Kanzleialltag - 23. Februar 2023

Der Schlüssel heißt Respekt

Eher analog arbeitende und digitale Kanzleien stehen sich unversöhnlich gegenüber? Von wegen! Ein Beispiel zweier sehr unterschiedlicher Kanzleien aus Kiel zeigt, wie sehr jede Kanzlei von der anderen profitieren kann.

Eigentlich sollte dieser Freitagabend im August 2022 nur ein gemütliches Grillfest der Jungen Steuerberater des Steuerberaterverbands in Schleswig-Holstein sein. Austragungsort des Get together war die Kanzlei Neuweiler & Partner, eine 1951 gegründete Traditionskanzlei in Kiel. Eingeladen hatte ein junger Steuerberater der Kanzlei, zu Gast war unter anderem auch Stefanie Sommerstedt, die ihre 100 Prozent digital aufgestellte Kanzlei 2019 gegründet und sich auf einen geselligen Abend unter Gleichgesinnten gefreut hatte. Eigentlich.
Eigentlich nur auf ein Bier vorbeikommen wollte Frank Neuweiler, Inhaber und Partner in der eher analog arbeitenden Kanzlei und Enkel des Kanzleigründers. Mit 54 Jahren zählt er selbst nicht mehr zu den ganz jungen Steuerberatern und wollte einfach nur kurz Hallo sagen. Eigentlich.
In der Realität geschah an jenem Freitagabend Folgendes: Als alle anderen Teilnehmerinne und Teilnehmer des Grillfests längst daheim waren, tigerten Stefanie Sommerstedt und Frank Neuweiler noch immer durch die Kanzlei, die Uhr hatte längst die erste Stunde des Samstags geschlagen. Neuweiler und Sommerstedt diskutierten rund fünf Stunden über analoge und digitale Kanzleiprozesse, erklärten sich gegenseitig, wie sie arbeiten, und beschlossen irgendwann, dass sie diesen Abend oder besser diese Nacht fortsetzen müssten mit einer Art Praktikum in der Kanzlei von Stefanie Sommerstedt.

Digitalisierung muss Mehrwert schaffen

Einen Monat später trafen sich die beiden also erneut, diesmal bei Stefanie Sommerstedt, die eine rein digital aufgestellte Kanzlei führt, das Wort Digitalisierung aber gar nicht mag. „Digitalisierung entpuppt sich für mich als Unwort des Jahres. Ich sehe das aus einer ganz anderen Perspektive: Es geht um Prozessoptimierung. Ich sehe oft, dass versucht wird, etwas Analoges digital nachzubauen. Aber das funktioniert nicht. Der Prozess muss im Fokus stehen und nicht der Satz: Ich tausche ein Blatt Papier gegen eine PDF.“ Einer etwas anderen Definition folgt Frank Neuweiler: „Für mich ist Digitalisierung, wenn ich dem Mandanten einen Mehrwert erbringen kann und mein Mitarbeiter dabei Zeit spart. Wir digitalisieren nicht, weil es cool und hip ist, sondern es muss einen Mehrwert bringen. Ich fand es zum Beispiel cool, bei Steffi Unternehmen online im erweiterten Modus zu sehen, wo die Belege nicht nur da, sondern schon gebucht sind und die Mandanten jederzeit darauf zugreifen können. Das ist für mich Digitalisierung und ein Learning aus dem Tag bei Steffi, dass wir uns nun auch überlegen, Unternehmen online im erweiterten Modus zu nutzen.“ Seine Kanzlei bezeichnet er als Hybridkanzlei, die je nach Mandantenanforderung digitale, aber eben auch noch viele analoge Prozesse anbietet. Zurück zu besagtem Praktikumstag im September. „Wir beide empfanden dieses Praktikum, wie wir es scherzhaft nannten, völlig normal, aber viele Menschen aus unserem Umfeld haben uns erstaunt gefragt, was wir da machen und was das überhaupt soll. Warum Frank mich in seine Ordner gucken lässt und ich ihn in meine Kanzleiabläufe. Es war ein Miteinander, wir hatten von Anfang an ein Vertrauensverhältnis gehabt. Wir sind ja keine Konkurrenten und müssen keine Geheimnisse voreinander haben und dadurch können wir voneinander lernen“, erklärt Stefanie Sommerstedt die Motivation dieses Tages, an dem sich beide rund zehn Stunden austauschten. Während des Praktikums zeigten sich die beiden Steuerberater gegenseitig anhand ganz praktischer Beispiele, wie sie arbeiten. „Wir haben angefangen mit dem Beleg vom Brötcheneinkauf fürs gemeinsame Mittagessen in der Kanzlei. Wir tippen den Beleg ab und buchen diesen. Der Beleg ist also schnell gebucht, aber das ist natürlich auch Teil der Wahrheit: Der Mandant hat den Beleg weiterhin nur in Papierform und nicht digital abgelegt oder gar hinter der Buchung hängen“, erklärt Frank Neuweiler. Stefanie Sommerstedts Herangehensweise sieht anders aus: „Ich habe die DATEV-App Upload mobil genommen und zack ist der Beleg hinter der Buchung hinterlegt.“

