Kanzleibindung - 24. Juni 2021

Das Juwel halten

Wenn man das Glück hat, eine junge Wirtschaftsprüferin oder einen jungen Wirtschaftsprüfer für die eigene Kanzlei zu finden, gilt es, der Kollegin oder dem Kollegen Perspektiven aufzuzeigen, die ein Abwandern zu Wettbewerbern oder Konkurrenten verhindern.

Die Themen der Mandanten, unsere Beratungsansätze sowie die fachlichen Herausforderungen ähneln und wiederholen sich in vielen Bereichen mittelfristig im Laufe der beruflichen Karriere eines Wirtschaftsprüfers, doch die Gewinnung, Bindung und fortlaufende Motivation von Mitarbeitern, insbesondere angestellten Wirtschaftsprüfern, ist Tag für Tag eine neue Herausforderung. Die Kernelemente jeder Mitarbeiterführung und -bindung sind bekanntermaßen eine angemessene Wertschätzung der Arbeitsleistung, ein respektvoller Umgang im Berufsalltag, ein freundliches Arbeitsumfeld, Fortbildungsmöglichkeiten sowie eine positive Unternehmenskultur. Blickt man auf den eigenen beruflichen Werdegang zurück, müssen vermutlich viele von uns Wirtschaftsprüfern leider feststellen, dass selbst diese offensichtlichen und in der Branche verfestigten Kernelemente einer erfolgreichen Mitarbeiterführung nicht immer oder – in Einzelfällen – nicht durchgängig gelebt werden. Das ist eigentlich nicht nachvollziehbar, wenn man verstanden hat, dass die Mitarbeiter der Motor unserer Kanzleien sind und speziell Berufsträger im Anstellungsverhältnis, wie etwa Wirtschaftsprüfer oder Steuerberater, allein durch ihre berufliche Qualifikation die zweite Führungsebene verkörpern und erheblich zur Partnerentlastung mit Blick auf die Arbeitszeit beitragen. Dies und der anhaltende Fachkräftemangel in unserer Branche qualifizieren die genannten Kernelemente folglich zum gesetzten (Mindest-)Standard einer erfolgreichen Mitarbeiterführung, verbunden mit der Frage, wie man einen Wirtschaftsprüfer darüber hinaus langfristig und nachhaltig an die Kanzlei binden kann – ist doch die Beantwortung essenziell für das eigene Kanzleiwachstum.

Die Zahlen sprechen für sich

Denn die Notwendigkeit eines gesteigerten Engagements zur Mitarbeiterbindung liegt auf der Hand, wenn man einen Blick in die Statistik wagt. Die Zahl der Wirtschaftsprüfer stieg von 9.984 Kollegen im Jahr 2000 auf 13.619 in 2010 (+ 36,41 Prozent), in der nachfolgenden Jahresdekade aber lediglich noch um 949 Wirtschaftsprüfer auf eine Gesamtanzahl von 14.568 in 2020 (+ 6,97 Prozent). Ich selbst gehörte zu den 100 Zugängen im Berufsstand in 2018. Neben mir gab es 2020 weitere 643 Wirtschaftsprüfer in der Altersgruppe zwischen 30 und 34, die Hälfte der 14.568 Berufsträger war zwischen 45 und 59 Jahre alt, während knapp 19 Prozent der Wirtschaftsprüfer in 2020 bereits über 65 Jahre alt gewesen sind. Bei der Altersgruppe unter 30 bis 39 Jahren hat der Anteil der Wirtschaftsprüfer in 2020 mit 2.042 Berufsträgern lediglich 14,02 Prozent betragen und war zudem gegenüber 2019 (2.106 Wirtschaftsprüfer) sogar noch rückläufig. Dieses Problem wird sich vermutlich erst mittelfristig durch die begrüßenswerte Modularisierung des Wirtschaftsprüferexamens auflösen. Daher ist das Kernproblem, einen jungen Wirtschaftsprüfer zu finden und ihn an die eigene Kanzlei zu binden. Doch mit welcher besonderen und herausragenden Perspektive lässt sich dieses Ziel realisieren, damit der junge Berufsträger nicht irgendwann zum eigenen Mandanten oder Mitbewerber abwandert? Die Altersgruppe unter 40 Jahren, die den wesentlichen Teil der wechselbereiten Wirtschaftsprüfer ausmacht, muss also mit einer entsprechenden persönlichen Perspektive an die eigene Kanzlei gebunden werden, um ihrer Nestsuche auf diese Weise ein Ende zu setzen.

