Fachkräftemangel - 25. Mai 2022

Neue Wege gehen

Kanzleien, die händeringend nach neuen Mitarbeitern suchen, sollten nicht verzagen. Auch hier gilt es, sich der digitalen Welt zu öffnen, um das junge Potenzial der Generation Internet zu erreichen.

Selbst eine gut aufgestellte Steuerberatungskanzlei mit at­traktiven Bedingungen für Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter kann allein von diesen Vorteilen nicht profitieren. Für qualifi­zierte Fachkräfte zählen natürlich auch die Rahmenbedingun­gen. Vor allem aber muss das Betriebsklima stimmen und wirk­lich positiv sein, sodass der Mitarbeiter gerne zur Arbeit kommt und diese auch in entsprechender Qualität ausführt. Wenn sie bei potenziellen Bewerbern allerdings nicht sichtbar sind und nicht wahrgenommen werden, führen auch viele Benefits in ers­ter Linie nicht direkt zu einer erfolgreichen Personalsuche, so­fern man nicht ein ganzheitliches Recruiting-Konzept imple­mentiert, in dem man die Alleinstellungsmerkmale und die Ar­beitgeberattraktivität in den Fokus stellt. Doch über welche Wege gelangt eine Kanzlei in die Sichtbar­keit? Eine Option wäre eine Personalkampagne, um die richtige Zielgruppe festzulegen und sie über entsprechende Werbean­zeigen auf verschiedenen Kanälen anzusprechen. Den Kanzlei­en, die unter Personalmangel leiden, stehen jedenfalls diverse Möglichkeiten offen, das Problem zu lösen.

Präsenz erzeugen

In einem ersten Schritt sollten Personalkampagnen in verschie­denen, auch sozialen Netzwerken getätigt werden, um eine sichtbare Präsenz im Internet herzustellen. Die Kanzleien soll­ten sich von klassischen Stellenportalen verabschieden und den Weg hin zu individuellen Recruiting-Konzepten gehen. Da die Vergleichbarkeit auf den Portalen groß ist, sehen potenzielle Bewerber etliche, sich ähnelnde Inserate, und die Konkurrenz ist groß. Kanzleiinhaber sollten sich fragen, warum ein poten­zieller Kandidat genau von ihrem Inserat angesprochen sein sollte, wenn die anderen Anzeigen gleichermaßen attraktiv sind.

Kandidaten, die noch unter Vertrag stehen

In jedem Fall sollten auch latent suchende Kandidaten adres­siert werden. Gemeint sind Personen, die sich in einem Anstel­lungsverhältnis befinden und damit nicht aktiv auf der Suche nach einer neuen Stelle sind. Sie reagieren dennoch aufge­schlossen auf Angebote, weil sie etwa mit ihrer aktuellen Stelle oder ihrem derzeitigen Arbeitgeber unzufrieden sind. Auch die­se Kandidaten gilt es, von der eigenen Kanzlei zu überzeugen.

Am besten auf Empfehlung

Das oft genutzte Recruiting-Modell „Empfehlungen“ reicht nicht mehr aus. Doch der Grundgedanke dahinter lässt sich wei­terentwickeln. Wenn eine Kanzlei in der Vergangenheit bereits einige Stellen durch Empfehlungen besetzen konnte, ist das ein positives Zeichen. Um eine persönliche Weiterempfehlung ab­zugeben, müssen die Mitarbeiter mit ihrem Arbeitgeber zufrie­den sein – und diese zufriedenen Mitarbeiter kann man sehr gut fürs Recruiting einsetzen, indem man ihre positiven Aussagen zum Beispiel in Form von Mitarbeiterstimmen auf der eigenen Karriereseite veröffentlicht. So können Bewerber den Arbeitge­ber auch aus Mitarbeitersicht besser kennenlernen. Die Stim­men der eigenen Mitarbeiter sind im Recruiting oftmals über­zeugender als klassische Benefits, die sich bei vielen Kanzleien ähneln. Wenn der eigene Mitarbeiter zum Beispiel beschreibt, warum es sich lohnt, sich in der Kanzlei zu bewerben, oder war­um es Spaß macht, dort in der Kanzlei zu arbeiten, kann dieser Aspekt automatisiert und zielführend nach außen getragen wer­den. Damit die eigene Attraktivität als Arbeitgeber von den Fachkräften mit Potenzial wahrgenommen wird, muss die Kanz­lei zunächst in der Region präsent und vor allem für potenzielle Kandidaten sichtbar sein. Dabei ist zu beachten, wie und wo Fachkräfte in der heutigen Zeit kontaktiert werden wollen. Um qualifiziertes Fachpersonal gezielt anzusprechen, ist es also un­abdingbar, sich bei der potenziellen Zielgruppe dauerhaft als at­traktiver Arbeitgeber zu positionieren.

Arbeitgebermarke aufbauen

Um auf Social-Media-Kanälen potenzielle Kandidaten zu über­zeugen, ist der Aufbau einer sympathischen, authentischen und transparenten Arbeitgebermarke heute alternativlos. Die Fach­kräfte stehen auf dem Arbeitsmarkt vor einer großen Auswahl verschiedener Kanzleien. Und die steuerlichen Berater, die ihre Vorzüge aktiv präsentieren, heben sich aus der Masse poten­zieller Arbeitgeber hervor. Es ist also unabdingbar, als poten­zieller Arbeitgeber nach außen hin kompetent und authentisch aufzutreten. Für die Bewerber muss ersichtlich sein, worauf sie sich gegebenenfalls einlassen.

