Digitalisierung in der Kanzlei - 17. Juni 2020

Auf einmal ist alles anders

"Die Corona-Pandemie war von März bis Mai ein echter Weckruf in puncto Digitalisierung und auch New Work für Kanzleien", sagt Ulf Kortenkamp, Strategieberater im Consulting bei DATEV.

Ulf Kortenkamp kennen Sie als unseren „Digitalisierungshelfer“. Der Strategieberater ist normalerweise bundesweit unterwegs und unterstützt Kanzleien bei der strategischen Entwicklung und Digitalisierung – mit Workshops vor Ort beim Kunden. Im Gespräch berichtet er, wie sich sein Berufsalltag durch Corona verändert hat und wie eine Steuerberaterin ihre Kanzlei ad hoc aufs Homeoffice umgestellt hat.

Herr Kortenkamp, wie hat sich Ihre Arbeit in den letzten Wochen verändert – haben Sie neue Kunden gewonnen, vielleicht auch bisherige Digitalisierungsskeptiker?

Wenn mir diese Frage Anfang des Jahres gestellt worden wäre, hätte ich gesagt, dass ich mit einem höheren Anteil mir bekannter Kanzleien arbeite und dass es einen nicht unerheblichen Teil von Kanzleien gibt, denen die Digitalisierungsentwicklung aus den verschiedensten Gründen, wie Zeit, Kosten, fehlende Transparenz oder fehlende Notwendigkeit, schwerfällt. Digitalisierungsskeptiker sah ich für mich auch schon zu diesem Zeitpunkt keine mehr.

Wieviel Einfluss hat das Thema Corona auf die Digitalisierung der Kanzleien genommen?

Die Corona-Pandemie war von März bis Mai ein echter Weckruf in puncto Digitalisierung und auch New Work – also moderne Arbeitsmethoden – für die Branche. Kanzleien, die bereits ihre Digitalisierungsstrategie in der Umsetzung hatten, konnten sich leicht auf die neue Situation einstellen. Herausfordernder war die Situation vor allem für jene Kanzleien, deren Struktur nicht auf eine virtuelle Zusammenarbeit mit dem Mandanten ausgerichtet war.

Die Inhaberin einer Kanzlei mit 14 Mitarbeitern erzählte mir in einem Video-Call, dass ihre Kanzlei in zwei Monaten eine Entwicklung vollzogen habe, wie sie in den letzten zwei Jahren nicht stattgefunden habe. Plötzlich hatte sie eine virtuelle Kanzlei mit Mitarbeitern im Homeoffice, flexibler Arbeitszeit, Teammeetings online und Mandantengesprächen über Videokonferenzen. Zu Beginn der Krise hatte sie nicht wirklich daran geglaubt, dass es so gut funktionieren würde. In der Kanzlei gab es geregelte Arbeitszeiten, kein Homeoffice und nur einen geringen Anteil an Unternehmen-online-Mandanten. Glücklicherweise hatte die Kanzlei bereits DATEVasp und DMS im Einsatz, sodass die Verlagerung der Mitarbeiter ins Homeoffice nach Anschaffung von Notebooks und Bildschirmen ad hoc durchgeführt werden konnte. Ergänzend wurden noch Bluejeans als Videokonferenztool eingeführt und Mandanten sukzessive per Onlinebegleitung auf DATEV Unternehmen online umgestellt.

In Summe habe ich das Gefühl, dass die Branche mit Blick auf die digitale Veränderung insgesamt diese Krise als Chance genutzt hat.

Seit der zweiten Märzhälfte läuft der Kanzleibetrieb virtuell mit einer Minimalbesetzung in den Kanzleiräumen. Bereits ab Mitte April hatte die Kanzlei die Produktivität und auch die Zahlen der Kanzlei wieder im Griff. Videokonferenzen, Vertrauensarbeitszeit, Homeoffice gehören nun zum Standard. Zudem gibt es jeden Morgen ein kurzes Video-Daily der Kanzleileitung mit den Mitarbeitern, um Fragen zu klären und Aufgaben zu besprechen. All diese Dinge sollen fortgeführt werden, was ich sehr positiv finde, denn diese Lerneffekte gilt es nun auch für die weitere Kanzleientwicklung zu nutzen.

In Summe habe ich das Gefühl, dass die Branche mit Blick auf die digitale Veränderung insgesamt diese Krise als Chance genutzt hat. Wenn man bedenkt, welcher Beratungsbedarf seitens der Mandaten gleichzeitig auf die Kanzlei zukam, dann verdient das Respekt!

