Moderne Kanzleiprozesse - 27. Februar 2020

Digital Tax-Natives

Wenn eine Kanzlei von analog auf digital umstellt, muss es sich nicht immer um einen geplanten Prozess handeln. In unserem Praxisbeispiel war die Transformation vielmehr einer neuen, komplett veränderten Mandantenstruktur geschuldet.

Vor ein paar Jahren hatten wir eine alte und analoge Steuerberatungskanzlei gekauft. Zum damaligen Zeitpunkt verfolgten wir eher die Maxime, diese Kanzlei sowie die erworbenen Mandate zu behalten. Das Faxgerät war seinerzeit eines der modernsten Bestandteile unseres Büros – von einem großen Drucker oder einem leistungsfähigen Scangerät war noch nicht einmal die Rede. Durch den Kontakt zu einem namhaften Rechnungsschreibungshersteller und die Übernahme der Mandatschaft von sehr großen Kunden aus dem Freundeskreis erhielten wir mehr Mandate als die ursprüngliche Kanzlei in zehn Jahren akquiriert hatte. Teilweise war die Mandatschaft jedoch komplett papierlos, also digital. Die Herausforderung hierbei war nun, die privaten Verpflichtungen im Freundeskreis mit dem spontanen Überhang an digitalen Mandaten zu kombinieren. Und wiederum daraus ergab sich der Handlungszwang zur digitalen Transformation. Denn allein aufgrund der Anzahl der Mandate konnten wir die Bedürfnisse unserer digitalen Klienten nicht mehr aufschieben beziehungsweise ignorieren. Somit stellten wir uns auf die Besonderheiten bei den digitalen Mandaten ein und entdeckten einen komplett neuen Markt für uns – mit der Folge, unsere interne Organisation komplett überarbeiten zu müssen, denn ohne eine digitale Organisation im Hintergrund hätten wir diese Mandate nicht mehr zielführend betreuen können.

#digitaltaxnatives

Der Hashtag digitaltaxnatives ist nicht nur ein großer, leuchtender Hinweis im Aufgang unserer Kanzlei, sondern vielmehr auch ein klares Statement: Die Infrastruktur unserer Kanzlei ist geprägt von mobilen und modernen Geräten, wie etwa Laptops, Dockingstations, iPads und Handys; Ordner und Handakten sucht man bei uns praktisch vergebens. Neue Mandate erhalten bei uns grundsätzlich keinen Ordner mehr, unsere Hauptaufgabe war und ist, die Papierlandschaft komplett abzuschaffen. Denn wir mussten uns eines Tags entscheiden, welche Organisation für uns die richtige ist, ohne dabei in alte Muster zu verfallen. Hinzu kam der Wunsch einiger Mitarbeiter, regelmäßig ins Homeoffice zu dürfen, und so mussten wir den Umstellungsprozess beschleunigen. Die Verwendung von digitalen Organisations-Tools hat auch den Vorteil, dass es praktisch irrelevant ist, wo sich der Mitarbeiter aufhält. Somit konnten wir zwei Fliegen mit einer Klappe schlagen: Zum einen werden wir den Anforderungen der digitalen Kunden gerecht und zum anderen befähigen wir unsere Mitarbeiter, ortsungebunden zu arbeiten.

Vor- und Nachteile

Die Server-Landschaft haben wir ebenfalls abgeschafft. Wir haben unsere Server in einer Cloud (Partner-ASP), damit wir uns voll auf unser Kerngeschäft konzentrieren können. Die Opportunitätskosten, um regelmäßige Updates einzuspielen oder Netzwerke selbstständig zu betreuen, wurden an dieser Stelle zu hoch. Generell sei gesagt, dass die Kosten für die IT bei uns nahezu explodiert sind. Die Umstellung auf eine digitale Kanzlei hat hier den Nachteil, dass sich der Umsatz in der Kanzlei erhöhen muss, da die Kosten durch die IT und Programmkosten deutlich gestiegen sind. Andererseits hat sich das Arbeitsklima innerhalb der Kanzlei durch die Fokussierung auf moderne und digitale Kunden ebenfalls verändert: Wir haben eine komplett schlanke und flache Hierarchie aufgebaut. Der Fokus liegt bei uns auf den Angestellten, daher sind wir untereinander ausnahmslos beim Du, wie nicht zuletzt auch bei unseren modernen Kunden, die ebenfalls das Du quasi vorausgesetzt hatten.