Der Beruf als Berufung

Bei der erwarteten Gesamtperspektive eines jungen Wirtschaftsprüfers spielen rein monetäre Anreize nicht mehr die Rolle wie noch in früheren Jahren. Aspekte wie eine angemessene Work-Life-Balance, flexible Arbeitszeiteinteilungen oder der sinnstiftende Charakter des eigenen Berufs stehen nun im Vordergrund. Doch gehören Wirtschaftsprüfer, wie auch andere Freiberufler – beispielsweise Steuerberater, Rechtsanwälte oder Mediziner –, zu einer Berufsgruppe, für die der Beruf eher Berufung als Mittel zum Zweck ist. Lange Arbeitszeiten und stressige Hochphasen zu gewisser Jahreszeit werden nicht als lästig, sondern als erfüllende Herausforderung empfunden. Der Beruf ist für einen jungen Wirtschaftsprüfer wahrscheinlich dann Berufung, wenn er frühzeitig ein gesundes Maß an Verantwortung mit Blick auf seine Tätigkeit sowie seinen eigenen Mandantenstamm übertragen bekommt und dabei stets auch den notwendigen Rückhalt im Team verspürt. Das setzt eine gelebte und konstruktive Feedback- Kultur innerhalb der Kanzlei sowie im engeren Sinne auch im jeweiligen Prüfungs- beziehungsweise Beratungsteam voraus. Das heißt eine Kommunikation auf Augenhöhe und nicht in hierarchischen Strukturen. Dienst nach Vorschrift oder Nine-to-five sollten eher die Ausnahme sein, da nur ein offen gestaltetes Betätigungsfeld sowie ein eigener Mandantenstamm den Wirtschaftsprüfer frühzeitig zu Wachstum und nachhaltiger Kanzleientwicklung motivieren und auch den angestellten Wirtschaftsprüfer zu einer echten Leistungssäule der Kanzlei werden lassen. Diese Erkenntnis sollte man aber nicht ausschließlich bei den Berufsträgern gewinnen, sondern auch qualifizierte Prüfungsassistenten frühzeitig mit Verantwortung, eigener Entscheidungsfindung und fachlichen wie personellen Problembereichen betrauen.

Partner der Kanzlei werden

Hat man die Rahmenbedingungen geschaffen, also dem an die Kanzlei gebundenen Wirtschaftsprüfer seinen eigenen Mandantenkreis sowie ein eigenes Aufgabengebiet als Ausgangsbasis zugeteilt sowie Gehalt, Arbeitszeit und Urlaub angemessen vereinbart sowie die Feedback-Kultur tatsächlich gelebt, transportiert man als Arbeitgeber das notwendige Wohlgefühl im alltäglichen Beruf. Dennoch bleibt die Frage nach dem sogenannten Punkt auf dem i, der die eigene berufliche Perspektive vervollständigen soll. Wahrscheinlich gibt es hierzu keine Musterlösung, sodass ich meinen eigenen i-Punkt verraten möchte. 2016 wechselte ich in die Kanzlei, an der ich nun beteiligt bin, mit dem Versprechen meiner Senior-Partner Dr. Peter Leidel (Wirtschaftsprüfer, Steuerberater, Rechtsbeistand) und Günther Kaufmann (Steuerberater), dass ich als Wirtschaftsprüfer langfristig das machen könne, was mir schlichtweg Spaß bereitet. In diesem Versprechen sah ich meine langfristige Perspektive einer erfüllten Berufstätigkeit und konzentrierte mich frühzeitig auf meine Lieblingsfelder Jahresabschlussprüfung, Unternehmensbewertung und M&A-Beratung. Schließlich wurde mein geleisteter Einsatz bereits zwei Jahre später mit der Aufnahme in die Partnerschaft belohnt und meine langfristige Perspektive als Wirtschaftsprüfer mit dem Eintritt in die Unternehmensführung als Partner einer Wirtschaftskanzlei ergänzt und abgerundet, insbesondere, weil ich selbst das Freiberuflerdasein meines Vaters schon immer bewunderte und als eigenes Ziel verfolgte.

Fazit

Auf den Kollegenkreis übertragen, würde ich diesen letzten Baustein meiner Gesamtperspektive, also die Beteiligung an einer Kanzlei, nicht generell für alle Wirtschaftsprüfer als erforderlich erachten. Dafür sind die individuellen Lebensvorstellungen zu Arbeitsumfang, Gehalt und Familienplanung zu unterschiedlich. Denn auch im dauerhaften Anstellungsverhältnis kann sich ein Wirtschaftsprüfer langfristig mit seinem Beruf identifizieren, sofern er eigenverantwortlich in den Beratungs- und Prüfungsfeldern oder Branchen, die ihn langfristig begeistern, seine besondere Expertise aufbauen und leben kann.

Zum Autor

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Jakob Eisenreich

Diplom-Wirtschaftsjurist (univ.), Wirtschaftsprüfer, Steuerberater sowie Zertifizierter Berater für Unternehmenskauf/M&A (IFU). Er ist Partner bei Leidel & Partner in Regen.

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