Wie arbeiten Sie momentan? Halten Sie Ihre Workshops nun digital?

Ich saß seit dem 16. März bis zum 02. Juni im Homeoffice und habe diesbezüglich auch selbst eine steile Lernkurve durchgemacht. Auch bei uns funktioniert die Zusammenarbeit über Onlinemedien immer besser und ich empfinde den Austausch insgesamt fokussierter als bei einem persönlichen Treffen. Wobei ich Letztgenannte auch sehr schätze und mich auf diese wieder freue. Ich denke, der richtige Formatmix bringt die dauerhafte Akzeptanz und den Erfolg. Klassische Strategieworkshops, die auch  eine Methodenvariabilität  erfordern, führe ich in der Onlinewelt eher in kleineren Partnerrunden durch. Mit  einer größeren Partnerrunde gestaltet sich das etwas schwieriger. Zudem biete ich aus dem Homeoffice heraus immer wieder kurze Strategiecoachings per Video-Call an. Darin beantworte ich konkrete Fragestellungen oder ich gebe meinem Kunden bestimmte Aufgaben und Fragestellungen, die bis zu einem erneuten Coachingtermin zu bearbeiten sind, um dann gemeinsam zu reflektieren. Das ist auch für mich ein Format, das ich zukünftige nicht mehr missen möchte und sich prima mit Vorort-Beratungen kombinieren lässt.

Mit welchen Themen kommen die Steuerberater denn momentan auf Sie zu?

Die Themen sind weiterhin vielfältig. Einiges rankt sich um Fragen zum Technikeinsatz und wie Mitarbeiter in der Coronakrise mitgenommen werden können, aber auch wie der Markt weiterbearbeitet werden kann. Ich treffe auch auf Kanzleien, die das Potenzial ihrer technisch guten Ausstattung nicht nutzen. Zum einen wird der Mandantenmarkt nicht strukturiert bearbeitet und zum anderen Bedarf es, neben einer Strategie, auch einer kulturellen Offenheit gegenüber Veränderungen. Die Digitalisierung der Kanzleiprozesse in Verbindung mit der stärkeren Integration der Mandanten in die Wertschöpfungskette der Kanzlei erfordert eine bestimmte Haltung innerhalb der Kanzlei. Ich spreche hier oftmals auch von der „organisationalen Reife einer Kanzlei“. Diese lässt sich mit Blick auf die unternehmerischen Handlungsfelder Strategie und Innovation, Markt und Kunde, Technik und Prozesse sowie Mitarbeiter und Kultur bestimmen.

Und diese „organisationale Reife“ hängt auch mit der Digitalisierung zusammen?

Das Vorhandensein modernster Technik ist ein wichtiges Element. Bevor man sich aber um die Technik und die dazugehörigen Prozesse kümmert, muss ein Zielbild beschrieben und definiert werden. Das sorgt für Transparenz und ein gemeinsames Verständnis für den kommenden Weg.

Die Marktbearbeitung sollte einer Kundensegmentierung folgen, die zur Kanzleistrategie passt. Dabei gilt es sowohl das Dienstleistungsportfolio als auch die Art und Weise der Zusammenarbeit auf die Kundensegmente auszurichten. Die Grundlage dafür liefert eine Analyse der Kundenbedürfnisse und der Kundenwünsche. Ich empfehle außerdem, die Kanzleiprozesse zu dokumentieren. Dadurch entsteht bei allen in der Kanzlei tätigen Personen ein gemeinsames Verständnis über die Kanzleiabläufe. Diese gemeinsame Basis ist dann ein guter Ausgangspunkt für die Optimierung von Abläufen – auch um die Mitarbeiter in die Veränderung mitzunehmen. Dabei ist auch wichtig, dass die Kanzleileitung rund um den Veränderungsprozess für ein gutes Gefühl bei den Mitarbeitern sorgt. Dazu gehört eine Antwort auf die Frage, warum es nicht so weitergehen kann wie bisher und das Aufzeigen des von der Kanzleileitung gemeinsam getragenen Zielbildes. Eine Kultur der Veränderung kann nur entstehen, wenn Mitarbeiter erkennen, dass die Vorhaben der Kanzleileitung auch im Einklang mit ihren persönlichen Zielen stehen. Deshalb sollten die Chefs mit Ihren Mitarbeitern ins Gespräch gehen und Vorteile und Perspektiven aufzeigen.

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Zur Autorin

Julia Wieland

Redaktion DATEV magazin

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