Soziale Aspekte

Neben dem obligatorischen Kickertisch, einem Provisionssystem, dem Homeoffice und der Gleitzeit sowie der betrieblichen Altersvorsorge beziehungsweise einer betrieblichen Krankenversicherung gibt es bei uns mittlerweile nun auch Hundekörbchen für unsere Kanzleivierbeiner.

Mandate, die nicht zur Kanzlei passen, werden ausnahmslos ­gekündigt, ­damit der Stress ­innerhalb der ­Kanzlei abnimmt.

Der Fokus liegt in unserer Kanzlei daher nicht mehr auf der reinen Gewinnoptimierung, sondern auf einem modernen und zukunftsfähigen Kanzleiumfeld, das sich auch online gut präsentieren kann. Mandate, die nicht zur Kanzlei passen, werden ausnahmslos gekündigt, damit der Stress innerhalb der Kanzlei abnimmt. Der Druck von außen hat sich erhöht, daher musste der Druck im Inneren drastisch gesenkt werden.

Mitarbeiter

Unsere Mitarbeiter werden vermehrt in der Bedienung von Programmen geschult, wir bemühen uns gemeinsam, sich wiederholende Vorgänge zu automatisieren, wobei wir uns ein Beispiel beziehungsweise Vorbild an unseren bereits automatisierten Mandaten, wie etwa Online-Händlern, nehmen. Grundsätzlich haben wir uns für den Weg entschieden, keine Papiermandate mehr anzunehmen. Woran das liegt? Man muss sich tatsächlich entscheiden. Es ist kaum möglich, beiden – doch sehr unterschiedlichen – Bedürfnissen gerecht zu werden. Das Abtippen von Kreditoren und Debitoren gehört bei uns zwar der Vergangenheit an, jedoch bedürfte es viel Ausdauer und Überzeugung bei meinen Mitarbeitern, um sich allen Schnittstellen und Programmen (mental) zu öffnen. Die eigenen Angewohnheiten zu ändern, scheint schwer bis häufig gar die größte Herausforderung zu sein.

E-Mail-Verwaltung

Bei Tagesbeginn hatten wir früher stets 200 bis 300 ungelesene E-Mails pro Postfach. Über meinen eigenen E-Mail-
Account liefen die externen Mails sowie die interne Organisation – ich hatte mir selbst E-Mails zur Erinnerung geschickt oder mit meinem Team kommuniziert. Bei der Fülle von E-Mails konnte jedoch absolut kein Überblick mehr ­gewährleistet werden. Heute muss das Sekretariat eingehende E-Mails – falls diese nicht automatisch zugeordnet ­werden – den jeweiligen Mitarbeitern zuteilen. Der Vorteil dabei ist, dass eingehende Mails auch gesichtet werden, wenn der betreffende Mitarbeiter krank oder im Urlaub ist. Dann hat man als Kanzleiinhaber sofort einen Überblick über alle eingehenden E-Mails, man sieht welche überfällig sind und kann diese nach Mitarbeitern sortieren. Generelle Auswertungen sind hier ebenfalls hilfreich: Man kann sehen, wer wie lange braucht, um im Schnitt seine E-Mails zu bearbeiten, und wie schnell die Kanzlei insgesamt braucht, um Mandanten zu antworten.

Aufgaben digitalisieren

Wenn die E-Mail als Kommunikationsinstrument mit meinen Angestellten entfällt, benötige ich ein anderes. Heute nutzen wir interne Organisations-Tools, mit denen wir gleichzeitig unsere Aufgaben verteilen und überwachen können. Diese Tools kann man in jedem beliebigen Browser öffnen, aber auch via eigenen Apps auf Smartphones oder Tablets. So kann die Abbildung der Kanzleiabläufe in eigenen Räumen dargestellt und überwacht werden. Problematisch dabei war, dass die Mitarbeiter ihre bisherige Arbeitsweise umstellen mussten. Sobald man sich aber die Mühe macht, alle wichtigen Informationen in eine Liste zu schreiben, kann man daraus einen eigenen Raum erstellen und gewährleisten, dass immer und von jedem, etwa bei der Mandatsübernahme, die gleichen Arbeitsschritte vollzogen werden. Die digitalisierte Kommunikation betrifft aber nicht nur Mitarbeiter, sondern gleichermaßen auch die Mandanten, da Termine mit mir nun online abgestimmt werden können. Diese Termine werden im Anschluss automatisch in meinen Kalender übertragen, wobei Beratungstermine automatisch per PayPal oder Stripe im Vorfeld bezahlt werden.

