Digitalisierte Prozesse - 27. Oktober 2022

Kehrseite einer wunderbaren Medaille

Multitasking, parallel genutzte elektronische Kommunikationskanäle sowie eine permanente Erreichbarkeit, die vermeintlich erwartet wird, müssen zwangsläufig zu einer Arbeitsverdichtung führen. Als Kanzleichef ist man aufgerufen, hier gegenzusteuern, um eine Überforderung der Mitarbeiter zu verhindern.

Spätestens seit der Corona-Pandemie hat die Digitalisierung in den Unternehmen, aber auch Kanzleien der Steuerberater Einzug gehalten. Mehr und mehr Kolleginnen und Kollegen arbeiten nun schon überwiegend oder nahezu vollständig digital. Das eröffnet zwar viele Perspektiven, ist aber leider auch mit einigen Risiken verbunden. Was wird den Beschäftigten abverlangt, die rein digital arbeiten? Welche Konsequenzen hat die digitale Arbeitsweise vor allem für ältere Mitarbeiter? Eine neue Zeit ist angebrochen und wir müssen auf diese Veränderung von innen heraus reagieren. Das klappt nicht von heute auf morgen. Ziel muss sein, die Entwicklung sinnvoll zu begleiten, um negative Folgen abzufedern. Je digitaler es wird, desto wichtiger ist das.

Alte beschauliche Welt

In den analogen Büros fanden bei Weitem nicht so viele Unterhaltungen und Meetings statt wie heute in einer digitalen Kanzlei. Die Begründung dafür ist sehr einfach. Früher wurden Termine vergeben und im Vorfeld einige Schleifen über das Sekretariat gedreht, um einen freien Termin für den Mandanten zu buchen. Jede Terminierung war mit einem gewissen Aufwand verbunden und kein Mandant hatte früher die Erwartungshaltung, für ihn würde alles sofort und direkt gelöst werden. Wenn der Termin mit dem Berater begann, waren zunächst meist unverbindliche Gespräche über das Wetter, die Kinder oder den Ehepartner an der Tagesordnung. Mehrere Minuten vergingen, bevor das eigentliche Thema angesprochen wurde. Und es gab ein Wartezimmer, in dem der Mandant einige Zeit vor dem Termin mit dem Berater in sich gehen konnte. Durch diese Ruhephasen vor oder nach einem Termin konnte man sich erholen und auch einmal Gedanken etwas länger sacken lassen.

Schnelle neue Welt

Digitale Kanzleien arbeiten in der Regel nicht mehr mit physischen Dokumenten. Briefe und Papier entfallen und für die Kommunikation werden vermehrt Portale und Messenger- Dienste genutzt. Der Gegensatz zwischen der früheren, statischen Papierwelt und der heutigen, dynamisch digitalen Arbeitsweise wird auch daran deutlich, dass mittlerweile nahezu jeder Mitarbeiter in der Kanzlei E-Mails verschickt oder für Nachrichten sogar Messenger-Dienste einsetzt. Zudem steigt die Erwartungshaltung der Mandanten, bezogen auf die Reaktionsgeschwindigkeit, vom Einsatz einer Mail bis hin zum Messenger-Dienst exponentiell. Denn der Versender einer WhatsApp erwartet deutlich schneller eine Antwort als bei einer Mail; dies erst recht, wenn er im Messenger-Dienst sehen kann, dass seine Nachricht bereits gelesen wurde.

