEV Sie nicht allein: Auf der DATEV Lernplattform online Leon werden Mitglieder und Mitarbeiter mit verschiedensten Lerninhalten zu Software-, Fach- und Managementthemen versorgt. Mit unserer DATEV-Partnerschaft für Bildung unterstützen wir genau die Kanzleien, die sich für eigene und potenzielle Mitarbeiter attraktiv auf- und darstellen möchten. Mit unseren Bildungspartnerschaftsteams helfen wir angehenden Steuerfachangestellten, aber auch Berufsträgern und anderen Programmanwendern, mit den verschiedenen DATEV-Lösungen vertrauter zu werden. Die Bildungspartnerschaft umfasst inzwischen rund 200 Berufsschulen, mehr als 1.100 freie Bildungsträger und fast 300 Hochschulen. Darüber hinaus bieten wir mit DATEV-Wissen ein Qualifizierungsangebot für Auszubildende als solide Grundlage für den gelungenen Berufsstart. Und wir gehen selbst mit gutem Beispiel voran, unter anderem was die Integration von Quereinsteigern betrifft. In unserem Programm Becoming a Software Engineer können Fachkräfte ohne Coding-Erfahrungen sich zu Software Engineers weiterbilden lassen. Dieses Qualifizierungsprogramm bietet nicht nur unseren Mitarbeitern neue Perspektiven, sondern eröffnet Möglichkeiten, neue Fachkräfte für DATEV zu gewinnen. Wir sollten daher alle darauf setzen, kreativ und manchmal auch gegen den Strich zu denken – nur so können wir mit ausreichend und top qualifiziertem Personal für unsere Kunden da sein.

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Zum Autor

Prof. Dr. Robert Mayr

Diplom-Kaufmann, Wirtschaftsprüfer, Steuerberater
CEO der DATEV eG; Die Genossenschaft gehört zu den größten Softwarehäusern und IT-Dienstleistern in Deutschland.
Seine Themen: #DigitaleTransformation, #DigitalLeadership, #Plattformökonomie und #BusinessDevelopment.
Seine These: „Die digitale Transformation ist keine Frage des Könnens, sondern des Wollens“

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