Arbeiten der Zukunft - 28. April 2022

Mehr als nur ein Kicker

Jeder spricht von New Work. Vor allem in der vom Personalmangel gebeutelten Branche ist künftig ein neues und anderes Arbeiten unverzichtbar, wobei größere Kanzleien hier vorangehen und neue Wege beschreiten.

Da steht er, zu sehen auf dem kanzleieigenen Instagram-Ka­nal: Simon, an seinem letzten Arbeitstag bei KMpro. Wu­scheliges Haar und in beiden Händen eine Tafel Milka-Schoko­lade. So weit, so unspektakulär. Das Besondere sind die Aus­maße der Tafel und der Text auf der Schokoladenverpackung. Die Tafel wuchert im XXL-Format und verdeckt den kompletten Oberkörper von Simon, der genüsslich in eine Ecke beißt. Auf der typisch lilafarbenen Verpackung steht: „Für Simon. Eine ‚kleine‘ Nervennahrung für die kommenden Wochen während deiner Bachelorarbeit. Dein KMpro-Team.“ In einer Zeit, in der nahezu alle Steuerberatungskanzleien hän­deringend nach Personal suchen, wird der scheidende Werkstu­dent, den es in die freie Wirtschaft ziehen wird, mit einer über­dimensionierten Schokoladentafel verabschiedet? Ungewöhn­lich. Aber genau das müssen Kanzleien aufgrund des eklatanten Fachkräftemangels und der Flut an Arbeit sein, findet Michael Kreitinger, Co-Inhaber von KMpro. „Natürlich hätten wir Simon gerne behalten. Aber wir sprechen immer von der KMpro-Fami­lie, da endet die gegenseitige Wertschätzung ja nicht mit dem Arbeitsverhältnis“, so Kreitinger, der 2011 in seiner Oberpfälzer Heimat Cham eine Kanzlei gründete und drei Jahre später mit Klaus Maierhofer, Kanzleipartner, Wirtschaftsprüfer und Steu­erberater am Standort München, KMpro ins Leben rief.

Moderner Führungsstil

Mittlerweile beschäftigt die Gesellschaft 150 Angestellte an acht Standorten, und die Verabschiedung von Werkstudent Simon ist nur ein ganz kleines Puzzleteil dessen, was gemeinhin als New Work bezeichnet wird. „Für uns ist New Work mehr als ein Tischkicker, den man alibimäßig in die Küche stellt. New Work hat für uns vor allem etwas mit einem modernen Führungsstil zu tun. Wir, die Partner von KMpro, sind unserer Meinung nach sehr persönlich, nahbar und authentisch und versuchen, jedem Mitarbeiter und damit jeder Persönlichkeit den Raum zu geben, ihre Stärken auszuspielen, und niemanden einzuengen. Wenn man Lionel Messi verbieten würde zu dribbeln, würde das ja auch nicht gut gehen“, zieht Kreitinger einen Vergleich zum Fußball.

Moderner Führungsstil, das heißt bei KMpro unter anderem: Jede Mitarbeiterin und jeder Mitarbeiter kann jederzeit Vor­schläge einbringen und Entscheidungen treffen. Mit der KMpro Academy können sich alle Angestellten, vor allem aber die Juniorassistenten, weiterbilden und durch ein internes System auf das Niveau von Steuerfachwirten weiterentwickeln. Über das Programm KMparadise dürfen die Beschäftigten aus dem Aus­land arbeiten, erst kürzlich erreichte Klaus Maierhofer eine An­frage eines Mitarbeiters zu einem Arbeitsaufenthalt in Südafrika. „Da wir eine stringente Zuordnung zu Aufträgen haben und da­mit Aufgaben gut zuordnen können, ist dieses länder- und auch zeitzonenübergreifende Arbeiten kein Problem für uns. Wir müs­sen vorab lediglich datenschutz- und sicherheitsrechtliche As­pekte klären“, erzählt Michael Kreitinger. Mit dem KMpro Inku­bator erhalten Angestellte die Möglichkeit, mit Unterstützung der Gesellschaft eine eigene Kanzlei zu gründen. Zwei ehemali­ge Kollegen haben das Programm bereits durchlaufen, von de­nen einer eine komplett neue Kanzlei gegründet und ein anderer einen Kanzleibestand in München übernommen hat.

Natürlich gibt es bei KMpro auch all jene Annehmlichkeiten, die gemeinhin typischerweise unter New Work subsumiert werden: Mitarbeiterfeste, Homeoffice als Selbstverständlichkeit mit ent­sprechender technischer Ausstattung, flexible Arbeitszeiten, gemeinsame Sport- und Fitnessprogramme. Doch all das ist kein Selbstzweck und New Work viel mehr als diese Mitarbei­ter-Goodies. „Hinter New Work muss ein kanzleiinternes Mind­set stehen. Das beginnt bei der Marke, die man aufbaut, und an allen Kontaktpunkten, von der Website über Vorstellungsge­spräche bis hin zu den Büros. Und das endet noch lange nicht bei dem Ziel, das man verfolgt“, so Michael Kreitinger. Die Zie­le von KMpro liegen dabei auf unterschiedlichen Ebenen. „Ein Ziel ist unser Führungsverständnis. Wir möchten so führen, wie wir selbst gerne geführt würden. Die Leute sollen sich hier wohlfühlen und die Lust entwickeln, die Kanzlei voranzubrin­gen. Dadurch erreicht man das andere Ziel, nämlich Kanzlei­wachstum, fast schon automatisch. Wir wissen nicht, wie groß KMpro werden wird und wie groß KMpro werden soll. Unser oberstes Credo ist: Wir wollen qualitativ nach wie vor hochwer­tig arbeiten und den persönlichen Familiengedanken nicht ver­lieren, das steht über Wachstum auf Biegen und Brechen“, er­klärt Kreitinger abschließend.