Up to date zu jeder Zeit

Eine rein digitale Kanzlei wickelt in Spitzenzeiten bis zu 40 Unterhaltungen oder Themen am Tag mit genauso vielen, völlig verschiedenen Partnern ab. Durch Microsoft Teams, E-Mail und die Messenger-Dienste werden bis zu 50 Mandanten, die früher über das Wartezimmer aufgerufen worden wären, nun über visuelle Verbindungen und ganz ohne gedankliche Hilfsmarker aneinandergereiht. In Windeseile werden weitere Themen abgearbeitet oder gar neu aufgemacht. Die Herausforderung in dieser digitalen Welt besteht nicht zuletzt auch darin, dass die Global Player der Szene wie Amazon oder Google eine permanente Erwartungshaltung bei uns allen wecken, ständig up to date zu sein. Unsere Gesellschaft verändert sich. Leider wird sie zunehmend auch rüder und anklagender. Diesen Aspekt darf man auf keinen Fall unterschätzen, er kann zu einer zusätzlichen Belastung für die Kanzlei werden. Die schnelle Abfolge von Themen, gepaart mit eingehenden, teils respektlos verfassten Mails oder anderer Korrespondenz, gehört zunehmend zur Tagesordnung. Das setzt die betroffenen Mitarbeiter noch mehr unter Druck als allein das Tagesgeschäft.

Multitasking

Die Behandlung eines komplexen Sachverhalts erfordert wenigstens eine Stunde intensives und konzentriertes Arbeiten. Permanent eingehende Benachrichtigungen sind hier kontraproduktiv. Mitarbeiter, die dazu neigen, bei ihren Mails und in Messenger-Diensten dauerhaft online zu sein, werden von der eigentlichen Arbeit unweigerlich abgelenkt. Zwar meinen sie es gut, ständig erreichbar zu sein, tatsächlich aber werden sie aus ihrer aktuellen Tätigkeit herausgerissen und benötigen erneut Energie und Konzentration, um sich wieder einzuarbeiten. Gerade der Millennial Generation fällt es häufig schwer, sich ohne Ablenkung auf einen einzigen Sachverhalt zu konzentrieren, da meist mehrere Vorgänge parallel zur Mediennutzung bedient werden. Das Arbeiten am PC mit gleichzeitig geöffnetem Facebook oder WhatsApp gehört hier quasi zur Normalität. Dabei wird übersehen, dass sich diese Mitarbeiter aufgrund der Vielzahl an Tools irgendwann überfordern und womöglich ausbrennen – von der potenziellen Gefahr einer steigenden Fehleranfälligkeit gar nicht zu sprechen.

Abhilfe schaffen

Das ruhige, manchmal sogar beschauliche Arbeiten in den Steuerberatungskanzleien gehört also der Vergangenheit an. Arbeitsverdichtung, bedingt durch moderne Technologien, und eine damit verbundene permanente Belastung der Mitarbeiter gehören nun zur Tagesordnung. Folglich müssen wir Kanzleiinhaber Sorge dafür tragen, dass der Arbeitstag der Steuerfachangestellten machbar bleibt und auch alte Gewohnheiten, wie etwa ein Plausch bei einem Kaffee, nicht gänzlich verschwinden. Und man sollte sich darüber bewusstwerden, dass Tools nur dann gut und sinnvoll sind, wenn sie uns Menschen dienen, und nicht umgekehrt. Ein Tool ist und bleibt nur ein Werkzeug. Es darf uns nicht bestimmen. Als Kanzleiinhaber, der seit vielen Jahren ausschließlich digital ausgerichtet ist und auch arbeitet, habe ich hier gegengesteuert. Die Maxime lautet: Struktur, Achtsamkeit und Resilienz. Wir haben in unserer Kanzlei zunächst klare, teils hybride Strukturen festgelegt, die Arbeitszeiten detailliert geregelt und feste Auszeiten ermöglicht. Darüber hinaus wird unser Personal regelmäßig durch Qualifizierung gestärkt und werden Mitarbeiter mit Problemen absolut ernst genommen. Und auch Rückzugsorte, die eine Möglichkeit zur Entspannung bieten, wie etwa unser Meditationsraum, haben sich als absolut sinnvoll erwiesen. Schließlich unterstützt auch ein zusätzliches Coaching mit Blick auf Gesundheitsangebote oder Maßnahmen der Work-Life-Balance dabei, der stetigen Arbeitsverdichtung zu begegnen.

Mehr dazu

DATEV-Fachbuch: „Go digital: Neues Denken in der Kanzleiführung“, 2. Auflage; www.datev.de/shop/36009

Zum Autor

CD
Christian Deák

Steuerberater in eigener Kanzlei in Oberhausen.

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