Bewerbungsprozess

Zudem ist heute ein schneller sowie unkomplizierter Bewer­bungsprozess ebenfalls unumgänglich. Wer es den Bewerbern zu kompliziert macht, verliert sie an die Kon­kurrenz. Das liegt vor allem daran, dass die­se oft nicht auf eine spontane Bewerbung vorbereitet sind. Ein Kandidat im Anstel­lungsverhältnis sieht beispielsweise ein inte­ressantes Angebot und sagt sich: „Das könn­te meine neue Stelle sein.“ Wenn er jetzt ein Anschreiben und einen Lebenslauf verfas­sen und seinen aktuellen Arbeitgeber um ein Zeugnis bitten muss, wird er es sich viel­leicht anders überlegen. Daraus folgt, dass man im Bewerbungsprozess die Hürden so gering wie möglich halten muss. Viele Steuerberatungskanzleien gestalten ihren Bewerbungsprozess komplizierter als nötig.

Kontaktaufnahme

Vor diesem Hintergrund sollte es zu einer schnellen Kontaktauf­nahme zwischen Steuerberatungskanzlei und potenziellem Be­werber kommen. Das ist gerade für Kandidaten im Anstellungs­verhältnis relevant, die möglicherweise nicht aktiv auf der Suche nach einer neuen Stelle sind. Wer beruflich sehr ausgelastet ist, hat weniger Zeit für ausführliche Bewerbungsprozesse. Beim Erstkontakt sollte der Aufwand also so gering wie möglich sein, damit der Bewerber und die Kanzlei ins Gespräch kommen kön­nen. Ansonsten ist die Wahrscheinlichkeit hoch, dass der Kandi­dat sein Interesse verliert und von der Bewerbung absieht. Nach einer unkomplizierten Bewerbung sollte es also zu einer zeitna­hen telefonischen Kontaktaufnahme mit dem Bewerber kom­men. Nur so ist es beiden Parteien möglich, weitere Details zur ausgeschriebenen Stelle schnell zu besprechen und abzuklop­fen, ob der erste Eindruck und die Chemie stimmen.

Neue Wege gehen

Es heißt: Gehe mit der Zeit, sonst gehst du mit der Zeit. Grund­voraussetzung für eine erfolgreiche Mitarbeitergewinnung ist also, dass die Kanzleien bereit sind, neue Wege zu gehen, an­statt weiterhin auf alte Maßnahmen zu setzen, die nicht mehr funktionieren. Die Nachwuchskräfte, die gesucht und dringend benötigt werden, gehören zur Generation Internet. Folglich wird die Suche der Kanzleien über Zeitungsannoncen kaum er­folgreich sein. Gerade qualifizierte Fachkräfte bevorzugen mitt­lerweile modern ausgerichtete Kanzleien. Daher bevorzugen diese Kandidaten unkomplizierte digitale Bewerbungsprozesse, woran sie gleich erkennen, wie digital der potenzielle neue Ar­beitgeber aufgestellt ist.

Digitales Onboarding

Sehr vielen Bewerbern ist bei einem Jobwechsel vor allem eine strukturierte Einarbeitung durch den neuen Arbeitgeber wich­tig. Hier empfiehlt es sich, ein digitales Onboarding in Form ei­ner eigenen Schulungsplattform zu integrie­ren, auf der die Arbeitsabläufe und Prozesse innerhalb der Kanzlei dargestellt und erklärt werden. So lernt der neue Mitarbeiter be­reits ab dem ersten Arbeitstag alle Abläufe der Kanzlei kennen und kann sich größten­teils eigenständig alles Erforderliche aneig­nen. Außerdem entlastet ein digitales On­boarding die Kanzleimitarbeiter bei der Ein­arbeitung des neuen Kollegen.

Viele Kanzleien sind auf der Suche nach dem perfekten Bewerber. Sie wollen keine frisch ausgebildeten Fach­kräfte, da sie deren Einarbeitung scheuen. Das digitale Onboar­ding macht jedoch auch aus Absolventen perfekte Mitarbeiter. In diesem Zusammenhang sollte dem neuen Kollegen zudem ein direkter Ansprechpartner zur Verfügung gestellt werden, der of­fene Fragen im Einarbeitungsprozess beantwortet. Quasi ein Pate, der speziell dem neuen Mitarbeiter jederzeit mit Rat und Tat zur Seite steht.

Fazit und Ausblick

Bei der Mitarbeitergewinnung ist den Kanzleien, die nach Fach­kräften suchen, ein Umdenken dringend anzuraten. Statt auf Be­werbungsunterlagen und Anschreiben zu beharren, sollten sich die Kanzleien auch beim Recruiting an das heutige, digitale Zeit­alter anpassen und sich in die Zielgruppe der potenziellen Kan­didaten hineinversetzen. Auch wenn es befremdlich klingt: An­zeigen in sozialen Netzwerken sind mittlerweile Usus. Darüber hinaus ist festzuhalten, dass die Zusendung von ausführlichen Bewerbungsunterlagen mit Anschreiben, Lebenslauf, Zeugnis­sen und Zertifikaten sehr viele potenzielle Bewerber abschreckt. Diese Interessenten bewerben sich dann lieber woanders.

Heute ist es eher umgekehrt. Kanzleien bewerben sich beim po­tenziellen neuen Mitarbeiter. Es empfiehlt sich, den Bewer­bungsprozess auf etwa zehn Tage zu reduzieren, um das Interes­se des Bewerbers wachzuhalten. Schließlich sollte man nicht al­lein auf Empfehlungen setzen, denn diese sind unsicher und lei­der nicht planbar.

Zum Autor

DD
Dennis Dominguez

Geschäftsführer der DEDO Media GmbH und Experte für digitale Mitarbeitergewinnung von Steuerfachkräften

 

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