Intelligenter Software-Einsatz

Durch die Nutzung von Schnittstellen und vielen sehr nützlichen Tools beziehungsweise Programmen, wie zum Beispiel FastBill, Lexoffice, sevDesk, Taxdoo, Amainvoice, Steuerbüro.Online haben wir eine Reihe von Abläufen, die sich in gewissen zeitlichen Intervallen und Zusammenhängen wiederholen, digitalisiert. Bei uns handelt es sich dabei um einen Über-50-Punkte-Plan mit Anweisungen, angehefteten Dokumenten und hinterlegten Kommentaren. Betroffen ist zunächst das Sekretariat bei der Anlage von Stammdaten, der Erfassung von Honorarverträgen, den Anschreiben an Finanzämter sowie dem Hinterlegen von noch zu erledigenden Abschlüssen und Steuererklärungen als offen in die internen Kontrollsysteme; des Weiteren auch die Mitarbeiter hinsichtlich der Nutzung und Freischaltung von Programmen oder bei der Fristenüberwachung für die übernommene FiBu beziehungsweise den Lohn. Betroffen bin schließlich auch ich als Kanzleiinhaber beim Einrichten von Unternehmen online, den SmartLogins oder den mIDentity-Sticks von DATEV beziehungsweise der Freischaltung von Kontoabrufen für Vorauszahlungen.

Organisatorische Entlastung

Ohne ein digitales Tool, das wir ständig überarbeiten und an unsere Bedürfnisse anpassen, könnte ich solche Aufgaben weder überwachen noch ruhigen Gewissens an Mitarbeiter abgeben. Im Gegensatz zu früher, als bei einer Mandatsübernahme ein Pendelordner angeliefert und eine Vollmacht unterschrieben wurde, ufern gerade die organisatorischen Dinge mehr und mehr aus und müssen daher vereinheitlicht und beschleunigt werden. Zu diesem Zweck hatten wir uns an einen externen Digitalisierungsberater gewandt, der unsere Mitarbeiter über einen längeren Zeitraum täglich schulte und deren Probleme im Alltag direkt löste. Ohne eine solche Beratung wäre uns die digitale Transformation definitiv nicht geglückt.

Fazit und Ausblick

Die Umstellung der Kanzlei von analog auf digital war eine große Herausforderung, der wir uns aber gestellt haben und die nun vollendet ist. Früher stand das Telefon nicht still, und es gab Warteschlangen vor meinem Büro. Diese Zeiten sind vorbei. Durch die neue interne Kommunikation und Aufgabenverteilung, die vollends in den Programmen stattfindet, geht nichts mehr verloren, und es gibt auch keine Notwendigkeit mehr, mich zu belagern, bis man eine Chance hat, mit mir zu reden. Jedoch sollte man die Digitalisierung nicht auf die leichte Schulter nehmen. Als steuerlicher Berater sitzt man meistens hinter verschlossenen Türen oder in Terminen und bekommt die Probleme der Angestellten nicht mit. Bei neu eingeführten Programmen, etwa Auswertungs-Apps für iPads, entstehen regelmäßig Probleme. Wenn hier nicht ­direkt eingegriffen und geholfen wird, nehmen die Mitarbeiter die Programme und Prozessveränderungen nicht an und es entsteht ein Chaos. Dies konnten wir in unserem Fall – Gott sei Dank – verhindern. Die nächste Ausbaustufe bei der Digitalisierung unserer Kanzlei wird aktuell gerade abgeschlossen. Dabei handelt es sich um die Einrichtung eines Dokumentenmanagementsystems (DMS) von ­DATEV.  

Zum Autor

CD
Christian Deák

Steuerberater in eigener Kanzlei in Oberhausen.

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