Champions League, Place to be, ZusammenWachsen

Ortswechsel. Köln. Wahrscheinlich keine Stadt, die auf abseh­bare Zeit Champions League sein wird, zumindest nicht durch den heimischen FC. Laufenberg Michels und Partner lebt je­doch längst Champions League. Bei der Kanzleigesellschaft mit rund 120-köpfiger Mannschaft ist sie Teil des New-Work-Drei­klangs. In den sozialen Medien kurz unter laufmich zu finden, sieht man das Kollegium bei Instagram unter anderem in lusti­gen Weihnachtspullovern – einmal im Jahr ist Ugly Sweater Day in der Kölner Kanzlei. Auch eine Komponente von New Work: Spaß und Gemeinschaftsgefühl als Motor.

Aber zurück zum Großen, zur Champions League. „Sie ist eine unserer drei Säulen der Kanzleiphilosophie. Die anderen beiden bilden Place to be und ZusammenWachsen“, erzählt Markus Raffelsieper, seit 2008 Partner bei laufmich , wie KMpro Key Account bei DATEV. Er beschreibt Place to be so: „Wir wollen als Kanzlei mit den Mitarbeitern ein Umfeld und Rahmenbedin­gungen schaffen, die für alle einen Ort ausmachen, an dem man gerne ist und sich wohlfühlt. Das ist uns extrem wichtig.“

Und weiter: „Wir veranstalten beispielsweise regelmäßig Work­shops, die wir in zwei Gruppen unterteilen: jünger als 30 und äl­ter als 30, weil die Generationen unterschiedlich auf dieses The­ma blicken. Dadurch entwickeln wir den Place to be permanent weiter und halten das Thema wach. Es geht primär nicht um Schaufensterthemen wie den fast schon obligatorischen Kicker oder gemeinsame Wanderungen. Wir fokussieren uns auf Teambuilding und Mitbestimmung, ermutigen zur Eigenverant­wortung. Wie bauen wir Teams auf, damit sie Initiative ergrei­fen, und wie schaffen Führungskräfte Raum, damit Mitarbeiter sich weiterentwickeln können?“

Der Aspekt Champions League bedeutet bei Laufenberg Mi­chels und Partner höchstmögliche Qualität – für alle Beteiligten. „Von der besten Arbeitsplatzausstattung für unser Team bis hin zu Mandantenschreiben, bei denen wir uns gemeinsam fragen: Ist das noch zeitgemäß und gut verständlich formuliert?“

Starke Werte: offene Kommunikation, ehrliches Feedback

ZusammenWachsen ist die dritte Säule. Oder doch eher zusam­men wachsen? „Diese Doppeldeutigkeit ist durchaus gewollt“, schmunzelt Markus Raffelsieper. „Aber Wachstum als solches ist nicht das, was den Kurs bestimmt. Sondern das Ergebnis der erfolgreichen Umsetzung der anderen beiden Säulen. Unser Wachstum von derzeit jährlich zehn Prozent entsteht daraus, dass wir uns gegenseitig unterstützen, das Entwicklungspoten­zial unseres Teams fördern. Wir wachsen miteinander und aneinander – zusammen eben.“ Auch das LAMI-FIT-Sportpro­gramm mit Yoga, Laufen, Beach-Volleyball und Walking stärkt das Gemeinschaftsgefühl.

Die Partner achten bereits beim Bewerbungsprozess darauf, dass neue Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zur Kanzleiphiloso­phie passen. Deshalb können Bewerber im Vorfeld auf der Kanzlei-Website den laufmich-Test absolvieren und dabei Fra­gen beantworten wie „Darauf kannst du an einem Montagmor­gen nicht verzichten“ oder zur Präferenz für Linkshirn- oder Rechtshirnaktivitäten. „So können sie spielerisch erfahren, ob sie zu uns passen – und andersherum. Einer der größten Werte sind Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, die kritische Punkte auf verschiedenen Ebenen ansprechen. Dafür steht in unserem Büro unter anderem eine KVP-Box, in die unser Kollegium Ver­besserungsvorschläge einwerfen kann. Der beste Vorschlag wird am Jahresende prämiert, denn New Work ist ein kontinu­ierlicher Verbesserungsprozess“, so Markus Raffelsieper.

Nun dürfte unbestritten sein, dass es größeren Kanzleien leich­terfällt, sich mit New Work zu beschäftigen und Dinge auszu­probieren, als der kleinen Einzelkämpferkanzlei ohne HR-Abtei­lung und Budget für Agenturen. Trotzdem gibt es einige Punk­te, die auch jene Kanzleien adaptieren können. „New Work ist mehr, als nur ein zusätzliches Gimmick zur Verfügung zu stel­len. New Work zielt auf Strukturen ab, auf Führung und Mitar­beitermitbestimmung, sprich darauf, Mitarbeiter an Vorstel­lungsgesprächen teilnehmen zu lassen, sie in Entscheidungs­prozesse einzubeziehen, ihre Stärken und Kompetenzen ge­winnbringend für Kanzlei, Mandanten und sich selbst auszuschöpfen“, unterstreicht Markus Raffelsieper.

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TG
Thomas Günther

Redaktion DATEV magazin

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