Überraschungen mit Microsoft OneNote und Onboarding

Im weiteren Verlauf diskutierten die beiden unter anderem über die Kontenabstimmliste in Kanzlei-Rechnungswesen, den erweiterten Modus von Unternehmen online, die DATEV E-Mail-Verschlüsselung, den gesamten Buchhaltungsprozess, den Vorteil, eine Kanzlei auf der grünen Wiese aufbauen zu können und nicht eine etablierte Kanzlei zu übernehmen, und OneNote. „Steffi hat mir OneNote gezeigt, und das war wirklich ein Augenöffner“, gibt Frank Neuweiler zu und ergänzt: „Ich schreibe DIN-A5-Zettel voll und bespreche diese Notizen mit meinen Mitarbeitern. Diese Zettel werden hier und da auch mal eingescannt, um sie wiederzufinden. Dann sind wir aber beim Thema Verschlagwortung. OneNote ist schnell zugreifbar für jeden, der an einem Mandat arbeitet. Das hat schon was. Es kommt nicht mehr zu Inselwissen, sondern jeder weiß alles, was einen Mandanten betrifft.“ In der Kanzlei von Stefanie Sommerstedt stellt die Nutzung von OneNote eine große Arbeitserleichterung für die Mitarbeiter dar.
Auch das Onboarding von neuen Mandanten war Gegenstand des Praktikums. „Ich hatte allein im September sieben, acht neue Kapitalgesellschaften, die ich onboarden musste. Ich würde den Überblick verlieren, wenn es dafür keinen klaren Prozess gäbe. Ich nutze dafür ProCheck. Dort habe ich meine Checkliste und in der Vorlagenverwaltung standardisierte Mails und Dokumente, die nach einem festen Plan versendet werden. Zusätzlich habe ich auf der Website einen geschützten Mandantenbereich, in dem alle notwendigen Infos für die Mandanten liegen. Das alles kann man nicht im Freiflug abbilden“, erläutert Stefanie Sommerstedt ihre Vorgehensweise, die Frank Neuweiler durchaus interessant auch für seine Kanzlei findet. „Bei uns läuft das Onboarding nicht nach einem festgeschriebenen Schema ab. Jeder Mitarbeiter hat halt im Kopf, was gemacht werden muss mit Vollmachten und was alles dazugehört, aber wir haben keinen klar strukturierten Plan, keine Checkliste, die man abhaken kann. Das ist gerade dann schwierig, wenn wir neue Mitarbeiter einstellen, die dann auf einmal einen Mandanten onboarden müssen. Bei Steffi könnte sogar ich als Außenstehender das Onboarding übernehmen, weil das so klar strukturiert ist.“
Abends, als es schon längst über Kiel dämmerte, beenden Frank Neuweiler und Stefanie Sommerstedt ihr Praktikum und ziehen ein Fazit. „Wir schauen jetzt vorsichtig, wie wir das eine oder andere, das ich sehr gut finde, bei uns umsetzen können. Wir können nicht alles machen, aber behutsam schauen, wo wir schnell und unkompliziert Mehrwert schaffen und effizienter sein können. Ich werde aber keinen Mandanten zu irgendetwas zwingen. Mandanten und Mitarbeiter müssen glücklich und zufrieden sein, das ist die grundlegende Prämisse“, so Frank Neuweiler, der für sich ergänzt: „Ich habe von Steffi wirklich viel gelernt. Ich finde es irre, wie strukturiert sie denkt und arbeitet. Ich mache viele Sachen eher aus dem Bauch oder der Erfahrung heraus, Steffi hingegen macht aus allem einen Prozess und ist sehr akribisch. Das finde ich sehr faszinierend.“ Ein Fazit, das Stefanie Sommerstedt bestätigen kann: „Ich sehe und lebe Prozesse, bin halt ein Prozesstiger. Was ich von Frank gelernt habe: ruhiger zu werden, mir nicht über alles Gedanken zu machen. Mir ist klar geworden, wie weit ich mit der durchgängigen Automatisierung gekommen bin. Und das Tolle ist: Ich kann Frank jetzt jederzeit anrufen, wenn ich mal einen Fall habe, wo ich fachlich einen Sparringspartner benötige. Das ist für mich Gold wert.“
Doch wie haben die beiden es geschafft, dass sie sich trotz ihrer so unterschiedlichen, oftmals als konfrontativ empfundenen Herangehensweisen so gut verstehen, dass sie sich weiterhin regelmäßig treffen und austauschen? „Uns waren respektvoller Umgang und kollegiales Miteinander wichtig. Wir alle haben so viel Arbeit vor der Brust und müssen die stürmischen Zeiten durchstehen, außerdem gibt es Mandate für alle. Es wird auch noch viele Jahre Mandanten geben, die alles auf Papier haben wollen. Und das ist auch okay so. Es wollte ja niemand jemanden bekehren. Wir haben nicht in gut und schlecht gedacht, sondern nur unsere Wege gezeigt und voneinander gelernt. Der gegenseitige Respekt war der Schlüssel, dass daraus mittlerweile sogar eine Freundschaft entstanden ist“, blickt Stefanie Sommerstedt zurück auf ein fortwährendes Praktikum, das begann an einem Abend, der doch nur ein Grillfest werden sollte. Eigentlich.

Mehr dazu

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DATEV- Fachbuch „Kanzleierfolg ist planbar“,
www.datev.de/shop/35852
Lernvideo (Vortrag) „Microsoft OneNote – Organisation in Kanzleien“, www.datev.de/shop/78966
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TG
Thomas Günther

Redaktion DATEV magazin

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